Der Kuhkopf im Bett
9. Dezember 2002Das britische Königreich hat förmlich darauf gewartet: Pünktlich nach der Bekanntgabe der Nominierungen machte Kultusminister Ken Howells die treffende Bemerkung. Als "kalten, mechanischen, konzeptuellen Mist" bezeichnete Howells die Werke der vier für den diesjährigen Turner Preis nominierten Künstler. Mit seiner Äußerung löste der Minister die alljährlich um den Preis stattfindende Diskussion um Sinn und Unsinn zeitgenössischer Kunst aus.
Den Sex an die Wand gemalt
Auch in diesem Jahr hat es der Turner-Kunst-Preis wieder in sich: Vier junge Künstler wurden für die spektakulärste Preisverleihung Englands nominiert. Einer von ihnen hat es geschafft, den Preis (wieder) zum gewollt kontroversen Ruhm zu torpedieren. Die britische Künstlerin Fiona Banner hat in krakeliger, pinker Schrift eine sehr bildlich und detaillierte Beschreibung eines Pornos an die Wand eines der hohen, hellen Räume in der Londoner Tate Gallery geschrieben. "Seit 2000 benutzt Banner pornografischen Film um die Sexualität und die extremen Grenzen der geschriebenen Kommunikation zu entdecken" steht in der Begleitschrift über die Künstlerin. Doch dieses Kunstwerk wird nicht von jedem als solches verstanden und schon gar nicht als solches akzeptiert. Immerhin findet Fiona Banner auch die Bewunderung der deutschen Kunstszene, beispielsweise im Neuen Aachener Kunstverein.
"It’s art, but is it porno?", titelte vor wenigen Wochen der "Guardian". Auch in diesem Jahr üben sich die Medien in dem traditionellen Turner-Preis-Diskurs, wie auch vor zwei Jahren, als der deutsche Photograph Wolfgang Tillmann die Auszeichnung gewann. Zu den von ihm ausgestellten Bilder gehörte eines von einem Mann mit geöffnetem Hosenschlitz. Damals konzentrierte sich die Kritik auf zwei Fragen: "Ist es Kunst? Oder ist es obszön?". Heute konzentriert sich die Kritik im wesentlichen auf die Frage: "Ist es Kunst, oder ist es Porno?".
Spöttische Bemerkungen gab es gar von der Pop-Prominenz. Bei der Preisverleihung im vergangenen Jahr, als Martin Creedmit seiner Installation - ein leerer Raum, in dem zwei Lichter an und ausgingen - den mit 20.000 Pfund dotierten Preis gewann. Madonna, die den Preis übergab, bezeichnete den Preis als schlichtweg "albern".
Faszinierende Kontroverse
Der Turner Preis wurde 1984 um junge Talente zu fördern. Heute werden die Künstler für ihre "außerordentlichen Ausstellungen in den vergangenen 12 Monaten" nominiert, wie Keith Tyson. Der 33-jährige Maler und Bildhauer erhielt am Sonntag (8.12.2002) den diesjährigen Turner-Preis
"Wir hoffen, dass der Preis weiterhin die Öffentlichkeit dazu animieren wird, Werke zu sehen, die manchmal kontrovers sind, aber nie weniger faszinierend werden", so Janine Headlow, Leiterin der Abteilung Geschichte, Kunst und Religion. "Kontrovers und faszinierend" war beispielsweise auch Damien Hirst’s in Formaldehyd eingelegte Kuhköpfe.
Die Kontroverse um die Werke Banner's, Hirst's und Co. überschattet allerdings andere, nicht minder interessante Stücke. Dabei lassen die zartbeleuchteten, beeindruckenden abstrakten Photographien von Catherine Yass den Besucher schnell die grellpinke Schrift Banners vergessen. Yass’ Videoinstallationen, Filme, aufgenommen aus der Sicht eines ferngesteuerten Helikopters, der langsam kreisend über die Dächer Londons schwebt, ziehen immer wieder Besucher in den Bann, die sich dem Traum vom Fliegen und Freiheit hingeben.
Wo sind nur all die Künstler hin?
Andere Besucher sind weniger "amused". Viele, die aufgrund der unordentlichen Schrift erst einmal näher an das Werk Banner's treten, drehen sich dann schockiert ab, und verlassen mit schnellem Schritt kopfschüttelnd den Raum. Wieder andere scheint die Frage, ob Kunst oder Porn, weniger wichtig zu sein, sie machen sich eher Sorgen um die Richtung, die Großbritanniens junge Kunst eingeschlagen hat. So ist, nahe dem Ausgang, auf dem schwarzen Brett zu lesen: "Where have all the painters gone"?