1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der BVB tritt Antisemitismus entgegen

Felix Tamsut
30. Oktober 2020

Was bedeutet eigentlich Antisemitismus? Als einer der ersten deutschen Fußball-Clubs hat Borussia Dortmund die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen.

https://p.dw.com/p/3kaVa
Pressebilder Borusia Dortmund | Antisemitismus
Vereint gegen Antisemitismus: Geschäftsführer Carsten Kramer, Klubchef Hans-Joachim Watzke und Daniel Lörcher, Leiter Unternehmensverantwortung (von links)Bild: Alexandre Simoes/BVB

Für die Verantwortlichen ist es eine wichtige Maßnahme in ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus: In diesem Monat Oktober hat Borussia Dortmund (BVB) offiziell die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in vollem Umfang übernommen. 

Neben dem Premier-League-Vertreter FC Chelsea und dem deutschen Viertligisten Tennis Borussia Berlin bekennen sich nun also auch die Dortmunder zu dieser Festlegung der zwischenstaatlichen Organisation IHRA: 

"Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Judenhass ausdrücken kann. Rhetorische oder körperliche Äußerungen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nichtjüdische Personen und/oder deren Eigentum, gegen jüdische Gemeinschaftseinrichtungen und religiöse Einrichtungen."

Diese Definition ist wichtig, weil sie auch Formen des heutigen Antisemitismus umfasst, die sich manchmal als Kritik an jüdischen Institutionen, Persönlichkeiten oder am Staat Israel tarnen. Der BVB will zeigen, dass man Rassismus und anderen Formen des Rechtsextremismus entschieden entgegentreten will - sowohl innerhalb des Vereins als auch in der Stadt Dortmund allgemein. 

Dortmund - tief in Westen im ehemals hochindustrialisierten Ruhrgebiet: traditionell eine sozialdemokratische Hochburg. Aber inzwischen blüht auch hier der Rechtsextremismus, etwa in Vierteln des Stadtteils Dorstfeld. Mehrere rechtsextreme Graffiti, die Dorstfeld zum "Nazi-Viertel" erklärten, mussten kürzlich von den Behörden entfernt werden. Das alles geschieht vor dem Hintergrund, dass die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) inzwischen über einen Sitz im Stadtrat verfügt. 

Und auch im 83.000 Zuschauer fassenden Westfalenstadion sind die politischen Konflikte spürbar. Linke Ultras und andere organisierte Fangruppen stehen im Konflikt um die Kontrolle über die berühmte Südtribüne ("Gelbe Wand") den rechten Hooligans gegenüber. 

Fußball Bundesliga | 19. Spieltag | Borussia Dortmund - Hannover 96
"Nie wieder"-Transparente unter den Fans: Mehr als 900 Dortmunder Anhänger und Vereinsmitarbeiter haben die Reisen an KZ-Erinnerungsstätten mitgemachtBild: Getty Images/Bongarts/C. Koepsel

Dortmund für Rechte "unattraktiv" machen

Für Daniel Lörcher, Abteilungsleiter Corporate Responsibility beim BVB, wird mit der Verabschiedung der IHRA-Definition "das Bewusstsein geschärft", dass es Antisemitismus in diesem Sinne gibt. Und es werde "eine wichtige Grundlage geschaffen, um unser Programm auf die nächste Stufe zu heben". 

Zu diesem Programm gehörten in den vergangenen Jahren Bildungsreisen in ehemalige deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager sowie die Organisation von Veranstaltungen mit Holocaust-Überlebenden. Nun ist Lörcher bemüht, eben jene modernen Formen des Antisemitismus, wie sie von der IHRA gebrandmarkt werden, mit einzubeziehen. 

"Viele Menschen beginnen sich zu fragen, wie sie sich engagieren können", sagt Lörcher und beschreibt, dass sich Fans im Kampf gegen Rassismus inzwischen untereinander vernetzen. So fällt es leichter, gegebenenfalls auf antisemitische Vorfälle zu reagieren. Lörcher hofft, dass der Verein so für rechtsextremistisch eingestellte Fans allmählich "unattraktiv" wird. Es wäre viel gewonnen, wenn solche Leute künftig ihre "Kameraden" fragten: "Warum gehst du da hin?"

Ein internationaler Kampf

Es ist längst nicht nur ein Problem für deutsche Vereine. Der BVB hatte, so erfuhr die DW, in dieser Sache mit dem Premier-League-Klub Chelsea Kontakt aufgenommen. Ziel war es, Erfahrungen und das Wissen über die Bekämpfung rechter Fan-Gruppen auszutauschen. Der Londoner Verein, der auch mit einer rechtsextremistischen Minderheit unter seinen Anhängern zu kämpfen hatte, bekennt sich seit Januar zu der IHRA-Definition. Und es zeigt hier bereits Wirkung. 

Lord John Mann ist Sonderbeauftragter der britischen Regierung für Antisemitismus. Er ist einer der treibenden Kräfte, was das Engagement in Chelsea angeht. Und die Festlegung durch die IHRA. "Sie hat bereits Leute dazu gebracht, ihren Standpunkt zu ändern. Einige habe sich schon entschuldigt für das, was sie früher gesagt haben", erklärt Lord Mann im Gespräch mit der DW. Zugleich verweist er auf die einzigartige Position von Fußballvereinen, wenn es darum geht, junge Fans zu beeinflussen. Ja, zu erziehen. 

"Wenn ein Klub wie der BVB einem 16-jährigen Fan Bildungsangebote macht, dann stehen die Chancen gut, dass der Junge das annimmt. Mag sein, dass er zuvor jüdische Menschen in sozialen Medien beschimpft hat", beschreibt Lord Mann die Strategie. "Die Chancen, dass jemand anderes an einen solchen Fan herankommt, sind dagegen sehr gering."

Pressebilder Borusia Dortmund | Antisemitismus | Besuch in Auschwitz
BVB-Chef Hans-Joachim Watzke und Daniel Lörcher bei ihrem Besuch in AuschwitzBild: Alexandre Simoes/BVB

Die Kampagne geht weiter

Der BVB hat bereits beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet erzielt. Im Jahr 2019 spendete der Klub eine Million Euro an das Holocaust-Museum Yad Vashem in Israel. Vereinsgeschäftsführer Hans-Joachim Watzke und sein Kollege Carsten Kramer nahmen im Januar 2020 am Welt-Holocaust-Forum in Jerusalem teil. 

Der Klub hat inzwischen auch seine Ordner und das Sicherheitspersonal entsprechend instruiert. Es geht darum, antisemitisches Verhalten im Stadion frühzeitig zu erkennen. Mittlerweile tauchen in der "Gelben Wand" auch Transparente etwa der Initiative "Vereint!" auf, die an die Opfer rechtsextremer Gewalt erinnern sowie Sexismus und Homophobie anprangern. 

Geschäftsführer Kramer hofft, "dass sich noch viele weitere Vereine uns anschließen werden". Und auch in der Premier League ist nach Informationen der DW damit zu rechnen, dass auch dort weitere Klubs dem Beispiel von Chelsea folgen. 

Adaption: Marko Langer