Wer steckt hinter Hindenburg Research?
2. Februar 2023Es ist eine Finanzaffäre, die ihresgleichen sucht. Hindenburg Research, ein kleines Finanzhaus aus New York, wirft dem indischen Industrie-Mogul Gautam Adani nichts weniger als den "größten Betrug der Wirtschaftsgeschichte" vor. Über Jahrzehnte hinweg soll Adani mit seinem Konzern, dem Rohstoff- und Industriekonglomerat Adani Group, "dreiste Aktienmanipulation" und Finanzbetrug begangen haben. Briefkastenfirmen auf den Bahamas, Familienmitglieder in Top-Positionen der Unternehmensgruppe und gefälschte Bilanzen sollen die Realität verschleiert, Schulden vertuscht und so den Aktienkurs um bis zu 85 Prozent nach oben gepumpt haben.
Seit der Veröffentlichung des rund 100 Seiten starken Berichts vergangene Woche hat die Gruppe mittlerweile mehr als 100 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren. Auch Adanis persönliches Nettovermögen ist stark unter Druck geraten.
In nur sieben Tagen ist sein Reichtum um 50 Milliarden Dollar zusammengeschrumpft. Der Mann, der letztes Jahr noch als zweitreichster Mensch der Erde und vermögender als Bill Gates und Altinvestor Warren Buffet galt, ist mittlerweile auf Platz 15 der bekannten Forbes-Liste abgerutscht.
Der Shortseller aus Connecticut
Zu verantworten hat all das Nathan Anderson, ein 38-jähriger Shortseller aus Connecticut, der in der Finanzwelt bis vor Kurzem ein Unbekannter war. Das mag auch daran liegen, dass Anderson, der sich selbst als Finanz-Forensiker bezeichnet, keine klassische Wall-Street-Karriere vorweisen kann. Der Leerverkäufer studierte zwar internationale Wirtschaft, arbeitete danach allerdings als Sanitäter in Israel, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Erst bei seiner Rückkehr in die USA legte er den Grundstein für seine heutigen Detektivarbeiten.
Anderson heuerte bei FactSet Research an, einem Datenunternehmen, das sich auf Finanzkennzahlen spezialisiert hat. "Mir wurde schnell klar, dass die Firma viele Standardanalysen durchführte, es gab eine Menge Konformität", erklärte er dem Wall Street Journal später. 2010 stieg er aus, um eigene Hedgefonds- und Geldanlage-Strategien für sogenannte Boutique-Investmenthäuser (die auf eine spezielles Segment fokussiert sind, zum Beispiel Unternehmensfinanzierung) und vermögende Familien zu entwickeln. Erst 2017 gründete er Hindenburg Research.
Sein großes Vorbild, schon damals: Harry Markopolos. Der Wertpapiermanager gilt als einer der erfolgreichsten US-Ermittler in Sachen Finanzbetrug. Einen Namen hat sich der heute 66-Jährige mit seinen Recherchen zu Bernie Madoff gemacht, dessen Investmentfirma sich 2008 als Schneeballsystem entpuppte und damit bis heute den größten Anlagebetrug der US-Geschichte markiert.
Beeindruckende Erfolge
Mit Hindenburg Research, einer kleinen, auf Leerverkäufe spezialisierten Investmentfirma, hat es Anderson nun auf Betrüger vom Schlage eines Madoff abgesehen. Tatsächlich kann er schon jetzt beeindruckende Erfolge mit der Entlarvung vermeintlich erfolgreicher Firmen vorweisen. Besonders während der Corona-Pandemie, als eine Welle von Startups durch sogenannte SPAC-Fusionen an die Börse gingen und schnell massive Kursgewinne verzeichneten, schlug Anderson Alarm. Seine Nachforschungen ergaben, dass viele dieser Firmen nicht nur keine Gewinne, sondern oftmals noch nicht einmal tragfähige Geschäftsmodelle vorweisen konnten, obwohl sie einen milliardenschweren Börsenwert aufriefen.
Mittlerweile beschäftigt Hindenburg rund zehn Mitarbeiter, darunter ehemalige Journalisten und Finanzanalysten. In den vergangenen Jahren haben sie Dutzende Untersuchungsberichte veröffentlicht, die es auf Firmen wie das Bitcoin-Mining-Unternehmen Riot Blockchain oder den Goldproduzenten Pershing Gold abgesehen hatten. Mindestens 16 davon, das kann man auf der firmeneigenen Website nachlesen, sollen im Anschluss zu behördlichen Untersuchungen und strafrechtlichen Anklagen geführt haben.
Der Fall Nikola Motors
Zu Hindenburgs größten Coups gehören die Enthüllungen über Nikola Motors, einem Hersteller von wasserstoffbetriebenen Trucks. Im September 2020 veröffentlichte Hindenburg einen Bericht, der Trevor Milton, den Gründer und damaligen Vorsitzenden, bezichtigte, jahrelang Unwahrheiten über die zentrale Technologie des Unternehmens verbreitet zu haben, um Investoren zu gewinnen. Zehn Monate später wurde Milton von der Bundesstaatsanwaltschaft New York in vier Anklagepunkten wegen Wertpapierbetrugs angeklagt. Die Nikola-Aktie rauschte um 94 Prozent nach unten.
Auch Lordstown Motors taumelte wenig später wegen ähnlicher Anschuldigungen. In einem Report aus dem März 2021 wirft Hindenburg dem Elektroautobauer vor, Aufträge gefälscht und den Produktionszeitplan beschönigt zu haben. Bis heute haben sich das Unternehmen und der Börsenwert nicht von den Vorwürfen erholt.
Seinem Namen macht Hindenburg damit alle Ehre. Schließlich benannte Anderson seine Firma nach dem deutschen Luftschiff, das 1937 in New Jersey explodierte und 36 Passagieren das Leben kostete (Artikelbild). "Wir betrachten die Hindenburg als Inbegriff einer von Menschen verursachten, völlig vermeidbaren Katastrophe", heißt es auf der Website des Unternehmens. "Wir suchen nach ähnlichen, von Menschen verursachten Katastrophen, die auf dem Markt kursieren, und versuchen, sie aufzuklären, bevor sie weitere ahnungslose Opfer anlocken."
Und nun Adani
Einen solchen Betrug wittert Anderson nun auch bei der Adani-Gruppe. Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass die Aktien des Firmenkonglomerats trotz 413-seitiger Gegendarstellung, in der Adani die Anschuldigungen Hindenburgs als unbegründet, unmotiviert und gar als Angriff auf Indien allgemein zurückweist, unaufhörlich fallen. Anderson wiederum reibt sich die Hände: als Shortseller verdient er sein Geld mit Wetten auf sinkende Kurse. Je weiter der Börsenwert einer Firma fällt, umso mehr profitiert er. Via Twitter konterte Hindenburg, "Betrug kann nicht durch Nationalismus oder eine aufgeblähte Antwort verschleiert werden, die jeden wichtigen Vorwurf, den wir erhoben haben, ignoriert."
Leerverkäufer wie Hindenburg argumentieren, dass ihrer Arbeit eine wichtige Wächterfunktion zukomme. Tatsächlich ist es Nachforschungen wie diesen zu verdanken, dass etwa der Bilanzbetrug um den amerikanischen Energiekonzern Enron aufgedeckt oder die Blase am US-Hypothekenmarkt vorhergesehen wurde, die im Anschluss die gesamte Weltwirtschaft belastete. "Kritische, feindliche Recherchen sind notwendig, weil die Wall Street eine fein abgestimmte Maschine ist, die darauf ausgelegt ist, Wertpapiere an die Öffentlichkeit zu verkaufen, unabhängig von ihrer Qualität", schrieb Hindenburg in einem Bericht aus dem Jahr 2021. "In der Unternehmenswelt wimmelt es von Betrug und die Anleger sind kaum geschützt."
Die Erfolgsbilanz gibt Anderson bislang recht. Recherchen des Datenanbieters Refinitiv zeigen, dass sich kaum eine Firma, die in den letzten zwei Jahren auf die Zielscheibe von Hindenburg geraten ist, nach der entsprechenden Short-Attacke erholen konnte. Nur drei Firmen erzielten Monate nach der Veröffentlichung solcher rufschädigenden Berichte wieder positive Aktien-Renditen. Zwölf weitere Unternehmen kämpfen bis heute mit Wertverlusten zwischen 19 und 99 Prozent.
Ob sich Gautam Adani von dem Angriff erholen wird, ist noch lange nicht abzusehen. Klar ist allerdings, dass Anderson wohl schon jetzt solide Gewinne mit seinen Short-Positionen errungen hat. Allein im vergangenen Jahr haben Shortseller mit Wetten auf fallende Kurse 300 Milliarden Dollar Profit gemacht, das schreibt der Finanzdatenanbieter S3 Partners. Hindenburg erklärt, man stehe zu dem veröffentlichten Bericht und würde einen Rechtsstreit "begrüßen". Adani Enterprise seinerseits hat vor dem Hintergrund der Attacke eine geplante Aktienplatzierung mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Dollar abgeblasen. Es bleibt spannend.