Erfolg oder Farce?
9. Juni 2007Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Beschlüsse des G8-Gipfels zum Klimaschutz und zur Afrikahilfe als "wichtige Weichenstellungen für die Lösung globaler Probleme" verteidigt. Zum Abschluss des dreitägigen Gipfels der acht führenden Industrienationen sagte die Kanzlerin und G8-Vorsitzende am Freitag (8.6.2007) in Heiligendamm seien "weit reichende Beschlüsse" gefasst worden, mit deren Hilfe es gelingen könne, der Globalisierung ein menschliches Gesicht zu geben. Es sei gelungen, Fortschritte in allen Schwerpunktthemen der deutschen Präsidentschaft zu erzielen. Den Klimakompromiss verteidigte sie als wegweisend. Es gebe nun einen klaren Verhandlungsauftrag unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN). Auch die Entwicklungs- und Schwellenländer hätten zuletzt deutlich gemacht, dass sie sich diesem Prozess verpflichtet fühlten. "Es geht darum, eine globale Gefahr abzuwenden, wir haben keine Alternative", betonte Merkel.
Merkel: Klimakompromiss wegweisend
Die Kanzlerin bekräftigte, für die Entwicklungs- und Schwellenländer müssten andere Klimaschutzschritte vereinbart werden als für die wirtschaftsstarken Industrienationen. Es gelte das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung und unterschiedlicher Beiträge. Welche konkreten Ziele den Schwellenländern gesetzt werden sollten, stünde aber noch nicht fest. Schon am Donnerstag hatten sich die G8-Staats- und Regierungschefs verständigt, im UN-Rahmen ein Nachfolgeabkommen für das im Jahr 2012 auslaufende Kyoto-Klimaschutzprotokoll auszuhandeln und damit bereits bei der UN-Klimakonferenz in Bali im Dezember zu beginnen. Die EU-Staaten, Japan und Kanada verpflichteten sich zudem, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 zu halbieren, die übrigen G-8-Staaten ziehen eine Übernahme des Ziels nach dem Gipfelbeschluss "ernsthaft in Betracht.
Merkel nennt Afrikahilfe "Kraftanstrengung"
Merkel verteidigte die Beschlüsse zum zweiten Gipfel-Schwerpunkt Afrika gegen scharfe Kritik von Hilfsorganisationen. Hier sei eine Kraftanstrengung gelungen. Zudem sicherte die Kanzlerin zu, alles zu unternehmen, um die eingegangenen Verpflichtungen zur Erhöhung der Entwicklungshilfe für Afrika umzusetzen. "Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und werden unsere Verpflichtungen auch erfüllen." Nicht-Regierungsorganisationen kritisierten, die zugesagten Hilfen reichten bei weitem nicht aus, um dem Kontinent nachhaltig zu helfen. Nach dem Gipfelbeschluss soll neben der Aufstockung der Finanzhilfe um 60 Milliarden Dollar mindestens fünf Millionen Aids-Kranken in Afrika der Zugang zu Medikamenten ermöglicht werden.
"Afrika soll nicht länger am Katzentisch sitzen"
"Brot für die Welt" hat sich enttäuscht über die Ergebnisse des G8-Gipfels gezeigt und kritisierte die Unverbindlichkeit der Absichtserklärungen in Klima- und Afrikapolitik. Mehr Geld für den Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose zur Verfügung zu stellen, wie es die G8 beschlossen habe, sei richtig. Allerdings würde die Zusage durch die Verschärfung des Patentrechts ad absurdum geführt, kritisierte die Direktorin der evangelischen Hilfsorganisation Cornelia Füllkrug-Weitzel. Dieses stelle ein zentrales Hindernis beim Zugang zu bezahlbaren Medikamenten dar. Zudem fehlten verbindliche Aussagen der einzelnen Regierungschefs über Umfang und Zeitrahmen der Hilfe. Der Beschluss sei deshalb ebenso wertlos wie frühere Versprechen.
Füllkrug-Weitzel kritisierte die "Almosenpolitik" gegenüber Afrika. Um wirklich Fortschritte beim Kampf gegen Armut und Aids zu machen, müssten die Regierungschefs der G8-Staaten endlich mit den afrikanischen Staaten verhandeln und nicht über sie. "Afrika darf nicht länger am Katzentisch der G8 sitzen wie in Heiligendamm", betonte die Direktorin des evangelischen Hilfswerks. Dies könne nur durch eine verstärkte Mitbestimmung in den internationalen Finanzgremien, wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, gewährleistet werden.
Bono und Geldof: "reine Farce"
Scharfe Kritik kam auch von den Afrika-Aktivisten Bob Geldof und Bono ("U2"). Sie bezeichneten den G8-Gipfel in Heiligendamm als "reine Farce". Kanzlerin Angela Merkel habe sich zwar bei einem Treffen ihre Vorschläge für eine größere Afrikahilfe angehört, aber leider alle zurückgewiesen, sagte Geldof nach Abschluss des Gipfels. Das Abschlussdokument zu Afrika ("Wachstum und Verantwortung in Afrika") sei ein zynischer Text, in dem lediglich alte Versprechungen wiederholt würden. Bono nannte den Text ein sprachliches Labyrinth, dessen einzige Zweck es sei, dass sich alle darin verirrten und nicht wüssten, was es bedeute.
Merkel äußerte sich auch zu den außenpolitischen Beratungen der G8-Staaten. Angesichts der anhaltenden Weigerung des Iran, seine Urananreicherung auszusetzen, nannte Merkel neue Sanktionen zwangsläufig. Auch wenn die Wirkung neuer Strafmaßnahmen nicht unmittelbar messbar sei, gebe es doch keine andere Wahl. Zugleich schloss die Kanzlerin ein gewaltsames Vorgehen aus: "Die Anstrengungen sind diplomatischer Natur und werden diplomatischer Natur bleiben."
Keine Einigung in Kosovofrage
In der Kosovo-Frage gab es in Heiligendamm keine Einigung. Es gebe noch unterschiedliche Auffassungen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die politischen Direktoren sollten nun kommende Woche weitere Gespräche führen, um eine einvernehmliche Haltung in der Frage zu erreichen. "Die Zeit drängt", sagte Merkel. Die USA forcieren eine Umsetzung der Pläne von UN-Vermittler Martti Ahtisaari, die eine kontrollierte Unabhängigkeit der seit 1999 unter UN-Verwaltung stehenden Provinz vorsehen. Russland lehnt dagegen eine Regelung gegen den Willen der serbischen Regierung ab, die sich vehement gegen eine Loslösung des Kosovo stemmt. "Man muss Geduld haben und anderen Ländern und Völkern nicht seinen Willen aufzwingen", sagte Russlands Präsident Wladimir Putin in Heiligendamm. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete die stockenden Bemühungen um Fortschritte für eine Unabhängigkeit des Kosovo als "Negativpunkt" des G8-Gipfels. Sarkozy hatte vorgeschlagen, den UN-Kosovo-Beschluss für sechs Monate auszusetzen, sofern Moskau grundsätzlich den Weg des Kosovo in die Unabhängigkeit anerkennt.
G8-Gegner zufrieden: "erfolgreich blockiert"
Die G8-Gegner zeigten sich zufrieden mit ihren Protesten. Die Sprecherin der Kampagne Block-G8, Lea Voigt, sagte: "Wir haben es geschafft, den Gipfel die ganze Zeit über auf der Straße lahm zu legen." Die Polizei habe auf ihren Plan B zurückgreifen und Heiligendamm per Hubschrauber und übers Wasser versorgen müssen. Es hätten sich bis zu 13.000 Menschen an den Blockaden beteiligt. Nach Angaben von Juristen, die die Proteste begleiteten, wurden insgesamt 1200 Demonstranten von der Polizei in Gewahrsam genommen, darunter etwa 500 Blockierer. (vem)