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Der Mythos Salvador Allendes bröckelt

Vera Möller-Holtkamp11. Mai 2005

Der Historiker Victor Farías kratzt am Image von Salvador Allende, den ehemaligen sozialistischen Staatspräsidenten Chiles. Laut Farías soll Allende Antisemit und Befürworter der Eugenik gewesen sein.

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Umstrittene Figur: Salvador AllendeBild: AP

Ihm gehe es um die "geschichtliche Wahrheit", denn die Jugend solle "nicht an falsche Mythen glauben", sagt Victor Farías, Privatdozent am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin im Interview mit DW-WORLD. Der chilenische Historiker und Philosoph forscht und lehrt seit 1974 in Deutschland. Seine jüngste wissenschaftliche Veröffentlichung disqualifiziert Salvador Allende als Antisemiten und Befürworter von Sterbehilfe und Zwangssterilisierung.

Die Leiche von Salvador Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragen Militärputsch in Chile 1973
Militärputsch am 11. September 1973: Der tote Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragen.Bild: AP

Farías gießt damit Öl in ein Feuer, das in Chile seit mehr als 30 Jahren lodert. Es geht um den Mythos Salvador Allendes, den ehemaligen sozialistischen Präsidenten Chiles. Er kam 1973 beim Militärputsch von General Pinochet ums Leben - Allende gilt seitdem nicht nur bei den Linken Chiles, sondern weltweit, als politischer Märtyrer.

Geschichtsbücher umschreiben?

Salvador Allende
Staatspräsident Salvador Allende vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York (4. Dezember 1972).Bild: AP

Victor Farías sagt über sein Buch "Salvador Allende - Antisemitismus und Euthanasie", es habe die bisherige Geschichtsschreibung über Salvador Allende "vollkommen zerstört". Das Werk stützt sich auf öffentliche und auf unveröffentlichte Quellen - im ersten Teil auf die 250 Seiten umfassende Doktorarbeit Allendes aus dem Jahre 1933. Die Arbeit mit dem Titel "Higiene Mental y Delincuencia" (Psychohygiene und Delinquenz) galt bis zum Jahr 2000 als verschollen, bis Victor Farías sie in einem Archiv entdeckte.

Held der Friedensbewegung - ein Rassist?

Die Doktorarbeit des damals 24-jährigen Mediziners Allende geht von der Annahme aus, dass psychische Krankheiten vererbbar seien. Homosexualität gilt hier als Krankheit, die man durch Operation und Bestrahlung behandeln solle, damit aus den Betroffenen wieder "moralische Wesen" werden könnten. Allendes Dissertation hat zudem eine "klare rassistische und antisemitische Position", sagt Farías. Es heißt darin: "Hebräer sind durch bestimmte Verbrechensformen gekennzeichnet: Betrug, Falschheit und vor allem Wucher." Diese angeblichen Charaktereigenschaften von Juden hält Allende für unheilbar. Daher helfe für die Erhaltung der "Volkshygiene" helfe nur Wegsperren, so Allende.

Militärputsch in Chile
Pinochets Soldaten bombardieren den Präsidentenpalast "La Moneda".Bild: AP

Eugenik - auch ein Irrweg linker Politiker

Ein weiterer Schwerpunkt des Buches befasst sich mit der Tätigkeit Allendes als Gesundheitsminister in der Volksfrontregierung unter Pedro Aguirre Cerda (1938-1940). Damals ließ er sein "volkshygienisches Programm" in Zeitungen veröffentlichen, worin er Geschlechtskrankheiten, chronischem Alkoholismus und Geisteskrankheit den Kampf ansagte. In den letzten beiden Fällen empfahl er Zwangssterilisierung.

Augusto Pinochet
Ex-Diktator Augusto PinochetBild: AP

Victor Farías zieht hier einen direkten Vergleich zu Gesetzen unter Hitler. In einem Punkt gehe Allende sogar weiter als die Nazis: Während die deutschen Vorgaben bei Alkoholismus die Zwangssterilisierung als eine Möglichkeit vorschlugen, fordere Allende diese Maßnahme als die einzig Mögliche. Im Gegensatz zu Deutschland blieben Allendes Vorstellungen zur "Sozialhygiene" in Chile "nur" gefährliches Gedankengut. Sie wurden nie umgesetzt.

Nestbeschmutzer Victor Farías?

Chile Allende Jahrestag
Allende Anhänger und Angehörige von Verschwundenen demonstrieren vor der "Moneda"Bild: AP

Wie sind diese schweren Vorwürfe zu bewerten? Jugendsünde oder gefälschtes Image? Die Positionen gehen auseinander. Es ist ein Thema, von dem man bisher sagte, dass eine objektive Haltung dazu nicht möglich sei. So tief geht die Spaltung durch die chilenische Gesellschaft. Besondere Brisanz erhalten Victor Farías' Untersuchungen dadurch, dass er während der Unidad Popular (1969-1973) selbst Sympathisant Allendes war.

Victor Farías gilt in Deutschland als seriöser Wissenschaftler. Detlef Nolte, stellvertretender Direktor des Instituts für Iberoamerikakunde in Hamburg teilt im Gespräch mit DW-WORLD, nicht die Meinung, dass sich das Bild Allendes durch diese Enthüllungen grundsätzlich verändert habe. Die Forschungsergebnisse Farías hätten aber dazu beigetragen, die undifferenzierte Außensicht auf Allende zu verändern. "Gerade in Deutschland hat man lange blauäugig auf die Unidad Popular geblickt und seinen Präsidenten verklärt", sagt Nolte. "Es gibt nicht mehr nur ein Schwarz und Weiß, sondern auch viele Grautöne."