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Der Herr der Filme

6. Februar 2009

Die Berlinale ist eröffnet. Festivalchef Dieter Kosslick ist allerdings auch das ganze restliche Jahr in Sachen Film unterwegs. Im DW-Gespräch erklärt er, warum.

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Immer gut gelaunt: Dieter KosslickBild: AP

DW.WORLD.DE: Herr Kosslick, was macht ein Festivaldirektor in den 50 Wochen, wenn kein Festival ist?

Dieter Kosslick: Im Prinzip dasselbe wie während des Festivals. Er spricht mit Leuten. Er schaut sich Filme an, er sucht sie aus. Er versucht, Kontakte aufrecht zu erhalten und neue zu knüpfen. Vor allem muss er versuchen, sein Festival so zu verkaufen, dass die Leute da auch hin wollen. Dass die Leute freudig ihre Filme zur Berlinale geben und nicht vielleicht zu einem anderen Filmfestival. Das kostet mich das ganze Jahr.

Das heißt, Sie reisen von Festival zu Festival?

Nein, nicht von Festival zu Festival. Aber ich gehe schon auf einige Festivals, um zu schauen, was die anderen machen. Wie organisieren sie das? Was sind die Trends? Also, das ist tatsächlich ein Jahres-Job. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass wir hier ungefähr 15 Leute sind während des Jahres. Aber wenn die Berlinale dann anfängt, sind wir rund 1.800. Das ist eine riesige Organisation, die geht im September schon los und dauert dann etwa bis Ende März. Über das ganze Jahr gibt es also gar nicht so viel Zeit. Es ist ein halbes Jahr übrig, dann gehe ich noch sechs Wochen in Urlaub, und während der restlichen Zeit bin ich auf der Piste.

Berlinale Dieter Kosslick im Gespräch mit Jochen Kürten
Dieter Kosslick im Gespräch mit DW-Redakteur Jochen Kürten.Bild: DW Jochen Kürten

Sie gelten als Kommunikationstalent. Wie wichtig ist es, einen guten Draht zu den Kollegen zu haben?

Das ist grundsätzlich immer gut. Das ist ja nicht nur bei uns so. Aber da wir ein halbes Jahr lang über Produkte sprechen, die es noch gar nicht gibt und von denen man nur die Zutaten weiß - nämlich die Stars, den Regisseur, das Thema - ist es besonders wichtig. Es ist gut, wenn man die unterhalten kann und es ist gut, wenn man sich auch versteht. Denn nichts ist schlimmer, als dass der Film falsch plaziert wird auf einem Filmfestival. Und dann geht es dem Film nicht gut und dem Regisseur auch nicht. Von daher ist der berühmte Satz "Sprechen hilft" auch im Filmgeschäft ziemlich wichtig und vor allen Dingen für Festivaldirektoren.

Welcher Film die Berlinale eröffnen wird, ist schon lange vor dem restlichen Programm bekannt gegeben worden. Es ist "The International" von Tom Tykwer. War es schwierig, den Film zu bekommen?

Ja, wir haben lange geredet. Das ist ein Tom-Tykwer-Film mit einer riesigen Dimension. Der heißt nicht nur "The International", sondern der ist auch international gedreht. Bei so einer Riesenproduktion sind natürlich sehr vielfältige Kräfte am Werk. Hier war es aber so, dass wir uns sowohl mit dem Studio - Sony - als auch mit den deutschen Sony-Freunden, die ja auch hier am Potsdamer Platz sitzen, einig waren, dass wir den Film unbedingt haben wollen auf der Berlinale. Und von daher haben alle an einem Strang gezogen. Dass das alle wollten, das war das wichtigste. Jetzt werden wir einen Film haben, bei dem sich die Leute wundern werden, wenn sie diesen Film sehen. Warum ausgerechnet so ein Film jetzt rechtzeitig zur Finanzkrise fertig ist? Der beschäftigt sich mit internationalen Finanzmachenschaften von Banken! Das ist der Film zum Thema!

Regiesseur Tom Tykwer
Darsteller Naomi Watts und Clive Owen und Regisseur Tom TykwerBild: AP

Was haben Sie denn in den vergangenen Monaten auf Ihren Reisen bei Festivalbesuchen erlebt? Gibt es etwas, bei dem Sie sagen: Das ist ein neuer Trend, zum Beispiel regional oder thematisch?

Es gibt schon Trends. Viele Filme beschäftigen sich mit den Kriegen auf der Welt, aber nicht mehr so wie während der vergangenen Jahre, dass man das Kriegsgeschehen gesehen hat oder Kämpfe und Soldaten vor Ort. Heute beschäftigen sich viele Filme mit den Auswirkungen des Krieges. Was bedeutet es eigentlich für die Familie, wenn das 4-jährige Kind den Vater verliert? Oder wenn die gerade frisch verheiratete Frau ihren Liebsten auf dem Schlachtfeld lassen muss? Und was bedeutet es eigentlich, wenn Soldaten zurückkommen in diese ganz "normale" Gesellschaft und plötzlich wieder als Taxifahrer arbeiten müssen, nachdem sie zwei Jahre lang auf Morden und Töten gedrillt waren. Die Beschäftigung mit der privaten Situation, das ist ein Thema. Für mich nicht überraschend, aber es ist doch überraschend stark in verschiedenen Ländern. Es ist auch ein Thema, das die ganze Welt irgendwie betrifft. Da sind wir jetzt durch Zufall gut vorbereitet, schon seit zwei, drei Jahren.

Berlinale Ticketverkauf 2008
Run auf die Tickets - Jedes Jahr stürmen die Fans die VorverkaufsschalterBild: AP

Fällt Ihnen noch ein anderer Trend ein?

Immer mehr Filme - vor allen Dingen auch Dokumentarfilme, aber auch große inszenierte Filme - beschäftigen sich mit dem Essen, mit der Lebensmittelproduktion. Man liest ja jeden Tag davon. Da gibt es auch eine große - nicht nur ökologische - Bewegung, einfach Leute, die sich wehren und sagen: Das geht nicht mehr so weiter! Das ist ein großes Thema, und das wird auch bei der Berlinale ein großes Thema sein. Wir werden einen großen Film gleich zu Anfang der Berlinale zeigen. Der heißt „Food inc.“ und zeigt diese Machenschaften und deckt sie auf. Das hat eine ähnliche Dimension wie die Finanzkrise. Das ist eine internationale Apokalypse, die da miteinander verwoben ist. Wenn da nicht irgendwann ein anderes Nachdenken darüber beginnt und vor allem eine andere Produktionsweise gefunden wird, dann werden wir auch im Essensbereich das erleben, was wir jetzt auf dem Bankkonto beziehungsweise im Bankenbereich erleben: ein richtiges Desaster.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.