"Der spanischen Justiz Fesseln auferlegt"
6. April 2018Der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont wird das Oberlandesgericht in Schleswig vermutlich lange in Erinnerung behalten: Am Donnerstag haben die Richter im kleinen norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein entschieden, dass seine Auslieferung an Spanien wegen des Straftatbestands der Rebellion nicht in Betracht kommt. Damit haben sie den schwerwiegenderen der zwei Straftatbestände, die Puigdemont in Spanien zur Last gelegt werden – zum einen Rebellion, zum anderen die Veruntreuung öffentlicher Gelder – fallen lassen.
Prüfung geht weiter
Juristen werten dieses Urteil als wegweisend, da es einen möglichen Prozess gegen den katalanischen Politiker in Spanien entscheidend verändern könnte. Nachdem die Richter in Schleswig-Holstein den Vorwurf der Rebellion "abgeräumt" haben, könne Puigdemont auch in Spanien deswegen nicht mehr angeklagt werden, betont der Jurist Nikolaos Gazeas, Spezialist für Auslieferungsrecht. Im Rahmen der in der EU praktizierten "beiderseitigen Strafbarkeit" dürfte Puigdemont nur für solche Taten in Spanien angeklagt werden, die auch in Deutschland strafbar sind.
Keine Anklage mehr wegen Rebellion
"Schleswig-Holstein hat der spanischen Justiz nun Fesseln auferlegt, Herrn Puigdemont auch im Falle einer Auslieferung nicht wegen Rebellion anzuklagen", erklärte Gazeas in der ARD. Der Vorwurf der "Rebellion" ist die schwerste politische Straftat, die das spanische Strafgesetzbuch kennt. Darauf stehen bis zu 25 Jahre Gefängnis. Nach Ansicht der Richter wäre das Puigdemont zur Last gelegte Verhalten nach deutschem Recht aber nicht strafbar. Der in Betracht kommende Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil es am Merkmal der "Gewalt" fehle, befanden die Richter am Oberlandesgericht in Schleswig.
Auslieferung immer noch möglich
Der 55-jährige Separatistenführer könnte dennoch nach Spanien ausgeliefert werden, aber nur wegen der "Veruntreuung öffentlicher Gelder", auf die viel geringere Strafen stehen als auf Rebellion. Die spanische Justiz wirft Puigdemont die Veruntreuung öffentlicher Gelder vor, weil er den Volksentscheid zur Unabhängigkeit der spanischen Provinz Katalonien trotz eines Verbots des spanischen Verfassungsgerichts abgehalten hat und mit rund 1,6 Millionen Euro aus der Staatskasse finanziert haben soll.
Diesen Vorwurf prüfen die Richter in Schleswig-Holstein derzeit. Zu einem Ergebnis kommen müssen sie spätestens im Mai, da die Entscheidung über eine Auslieferung laut Gesetz innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme fallen muss. Puigdemont war am 25. März auf der Autobahn in Schleswig-Holstein von der Polizei festgenommen worden. An diesem Freitag durfte er das Gefängnis in Neumünster unter Auflagen wieder verlassen. Zuvor hatte er eine Kaution von 75.000 Euro hinterlegt, er darf Deutschland nicht verlassen und muss mitteilen, wo er sich aufhält.
Warum ist Carles Puidemont in Spanien wegen Rebellion angeklagt? Als Präsident der katalanischen Autonomieregierung hatte er am 1. Oktober 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien abgehalten, obwohl das spanische Verfassungsgericht dieses für illegal erklärt hatte. Als das Regionalparlament wenige Wochen später die Unabhängigkeit Kataloniens ausrief, enthob ihn die spanische Regierung seines Amtes. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Puigdemont und die Mitglieder seiner Regierung und setzte einen Gerichtstermin an. Zu diesem erschienen einige seiner Minister und wurden in Haft genommen, während Puigdemont sich mit einem Teil seines Kabinetts nach Brüssel absetzte.
Europäischer Haftbefehl erneut ausgesetzt?
Daraufhin erließ die spanische Regierung einen europäischen Haftbefehl gegen ihn und seine Mitstreiter, den sie später wieder zurückzog. Das könnte mit dem zweiten, am 23. März von Spanien erwirkten europäischen Haftbefehl nun erneut passieren, mutmaßt der Jurist Nikolaos Gazeas. "Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass die spanische Justiz auch jetzt wieder den Haftbefehl nach reiflicher Überlegung zurücknimmt und Puigdemont möglicherweise deswegen dann auch gar nicht ausgeliefert wird, sondern das Verfahren sich auf diese Weise erledigt." Sollte die spanische Justiz den europäischen Haftbefehl zurücknehmen, wäre das juristische Verfahren über eine Auslieferung sofort beendet.
Geringere Haftstrafe erwartbar
Ein Grund für die Rücknahme des europäischen Haftbefehls könnte sein, dass Puigdemont im Fall seiner Auslieferung vor Gericht eine weitaus geringere Strafe zu erwarten hätte als seine ehemaligen Minister, da er ja nicht mehr wegen "Rebellion" angeklagt werden könnte, sondern nur noch wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. "Diese Ungleichheit war auch der Anlass, warum der spanische Ermittlungsrichter den ersten europäischen Haftbefehl gegenüber Belgien zurückgenommen hat und gesagt hat: Unter den Bedingungen wollen wir Puigdemont nicht haben", meint der Jurist Gazeas. Allerdings besteht der nationale Haftbefehl gegen Puigdemont in Spanien in jedem Fall weiter, so dass ihm im Fall seiner freiwilligen Rückkehr aus dem Exil eine lange Haftstrafe drohen könnte.