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Der große Sheriff

Bernd Riegert21. Mai 2002

US-Präsident George W. Bush besucht in dieser Woche Europa. Der Mann, der im Jahr 2000 nur knapp ins Weiße Haus einzog, ist bei seinen Landsleuten so beliebt wie kaum ein Amtsinhaber zuvor. Ein Porträt von Bernd Riegert.

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Bild: AP

Auf seinem Nachttisch liegt schon seit Wochen ein dickleibiger Dostojewski-Sammelband. Die Lektüre des russischen Klassikers hat sich George W. Bush (55) als Vorbereitung für seinen Gipfel mit Duz-Kumpel Wladi Putin verordnet. Wie viele Seiten er tatsächlich gelesen hat und welche er davon verstanden hat, darüber schweigt der eisern organisierte Apparat des Weißen Hauses.

Sinn für Humor

Zweifel an des Hobby-Ranchers intellektuellen Fähigkeiten sind nie verstummt. "W" (sprich: Dabbeljuu), wie seine Freunde ihn nennen müssen, schreckt das wenig. Er macht über seine Schwächen gerne Witze. Erst kürzlich reichte er bei einem Journalistendinner ein Foto herum, das ihn Grimassen schneidend zeigt. "Hier übe ich gerade mit Laura das Wort "Aserbaidschaner" auszusprechen", scherzte der Präsident. Laura, seine Ehefrau, ist ihm wichtige Stütze und Beraterin. Die ehemalige Bibliotheksangestellte holt "W" auf den Boden der Tatsachen zurück und soll auch seine wunderbare Wandlung vom pichelnden Vorstadt-Casanova zum religiösen Abstinenzler bewerkstelligt haben. Das war so um den vierzigsten Geburtstag George Bushs herum.

Der Vater, der erste Präsident Bush, war mit den Leistungen seines Sprößlings bis dahin gar nicht zufrieden. Bush junior beschloss in die Politik zu gehen und seinem Daddy nachzueifern. Und das tat er dann auch, bauernschlau und ehrgeizig. Die Präsidentschaftswahl gewann er 2000 so knapp wie niemand jemals zuvor. Der mehrheitlich konservative Oberste Gerichtshof bestimmte schließlich den texanischen Gouverneur zum Präsidenten. In den ersten Monaten seiner Präsidentschaft konzentrierte sich George W. Bush, oder besser gesagt konzentrierten ihn sein Chefberater Carl Rove und Vize-Präsident Dick Cheney auf Innenpolitik. Cheney und Rove haben bei den Bush-Männern das Sagen.

Kampf gegen den Terrorismus

Dann kam der 11. September und George W. Bush, der ferne Länder und Geografie bis dahin mied, musste sich plötzlich mit Außenpolitik beschäftigen. Plötzlich gab ein ungewohnt entschlossener und staatsmännischer Bush seiner Präsidentschaft einen neuen Sinn: Der Kampf gegen das Böse, den Terror in Afghanistan und anderswo. Einen Sinn so recht nach dem Geschmack des in einfachen Kategorien denkenden Präsidenten: Gut gegen Böse. Weiß gegen Schwarz. Alle die nicht für ihn sind, sind gegen ihn. Die Falken Rumsfeld, Wolfowitz, Perle und andere, die Bush aus der Administration seines Vaters wiederbelebt hatte, sahen und sehen ihre Stunde gekommen. Auf diese Herren und ihren Rat "America first!" hört Bush und manchmal auch auf Condolezza Rice, seine Sicherheitsberaterin. Immer wenn es kompliziert wird, brüllt George W. durchs Weiße Haus: "Bringt mir Condi!".

Die Amerikaner lieben George Bush II. Seine Zustimmungsraten in Umfragen sind traumhaft, besser noch als die seines politischen Vorbildes Ronald Reagan. Nur einige gerieten ins Grübeln, als der Präsident sich beim Bretzelessen in Ohnmacht versetzte und vom Sofa kullerte. Jetzt geraten mehr ins Grübeln, weil die Bush-Leute nun in die Rentenkasse greifen müssen, um die explodierenden Ausgaben fürs Militär und die Steuergeschenke zu decken. Zweifel an Bush nähren außerdem Berichte, er habe auf Terrorwarnungen vor dem 11. September möglicherweise zu lasch reagiert.

Wahlkampf in den USA

Da in den USA der Wahlkampf für die Kongress-Zwischenwahlen im Herbst voll im Gange ist, erledigt Bush die anstehenden Staatsbesuche in Europa als lästige Pflicht. Er möchte lieber zuhause sein, bei Laura, Carl und Dick auf dem Bretzel-Sofa. Denn im Wahlkampf daheim, glaubt George W. Bush, kann er seine beste Rolle geben: Den Durchschnitts-Amerikaner, der mit viel Glück, guten Beziehungen, sympathischer Ausstrahlung und sturem Führungswillen seinen Weg gemacht hat.