Der E-Kongress
1. Mai 2003Internet-Nutzer erfahren es täglich an der eigenen E-Mail-Box: Einmalige Angebote, schnell reich zu werden, ein eigenes Internet-Casino aufzumachen (wer braucht sowas?), Körperteile vergrößern, über die man in der Öffentlichkeit nicht spricht, und ähnlich seriöse Offerten. Aus Gründen, die ein wenig umständlich zu erklären sind, wird derlei E-Müll „Spam“ genannt – wie das gleichnamige Dosenfleisch, dessen Hersteller die Sache inzwischen mit Humor zu tragen versucht.
Weniger humorvoll reagiert man auf dem Kapitolshügel in Washington: Drei Tage, von Mittwoch bis Freitag (30.4. bis 2.5.) beschäftigt man sich auf höchster Ebene mit der Flut unerwünschter E-Mail, die über jeden Mailboxbenutzer hereinbricht. Und es ist eine Flut: Nach neuen Erkenntnissen sind inzwischen zwei von fünf Mailnachrichten unerwünschter Werbung, Tendenz steigend. AOL, der größte Internet-Anbieter des Landes, gibt an, jeden Tag zwei Milliarden Stück Spam für seine Kunden annehmen zu müssen. Und die Federal Trade Commission schätzt, daß ganze zwei Drittel dieser Nachrichten einen betrügerischen Hintergrund haben.
Die Rechtslage ist schwierig: Soweit die Versender solcher Mail überhaupt greifbar sind, berufen sie sich gerne auf ihre Redefreiheit – und die ist in der US-Verfassung garantiert. Ebenso verfassungsmäßig garantiert ist jedoch das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Das Ergebnis: Ein noch weitgehend rechtsfreier Raum – und der soll jetzt mit Recht gefüllt werden. Dabei will jeder der Erste sein.
Der demokratische Senator Charles Schumer will uneinsichtige Spam-Verschicker mit bis zu 5000 Dollar pro Tag bestrafen; seine Kollegin Zoe Lofgren aus dem Repräsentantenhaus will Spammer zwingen, ihre Nachrichten so zu kennzeichnen, dass E-Mail-Programme sie auf Wunsch automatisch löschen. Am weitesten geht jedoch der Bundesstaat Virginia: Dort trat diese Woche ein Gesetz in Kraft, wonach Spam-Verschicker bis zu fünf Jahre in den Knast wandern sollen. Virginia leidet am meisten unter Spam, denn hier sind die Rechenzentren zu Hause, durch die mehr als die Hälfte des gesamten amerikanischen Internetverkehrs verläuft.
Bleibt angesichts der Gesetzgebungsfreude des e-Kongresses nur ein kleines Problem: Schon jetzt geben sich die Versender dieser übelriechenden Mails nur selten wirklich zu erkennen; und außerhalb der USA greifen US-Gesetze ohnehin nicht. Der Cyberspace bleibt also gesetzlos – bis auf weiteres.