Hussein K.: Kriminalität und Herkunft
22. März 2018Der Fall scheint schnell eindeutig: Eine junge Frau wird vergewaltigt und ermordet. Der Täter ist jung, männlich und er sagt, dass er aus Afghanistan kommt. Ein Flüchtling. In den Sozialen Medien tobt ein Mob. Der Mord an Maria L. im Herbst 2016 im süddeutschen Freiburg sorgt für Schlagzeilen. Und in Deutschland wächst die Angst vor Fremden.
Weniger Beachtung findet ein Ereignis kurz darauf. In Freiburgs Innenstadt brennen Kerzen. Afghanische Bürger haben sich versammelt, bekunden ihr Mitgefühl mit den Angehörigen der ermordeten Maria. "Wir wollen klarmachen, dass nicht alle Flüchtlinge Verbrecher sind", sagen ein paar junge Geflüchtete. Als ob sie sich entschuldigen müssten.
Freiburger Initiativen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, müssen in den Wochen nach dem Mord ihre Online-Seiten sperren, da sie mit Beschimpfungen und Anfeindungen überschüttet werden. Sie werden als "Täterschützer" beschimpft. Der Täter, Hussein K., wurde jetzt zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Prozess ist vorerst abgeschlossen. Die Debatte aber bleibt.
Wie wichtig ist Herkunft von Verdächtigen und Tätern?
"Wir erleben derzeit eine starke Fixierung auf nichtdeutsche Täter. Was wir oft nicht sehen ist, welche Auswirkungen das auf die zu Unrecht Verdächtigten hat", mahnt die Juristin Doris Liebscher von der Humboldt-Universität Berlin. Sie forscht zu Antidiskriminierung und Rassismus. "Rassistische und menschenverachtende Zuschreibungen sind in den letzten Jahren wieder salonfähig geworden. Und es sind eben die Minderheiten, die darunter zu leiden haben."
Die Kriminologin Daniela Hunold hält wenig von der Debatte. Sie forscht an der Deutschen Hochschule der Polizei. "Aus kriminologischer Sicht bietet die Herkunft von Tätern keinen Mehrwert. Warum ein Täter zum Täter wird, hat nichts mit seiner Herkunft zu tun, erklärt seine kriminelle Handlung nicht", sagt Hunold. "Wenn ein Täter schlimme Kriegserfahrungen gemacht hat und traumatische Erlebnisse hatte, kann das einen Einfluss auf seine Psyche haben. Muss es aber nicht."
Hunold argumentiert, dass durch die Fokussierung auf die Herkunft des Täters, wichtige andere Aspekte aus dem Blickfeld geraten: Wer war bei dem Verbrechen vor Ort? Waren Drogen im Spiel? "Teilweise ist die Fokussierung auf die Herkunft der Täter auch irreführend", warnt die Kriminologin. Zum Beispiel im Fall der Mordserie an Einwanderern durch die rechtsextremistische Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund". Weil die Opfer überwiegend aus der Türkei stammen, verdächtigte die Polizei die Familien selbst und vermutete die Täter im türkischen Drogenmilieu. Das Merkmal Herkunft hat die Ermittler auf eine falsche Spur gebracht.
Medien in der Zwickmühle
Verschärft hat sich die Diskussion um die Angabe der Herkunft der Täter seit der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Damals hatten Männergruppen, vorwiegend aus dem nordafrikanischen Bereich, auf der Kölner Domplatte und im Bereich des Hauptbahnhofs zahlreiche Frauen sexuell belästigt. Bemängelt wurde im Nachhinein nicht nur die Arbeit der Polizei, sondern vor allem auch die späte und zunächst sehr eingeschränkte Berichterstattung diverser Medien. Dass auch Flüchtlinge unter den Angreifern waren, wurde teilweise verschwiegen.
Viele deutsche Journalisten reagieren verunsichert. Auch der deutsche Pressekodex bietet wenig Orientierung. Er empfiehlt die Herkunft der Täter nur zu nennen, wenn es ein öffentliches Interesse gibt. Aber wann liegt das vor?
Bei der Sächsischen Zeitung in Dresden ist dieses Interesse immer gegeben. Sie nennt seit langem die Herkunft der Täter. "Für mich gehört das zur Vollständigkeit. Wenn wir das nicht tun, denken unsere Leser sowieso, der Täter sei Ausländer", erzählt Polizeireporter Alexander Schneider. Das habe vor allem damit zu tun, dass es in der Region sehr viel Grenzkriminalität gebe. "Wenn Sie von einem 30-jährigen Autodieb berichten und nicht dazu schreiben, dass er aus Tschechien kommt, hat das fast schon etwas Komisches", erzählt er. Die Zeitung schreibt jetzt aber auch immer, wenn es sich um deutsche Täter handelt. Indem er auch Deutsche als Täter und Tatverdächtige benennt, will er die Lücke zwischen gefühlter und tatsächlicher Kriminalität durch Flüchtlinge schließen.
Für die Juristin Doris Liebscher von der Humboldt Universität geht diese Argumentation nicht auf. "Man muss abwägen, ob das öffentliche Interesse größer ist, als der Schaden, den der Einzelne oder eine ganze Personengruppe erleiden kann", sagt sie. Das Grundgesetz biete uns da eine ganz klare Orientierung. Und oftmals helfe ein Perspektivenwechsel: "Wenn rechte Populisten tönen, dass mit den Flüchtlingen Mord- und Totschlag nach Deutschland gekommen sind, dann stimme ich dem zu: Es wurden Asylunterkünfte angezündet und Flüchtlinge getötet. Menschen, die wir laut Gesetz eigentlich hier schützen sollen."