Der Fürst, das Bild und die Klage
15. April 2002Die Liechtensteiner sind sauer. Das Fürstentum, Mitglied der Vereinten Nationen und Sitz zahlreicher Briefkastenfirmen, ist seit 1806 ein unabhängiger Staat. Das scheint sich allerdings noch nicht bis nach Berlin herumgesprochen zu haben. Deutschland, klagt die Bergmonarchie mit rund 32.000 Einwohnern, missachte wiederholt die staatliche Souveränität des Fürstentums und eigne sich liechtensteinisches Vermögen an.
Was war passiert? Nein, im Gegensatz zu Mallorca wurde Liechtenstein noch nicht zum 17. Bundesland erklärt. Das Schloss von Vaduz befindet sich weiter fest in der Hand von Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein. Und auch die liechtensteinischen Schlüsselindustrien – Banken, Briefmarkengeschäfte und Cafes – werden weiterhin von Schaan, Balzers und Triesen und nicht von Hamburg, Köln, und München aus gesteuert.
Kalkofen und Benes
Den Ärger der Liechtensteiner löste ein Ofen aus. Genauer: Das Bild "Szene um römischen Kalkofen" des Barockmalers Pieter van Laer. Es gehört seit mehr als 120 Jahren dem liechtensteinischen Fürstenhaus und hing bis 1945 in einem Schloss des Fürsten von Vaduz – in der Tschechoslowakei. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es von der Regierung in Prag als deutsches Auslandsvermögen enteignet. Hintergrund waren die Benes-Dekrete, wonach Eigentum von Deutschen und Ungarn sowie von Verrätern und Kollaborateuren verstaatlicht wurde. Neben dem Bild konfiszierte die Tschechoslowakei auch riesige Ländereien, darunter zahlreiche Schlösser und Kirchen liechtensteinischer Bürger. Der Wert des Eigentums wurde nie geschätzt, die Summe dürfte jedoch in die Milliarden gehen.
Das beschlagnahmte liechtensteinische Vermögen betrachtet die Tschechoslowakei als Ausgleich für deutsche Kriegsschulden. Deutschland protestierte nicht dagegen, schließlich zahlt niemand gerne mehr Schulden als unbedingt nötig, sondern teilte die Auffassung der Prager Regierung. Auf Juristendeutsch lautet das dann so: Deutschland habe nach Ende des Zweiten Weltkriegs vertraglich zugesagt, die Beschlagnahmung von Auslandsvermögen zu akzeptieren. Daher sei konfisziertes liechtensteinisches Vermögen auf dem Gebiet der früheren Tschechoslowakei wie deutsches Auslandsvermögen zu behandeln, urteilte das Bundesverfassungsgericht 1998. Die Folge: Enteignetes liechtensteinisches Vermögen kann zur Bezahlung deutscher Kriegsschulden verwendet werden.
Enteignung mit Schönheitsfehlern
Das Ganze hat aus liechtensteinischer Sicht gleich mehrere Schönheitsfehler: Weder der Fürst noch seine Familie sind deutsche Staatsbürger oder deutscher Abstammung. Außerdem wurde Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg von allen Kriegsparteien als neutral anerkannt und war daher kein Verbündeter Deutschlands.
Gegen die Zwangsvereinnahmung durch den großen Nachbarn fährt der Kleinstaat jetzt schwere Geschütze auf: Noch hat das Fürstentum zwar weder ein Einreiseverbot für deutsche Reisebusse auf Kaffeefahrt erlassen noch Ausfuhrbeschränkungen für liechtensteinische Briefmarken nach Deutschland verhängt. Stattdessen setzt Vaduz auf andere Mittel um seine verletzte Souveränität wiederherzustellen: den Appell an die Weltöffentlichkeit und den Griff an die Geldbörse.
Beide Ziele lassen sich durch einen großen Gerichtsprozess mit internationaler Berichterstattung erreichen. Deswegen hat Liechtenstein jetzt Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt. Damit sitzt die Bundesrepublik erstmals in Den Haag auf der Anklagebank.
Liechtensteiner sind keine Deutsche
Liechtenstein will Deutschland zu Entschädigungszahlungen zwingen. Die Bundesrepublik habe durch das Verfassungsgerichtsurteil die staatliche Souveränität des Fürstentums missachtet. Liechtensteiner seien nun mal keine Deutsche, lautet die Begründung internationaler Staatsrechtler, die das Fürstentum beraten. Zudem seien durch die Enteignungen die Eigentumsrechte liechtensteinischer Staatsbürger verletzt worden. Deutlicher drückte es der liechtensteinische Außenminister aus: Deutschland hat mit dem Geld anderer Leute – also liechtensteinischer Staatsbürger – Anteile seiner Kriegsschulden bezahlt.
Nun ist die Bundesregierung am Zug: Sie muss sich innerhalb der nächsten drei Monate zur Zulässigkeit der Klage äußern. Während Deutschland sich mit öffentlichen Erklärungen zur Klage bislang zurückgehalten hat, betreibt Liechtenstein eine umfangreiche und ständig aktualisierte Internetseite zum Verfahren. Falls der Internationale Gerichtshof den Fall als aussichtsreich annimmt, könnte der Presse-Rummel aus Vaduz erst richtig losgehen. Da Deutschland an einem langwierigen Prozess mit Schlagzeilen wie "David gegen Goliath" wenig Interesse haben dürfte, halten Experten eine außergerichtliche Einigung durchaus für möglich. Sein barockes Gemälde wird Fürst Hans-Adam durch die Klage jedoch auf keinen Fall zurückbekommen. Das hängt heute in Tschechien. Und Prag hat das Fürstentum bislang noch nicht einmal offiziell als Staat anerkannt.