Der Kult um das Haar
3. Januar 2014Würde ein außerirdischer Forscher die Erde mit einem Fernglas betrachten, würde er seinen Kollegen folgendes berichten: Mehr als 7 Milliarden Menschen leben auf der Welt. Fast alle tragen Haare auf dem Kopf - im Durchschnitt 100.000. Auf der ganzen Welt geht man vielfältig und kreativ damit um: geflochten, toupiert, geschoren, gefärbt, wallend oder versteckt. Unser außerirdischer Forscher würde sich fragen: Warum tun sie das? Wir Menschen wüssten im Grunde auch keine Antwort darauf.
Eines steht aber fest: Das Kopfhaar ist für den Menschen mehr als nur ein Schutz vor Wärme oder Kälte. Die Frisur symbolisiert Schönheit, Status, Mythologie oder Religion - je nach Kultur.
Haarkunst in Japan: Die Frisur als Wellness-Konzept
Der japanische Friseur Takamasa Ku Bo (Künstlername "Taka") ist Manager des Salons "Mod's Hair" in Düsseldorf. Eigentlich ist Mod's Hair eine französische Friseurkette. Da dieser Salon aber in einem Stadtteil von Düsseldorf gelegen ist, in dem viele Japaner ansässig sind, knüpft er an der japanischen Haartradition an. Das Haar wird bei Taka gepflegt, frisiert und dazu werden Kopf und Arme massiert.
Haare haben in Japan viele Bedeutungen, erklärt Taka. Das Haar gilt als etwas Lebendiges. Hatte man früher zum Beispiel einen Wunsch, hat man sich eine Strähne abgeschnitten und brachte sie in einen Tempel. Taka hat seine Liebe zur Haarkunst durch Zufall entdeckt. Er ist in Brasilien geboren. Mit 15 Jahren ging er nach Japan, um Profi-Fußballer zu werden. Eine Verletzung beendete seine Wunschkarriere und er nahm einen Job in einem Friseursalon an. Seine Karriere verlief steil und führte ihn schließlich doch wieder zum Profi-Fußball: Heute frisiert er Fußballspieler von Manchester United oder dem FC Nürnberg.
Die Inszenierung des Haars
Warum geht vom Kopfhaar eine solche Faszination aus? Der Kunsthistoriker Christian Janecke erforscht die "Inszenierung des Haars" aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Das Kopfhaar habe keine Funktion mehr wie ein Fell. Es sei längst ein kulturelles Gut: "Je mehr die Haare oder das 'Fell' des Menschen zurückgegangen sind, umso mehr wurde das verbleibende Kopfhaar als wertvoll angesehen", sagt Janecke im Gespräch mit der DW.
Afrikanische Haarverlängerung für Blondinen
Langes Haar ist in den meisten Kulturen ein Statussymbol, erklärt Haarforscher Janecke. Seit über 20 Jahren verlängert der Afroshop "Zeebra Tropicana" in Köln die Haare nach westafrikanischer Tradition. Die Flechttechniken sollten ursprünglich trockenes, krauses Haar in den Griff kriegen. "Mittlerweile ist die Kundschaft größtenteils deutsch", sagt die Friseurmeisterin Baaba Yankah-Oduah. Mit ihrer Flechttechnik verlängert sie dünnes, brüchiges Haar. Zu ihren Kunden zählen viele Blondinen. Baaba kam ursprünglich als Fremdsprachenkorrespondentin der Ghanaischen Botschaft nach Deutschland. Da sie damals oft ihre Kollegen frisierte, kam ihr eines Tages die Idee, einen Salon zu eröffnen - der erste Afrofriseur Kölns.
Jede Kultur kreiert etwas anderes aus ihrem Haar. Eine Zeit lang waren einzelne Frisuren typisch für eine bestimmte Kultur. Heute habe sich das wieder gewandelt, sagt Janecke: "Mittlerweile sieht man überall Frisuren, die verschiedene Elemente traditioneller Haartrachten miteinander kombinieren."
Meister der Klinge: türkische Friseure und deutsche Männer
Auch die Herren legen Wert auf ihren Friseurbesuch. Für das Haar, aber auch für den Bart. Der Friseurberuf hat sich aus dem Beruf des Barbiers entwickelt. Der türkische Friseur Adnan Okutan führt den Salon "Men's World" in Köln. Während bei deutschen Friseuren die elektrische Rasur eher üblich ist, rasiert Adnan mit der Klinge. Aber auch Frisuren verziert er damit: "Mein Vater hat mir das Handwerk beigebracht. Da ich schon immer gut malen konnte, fing ich an, Jugendlichen Muster in die Haare zu rasieren. Eine Zeit lang war das richtig im Trend", erzählt Adnan. Mit seiner Rasierkunst ist er bereits bei der türkischen Fernsehshow "Yetenek Sizsiniz" ("Das Supertalent") aufgetreten. Dem deutschen Hobby-Marathonläufer Gerd Mausbach rasierte er die türkische Flagge in die Seiten, damit er bei einem Marathonlauf in Istanbul auffällt. "Das kam richtig gut an", erzählt Mausbach stolz, während Adnan ihm die Ohrhaare flämmt.
Friseure wie Taka, Baaba oder Adnan haben alle die Haarkünste ihrer Kulturen nach Deutschland gebracht. Leider halten ihre Kopfkunstwerke nicht für immer. Kopfhaare wachsen jeden Tag rund 0,5 Millimeter. "Frisuren sind deshalb etwas, was ständig entgleitet, was wieder Natur wird", sagt Janecke. Wozu dann die aufwendige Haarkunst? Die sei im Grunde nebensächlich, erklärt Janecke: "Die Leute gehen nicht zu einem bestimmten Friseur, weil er ihnen eine tolle Frisur kreiert, sondern, weil er ihren individuellen Kopf am besten versteht."