Der Blues der Tuareg
25. April 2012
Noch eine Stunde bis zum Konzert in Köln. Abdallah Ag Alhousseyni wiegt sich im Rhythmus der Akkorde. Geschickt gleiten seine Finger über die Saiten der Gitarre. Er schließt die Augen und singt eine Strophe auf Tamaschek, der Sprache der Tuareg. Kehlig und sehnsuchtsvoll klingt seine Stimme. Der Gitarrist ist eines der Gründungsmitglieder von Tinariwen, einer Tuareg-Band aus dem Norden Malis. Tinariwen – das heißt so viel wie "Wüste" oder "leerer Ort". Seit Monaten tourt die Band durch die Welt. Momentan treten sie in Köln auf. Fragt man Alhousseyni, ob er hier in Europa etwas vermisst, lächelt er still und sagt: "Tenere", die Wüste.
Dort, wo sich Sahara und Sahel treffen, leben die Tuareg-Nomaden schon seit Jahrhunderten. Heute sind sie zersplittert zwischen Mali, Niger, Algerien und Libyen, ringen mit ihren Regierungen um kulturelle Akzeptanz und Freiheit. Im Norden Malis toben seit Jahresbeginn heftige Gefechte zwischen schwer bewaffneten Tuareg und der malischen Armee. Im Süden putschten Militärs Ende März gegen die Regierung. Mehr als 200.000 Menschen sind nach UN-Angaben auf der Flucht.
Soundtrack des Aufstands
"Meine Freunde aus der Sahara, unsere Freiheit ist weg", singen Tinariwen auf der Bühne. Zu fünft treten sie auf, bei manchen Konzerten sind sie auch schon mal sieben. Sie tragen Turbane und bunte Gewänder. Rot lackierte E-Gitarren funkeln im Scheinwerferlicht. Ihr Sound: traditionelle Volksmelodien gemischt mit Reggae, Blues und Rock, gesungen auf Tamaschek und Französisch. Eine schlanke Sängerin wiegt die Hüften im Takt.
"Wüsten-Blues" nennen das die Musikkritiker. Tinariwen singen von Abenteuern in der Wüste, dem Alltag der Nomaden, aber auch vom Leben im Exil - und vom Krieg. Als junger Mann ging Gitarrist Alhousseyni - wie viele andere Tuareg - nach Libyen, um sich in Militärlagern ausbilden zu lassen. In Tripolis hatte sich gerade erst ein junger Oberst namens Gaddafi an die Macht geputscht. Viele Tuareg hofften, er würde sie bei ihrem Freiheitskampf unterstützen. Die Ernüchterung kam bald, denn Gaddafi suchte billige Söldner, die er in seine Kriege in den Libanon oder nach Palästina schicken konnte. "Wir waren gerade mal 17 oder 18 Jahre alt. Und schon damals war uns klar, dass er nichts für uns tun würde. Aber wir haben von der militärischen Ausbildung profitiert. Wir haben das Nomadenleben, die Kamele und Kuhherden hinter uns gelassen und sind nach Libyen gegangen", erinnert sich Alhousseyni.
Dort, in Gaddafis Ausbildungslagern, gründeten sich Anfang der Achtziger Jahre Tinariwen. Ihre ersten Kassetten kursierten illegal unter den Nomaden, es war der Soundtrack für den Aufstand. Anfang der Neunziger Jahre griffen die Tuareg in Mali nach den Waffen, rebellierten gegen die Zentralregierung in der Hauptstadt Bamako. Der Konflikt dauerte fünf Jahre. Am Ende akzeptierte die Regierung die Gründung der autonomen Tuareg-Region Kidal.
Kampf um den eigenen Staat
"Jeder Tuareg liebt seine Freiheit", sagt Sängerin Mina Walet Oumar im langen traditionellen Gewand, die Haare von einem Schleier bedeckt. Sie lebt in Deutschland, tritt manchmal mit der Band auf. "Ein Tuareg sieht die Unendlichkeit der Wüste – und das ist seine Freiheit. Und er ist ein Mensch, der auch in seinen Gefühlen und in seinem Geist frei ist." Doch diese innere Freiheit lässt sich nicht mit Kalaschnikows erkämpfen. Das ist die Botschaft von Tinariwen. Auf der Bühne diktiert die Djembe-Trommel den Rhythmus, wenige Akkorde wiederholen sich wieder und wieder, verleihen den Songs einen fast hypnotischen Charakter.
Während das Publikum in Köln vor Begeisterung jolt, liefern sich Tuareg-Rebellen und Armee im Norden Malis blutige Kämpfe. Einige Musiker, darunter auch Band-Gründer Ibrahim Ag Alhahbib, haben die Welttournee abgesagt und sind bei ihren Familien in Mali geblieben.
Mit ihrer Musik kämpfen die Mitglieder der Band Tinariwen heute um den eigenen Staat. "Vielleicht haben wir ihn schon bald, vielleicht erst in 200 Jahren", sagt Musiker Alhousseyni. "In so einer Situation muss man mehrere Kämpfe gleichzeitig führen – einen militärischen und einen kulturellen Kampf. Musik machen und Interviews geben, das ist unsere Art, gegen die Situation zu protestieren."