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'Alle haben weg geguckt'

Das Gespräch führte Andreas Ziemons5. Februar 2007

Hooligan-Experte und Fanforscher Gunter A. Pilz spricht über die gewalttätige Hooliganszene im italienischen Fußball, deren Auseinandersetzungen mit der Polizei am Wochenende zum Tode eines Polizisten führten.

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Hooligan-Experte Gunter A. Pilz
Hooligan-Experte Gunter A. PilzBild: picture alliance / dpa

DW-WORLD: Sind die italienischen Fans gewaltbereiter als andere Fans?

Gunter A. Pilz: Es gibt in Italien momentan eine Hooliganszene, wie wir sie in Deutschland in den achtziger Jahren hatten. Die gibt es in Italien immer noch und zwar verstärkt. Das hat damit zu tun, dass dort weder von den Vereinen, noch von der Polizei oder den Kommunen Sicherheitsvorkehrungen getroffen oder präventive Maßnahmen ergriffen wurden.

Ist der gezielte Angriff auf Polizisten und nicht nur auf andere Fußballfans eine neue Qualität von Gewalt?

Das war früher auch schon so. Die neue Qualität ist, dass es einen Toten gab. Ich wäre vorsichtig, bei nur einem Fall von neuer Qualität zu reden. Möglicherweise hätte das auch schon früher passieren können und nur glückliche Umstände haben das verhindert. Außerdem sind bei solchen Auseinandersetzungen nicht immer nur Fußballfans dabei, sondern, wenn es zu Gewalt kommt wird das auch von anderen gewaltbereiten Gruppen bis hin zu Kriminellen genutzt, um mitzumischen.

Der italienische Innenminister Giuliano Amato hat den Vorschlag gemacht Ligaspiele nur noch in den Stadien von Rom, Turin und Mailand zuzulassen, da diese sicher seien. Bei allen anderen Spielen solle die Zahl der Zuschauer auf maximal 10.000 begrenzt werden. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Sie können davon ausgehen, dass der Ausschluss der Hooligans aus den Stadien das Problem nur auf die Straße verlagert. Der Polizist in Italien ist ja auch nicht im Stadion umgekommen, sondern auf der Straße. Die Gewalt im Stadionumfeld ist die viel schlimmere, weil sie noch weniger kontrollierbar ist, als die im Stadion. Erhöhte Stadionsicherheit ist aber ein Mittel die Gewalt zu bekämpfen. Am Beispiel Deutschland sieht man, dass es nur noch dort Probleme mit Hooligans gibt, wo die Stadien marode sind. Das ist vor allem in den neuen Bundesländern.

Wie müssten denn weitere Maßnahmen aussehen?

Zwei Polizisten mit Helmen führen einen Hooligan ab, der eine deutsche Fahne um die Schultern hängen hat. Seine Hände sind ihm mit Kabelbinder auf den Rücken gefesselt.
WM 2006: Deutsche Polizisten führen einen Hooligan ab.Bild: picture-alliance/ dpa

Ich glaube, man kann von Deutschland sehr viel lernen. Wir haben das nationale Konzept "Sport und Sicherheit", wo es einerseits klare Vorgaben zur Stadionordnung, der Stadionsicherheit, dem Polizeiverhalten und dem, was die Vereine für die Fans tun können, gibt. Andererseits gibt es die Fanprojekte, die jede Stadt mit einem Bundesligaverein haben muss und die unabhängig von den Vereinen sozialpädagogische Arbeit mit den Fans machen. Zwar gibt es immer noch Probleme mit Hooligans, aber wenn sie auftreten, kann man sie dank dieses Konzeptes relativ schnell in den Griff bekommen. Allerdings gilt das Konzept "Sport und Sicherheit" nur für die ersten drei Profiligen, sodass es wenn überhaupt meist bei Traditionsvereinen aus den neuen Bundesländern, die in unteren Ligen spielen, zu Zwischenfällen kommt.

In Italien warten Sport und Politik darauf, dass jeweils der andere beginnt, Maßnahmen gegen Hooligans zu ergreifen. Wer muss den ersten Schritt machen?

Beide! Gewalt im Fußball ist nicht nur ein sportliches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Insofern ist die Politik gefordert entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Andererseits weiß man, dass Vereine, die nichts oder zu wenig tun, diese Dinge mit zum Eskalieren bringen. Deshalb sind die Vereine genauso gefordert. Das ärgerliche in Italien ist, dass alle weg geguckt haben. Einige der problematischen Ultra-Gruppierungen haben mittlerweile in den Vereinen schon das Sagen.

In älteren Veröffentlichungen sprechen Sie von der Selbstreinigung der Fans. Das heißt, die Fans kontrollieren einander gegenseitig. Und sobald die Ultras merken, dass sie in der Minderheit sind und ihre Aktionen von den anderen Fans nicht toleriert werden, nimmt die Gewalt in den Stadien ab. Besteht diese Möglichkeit in Italien noch?

Da sehe ich im Moment keine große Perspektive, weil sich die Mehrheit der italienischen Ultras in eine problematische Richtung entwickelt. Selbstreinigung kann erst dann stattfinden, wenn durch entsprechende Maßnahmen in der Szene ein Umdenken einsetzt und die Besonnenen ein Stück weit Rückendeckung bekommen. Das ist momentan nicht der Fall.