Dauerbrenner Agrarreform
10. Juli 2002Die Grundzüge des Fischler-Plans sind längst durchgesickert und haben besonders die Bauern in Ostdeutschland aufgeschreckt. Geht es nach dem Willen des österreischen EU-Agrarkommissars Franz Fischler sollen die Beihilfen aus Brüssel ab 2004 auf 300.000 Euro pro Jahr begrenzt werden.
"Der Vorschlag richtet sich vor allem gegen jene Strukturen, wo man mit ganz wenigen Arbeitskräften riesige Ackerbaubetriebe bestreitet und riesige Summen abkescht an Förderungen", begründet Fischler seinen Vorstoß.
Betroffen wäre vor allem die ostdeutsche Landwirtschaft. Viele Höfe stammen aus ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die mit großen Flächen und vielen Arbeitsplätzen durch die Kappung der Zahlungen benachteiligt wären. Nach Angaben des Bauernverbandes entfielen rund 90 Prozent der EU-weiten Beihilfekürzungen allein auf die neuen Länder.
Reformplan behindert Aufbau Ost
"Die Pläne der Kommission zerstören einen der wenigen florierenden Wirtschaftszweige im Osten und lassen sich nicht mit dem Aufbau Ost vereinbaren", kommentiert Michael Lohse, Sprecher des Bauernverbands, die Reformvorschläge gegenüber DW-WORLD. Viele der rund 170.000 Arbeitsplätze in der ostdeutschen Landwirtschaft seien dadurch bedroht. Er gehe daher nicht davon aus, dass Bundeskanzler Schröder dem so zustimmen wird.
Das für Landwirtschaft zuständige Verbraucherministerium von Renate Künast (Grüne) hält sich noch zurück mit Äußerungen. Zuerst wolle man die Auswirkungen anhand der genauen Zahlen prüfen. Es dürften jedoch bei der Reform keine Ungerechtigkeiten gegenüber Ostdeutschland entstehen, heißt es aus dem Ministerium. Grundsätzlich wird die neue Richtung in der Agrarpolitik begrüßt, in der Verbraucherschutz eine gewichtigere Rolle spielt. Denn zu den Reformvorschlägen zählt auch die Loslösung der landwirtschaftlichen Beihilfen von den Produktionsmengen.
Verbraucher von Skandalen verunsichert
Damit geht die neue Agrarpolitik auf die Bedenken der europäischen Verbraucher ein, die durch Umwelt- und Lebensmittelskandale zunehmend verunsichert sind. Hormonbelastetes Schweinefleisch, Nitrofen im Geflügel oder BSE-verseuchtes Rindfleisch – die Verbraucher wollen inzwischen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden.
Deshalb plädiert EU-Agrarkommissar Franz Fischler für einen durchgreifenden Systemwechsel, bei dem die EU-Direktbeihilfen für die Bauern ganz unabhängig von Produktionsmengen gezahlt und stattdessen an Qualitätsmerkmale gebunden werden. Die Koppelung der Finanzhilfen an die Anbauflächen und die Viehhaltung hatte zu falschen Anreizen bei den Bauern geführt, lautet die Begründung.
Noch immer wird zuviel produziert. Deswegen sollen künftig die Beihilfen an strenge Auflagen für Umwelt- und Tierschutz, Qualität und Lebensmittelsicherheit geknüpft werden. Ziel ist es, stärker auf die Bedürfnisse der Verbraucher einzugehen und die Intensivierung in der Landwirtschaft zu bremsen.
EU-Osterweiterung nicht gefährden
Aus Berlin regen sich gegen die Pläne hingegen noch ganz andere Bedenken. Vor der EU-Osterweiterung will die Bundesregierung durch eine Agrarreform Klarheit über zukünftige Ausgabensituation schaffen. Bislang trägt Deutschland als Nettozahler ein Viertel aller EU-Agrarausgaben. Bei einer Umsetzung der Reform würde sich möglicherweise die Nettozahlerposition noch weiter verschlechtern. Die Bundesrepublik will nicht noch mit zusätzlichen Milliarden belastet werden, wenn auch die Bauern der Beitrittsländer Direktbeihilfen von der EU beantragen.
Derweil hat der französische Agrarminister Hervé Gaymard schon deutlich gemacht, dass die französischen Bauern nicht bereit seien, Kürzungen hinzunehmen. Eine Einigung scheint in weiter Ferne. Damit sich der Zeitplan für die EU-Osterweiterung durch die ungeklärte Finanzierung nicht weiter verzögert, müssen die offenen Fragen bis Anfang November geklärt sein. Der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen hat schon vorsorglich gewarnt, dass die Auswirkungen auf die Beitrittskandidaten bei einer weiteren Verzögerung verheerend wären.