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Terrorismus

Anis Amri: Viele Fragen und kaum Antworten

19. Dezember 2018

Zwölf Menschen starben am 19. Dezember 2016 beim schwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland. Aufklärungsarbeit leisten vor allem parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Leicht haben sie es nicht.

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Fahndungsfotos des gesuchten Tunesiers Anis Amri
Anis Amri schon lange vor dem Anschlag am Breitscheidplatz im Visier der Sicherheitsbehörden Bild: picture alliance/dpa/A. Dedert

"Bekannt wie ein bunter Hund": So spricht man in Deutschland über Leute, die durch ihr Aussehen oder Verhalten allgemein auffallen. Der Attentäter Anis Amri war so einer. In deutschen Sicherheitsbehörden kannten ihn viele schon lange, bevor er einen Lastwagen stahl, den Fahrer ermordete und anschließend in den ungeschützten Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz raste. Elf weitere Menschen riss der aus Tunesien stammende Terrorist am 19. Dezember 2016 in den Tod, mehr als 60 wurden teilweise schwer verletzt.

Dass der später auf der Flucht erschossene Amri kein unbeschriebenes Blatt war, ist zwei Jahre nach dem schlimmsten islamistischen Anschlag in Deutschland längst eine Gewissheit. Schon der 2017 vom Berliner Senat eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost wunderte sich, warum der vorbestrafte und rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber trotz intensiven Drogenhandels auf freiem Fuß geblieben war. Eine plausible Antwort hat bislang niemand gefunden – weder die Untersuchungsausschüsse im Stadtstaat Berlin und in Nordrhein-Westfalen noch das im März eingesetzte parlamentarische Gremium des Bundestages.

Martina Renner wundert sich über die Arbeitsweise beim Verfassungsschutz

Dort war Mitte November eine Zeugin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) geladen, die zum Zeitpunkt des Terroranschlags mit der Auswertung islamistischer Internet-Seiten befasst war. Aber obwohl Amri immer wieder Gesprächsthema im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern in Berlin war, kümmerte sich angeblich niemand um die Social-Media-Aktivitäten des späteren Attentäters. Facebook-Profile Amris blieben demnach ebenso unbeachtet wie einschlägige Chat-Gruppen, wundert sich Untersuchungsausschuss-Mitglied Martina Renner.

Bundesparteitag der Partei Die Linke Martina Renner
Martina Renner (Linke): "Hat man nicht das Richtige getan oder sagt man uns nicht die Wahrheit?"Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

"Was machen die eigentlich?", fragt sich die Obfrau der Linken im Gespräch mit der Deutschen Welle. Vielleicht habe das BfV keine Kriterien, welche Personen in den Blick genommen werden sollten. Eine andere Erklärung wäre für sie, dass der Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden von eigenen Versäumnissen und Fehleinschätzungen ablenken wolle. Letztlich gibt es aus Renners Sicht nur zwei Möglichkeiten: "Hat man nicht das Richtige getan oder sagt man uns nicht die Wahrheit?"

FDP, Grüne und Linke verklagen die Bundesregierung

Ihr Misstrauen gegenüber Behörden speist sich auch aus dem restriktiven Umgang mit Ermittlungserkenntnissen aus laufenden Gerichtsverfahren. Der Ausschuss erhalte keine Akten aus dem in Celle (Niedersachsen) stattfindenden Prozess gegen den mutmaßlichen Anführer der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) in Deutschland, Abu Walaa. Dass Amri den Iraker kannte, gilt als sicher.

Auch auf sogenannte V-Mann-Führer, die Spitzel im islamistischen Milieu mit konkreten Aufträgen versorgen, muss der Untersuchungsausschuss verzichten. Deshalb hat die Linke nun gemeinsam mit Grünen und Freien Demokraten (FDP) beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Klage gegen die Bundesregierung eingereicht. 

Parallelen und Unterschiede zum NSU

Die Verweigerungshaltung der Bundesregierung geht nach Martina Renners Erfahrungen weit über das hinaus, was sie im Zusammenhang mit der Terror-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) erlebt hat. Auch damit beschäftigten sich mehrere Untersuchungsausschüsse von Bund und Ländern. Der Unterschied: Vom Oberlandesgericht München, wo der 2013 begonnene NSU-Prozess im Juli nach fünf Jahren zu Ende gegangen ist, haben parlamentarische Aufklärer Akten erhalten. Und als Zeugen geladene V-Mann-Führer beantworteten Fragen der Abgeordneten.

Armin Schuster über Fehler im Fall Amri

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Amri-Attentat, Armin Schuster (CDU), hält einen Vergleich mit dem NSU für unzulässig. Seine Begründung im DW-Gespräch: V-Leute und deren Führer, die im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Terror-Gruppe ausgesagt hätten, seien damals nicht mehr aktiv gewesen. Er habe ein Problem damit, einen V-Mann-Führer, "der im aktiven operativen Einsatz ist", in einem Untersuchungsausschuss zu vernehmen.

Die Bundesregierung begründet die Aussage-Verweigerung mit dem Vertrauensschutz gegenüber ihren Spitzeln im islamistischen Milieu. Offenbar befürchtet sie, ihre menschlichen Quellen zu gefährden. Diesen Grundsatz könne er verstehen, sagt Schuster. Schwachpunkte im Umgang mit Amri sieht der Christdemokrat aber sehr wohl. Denn der Verfassungsschutz war nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses im ersten Halbjahr 2016 ziemlich nah dran an dem späteren Attentäter.

Ausschuss-Chef Armin Schuster spricht von einem "Fehler"

Der Tunesier hielt sich oft in der inzwischen geschlossenen Fussilet-Moschee in Berlin auf. Sie galt als Hotspot der radikalen Salafisten-Szene. Es soll aber nicht gelungen sein, V-Leute direkt bei Amri zu platzieren. Als "Fehler" bezeichnet Aufklärer Schuster die Entscheidung der Sicherheitsbehörden, sich im zweiten Halbjahr 2016 weniger um Amri zu kümmern, "weil sie im ersten Halbjahr mit allen Maßnahmen erfolglos waren". 

Deutschland Islamisten-Moschee Fussilet hat geschlossen
Zwei Monate nach Anis Amris Terror-Anschlag auf dem Breitscheidplatz wurde die Fussilet-Moschee dicht gemacht Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Durch diese falsche Weichenstellung verschwand der Islamist langsam aus dem Blickfeld, obwohl er vom Bundeskriminalamt (BKA) als "Gefährder" eingestuft war. Solchen Personen trauen die Behörden jederzeit einen Anschlag zu. Deshalb war Amri auch immer wieder Gesprächsthema im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ). Dort tauschen rund 40 Behörden von Bund und Ländern ihre Informationen aus. Durch Daten-Abgleich und Abhör-Maßnahmen wusste man, dass der unter mehreren Alias-Namen registrierte Flüchtling gewaltbereit war. Trotzdem konnte er am 19. Dezember 2016 ungehindert seine tödliche Tat ausführen.

Reformbedarf Im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) 

Für Armin Schuster steht deshalb schon jetzt fest: "Ich möchte, dass jemand im Terror-Abwehrzentrum in einem solchen Fall führt." Warum das nach den Erfahrungen mit der rechtsextremistischen Terror-Gruppe NSU unterblieb, ist nur eine von vielen Fragen. Der damals eingesetzte Untersuchungsausschuss empfahl, dem Bundesamt für Verfassungsschutz eine federführende Funktion zu übertragen. Das Gesetz wurde dann auch entsprechend reformiert. Im GTAZ sitzen aber noch viele andere Behörden. Was offensichtlich fehlt, ist eine klare Hierarchie und Weisungsbefugnis.