Konflikte in Nigeria
12. Juli 2011An der Hauptstraße aus Richtung Süden parken nur ein paar wenige Lastwagen. Früher geriet der Verkehr hier ins Stocken, weil sich auf beiden Straßenseiten die LKW stauten. Jos, die Haupstadt des nigerianischen Bundesstaates Plateau, war immer ein Knotenpunkt für die Handelsströme aus dem Süden Nigerias in den Norden des Landes und weiter nach Niger und Tschad. Heute machen die Trucker einen weiten Bogen um Jos. Auch der zentrale Markt, einst einer der größten Westafrikas, bietet ein trauriges Bild. Vor fast zehn Jahren teilweise abgebrannt, wurde er bis heute nicht wieder aufgebaut.
Das einst so multikulturelle Jos, wo die muslimischen Haussa und Fulani auf die christlichen Völker des Hochlandes treffen, steht heute für Hass und Gewalt. In den letzten zehn Jahren starben Tausende bei Kämpfen zwischen den verschiedenen Volksgruppen. Hier will niemand mehr investieren.
Oberflächlich betrachtet stehen sich in dem Konflikt Muslime und Christen gegenüber. Tatsächlich fragt sich jeder heute erst, ob die Straße, durch die er fahren muss, eine von Muslimen oder Christen bewohnte ist, bevor er sich für einen Weg entscheidet. Doch den Kämpfen liegen politische und soziale Probleme zugrunde, betonen fast alle Beobachter.
"Siedler" gegen "Ureinwohner"
Die Muslime, insbesondere die Haussa in Jos, fühlen sich zunehmend ausgegrenzt, beschreibt der Chief Imam, Sheikh Balarabe Da'ud, seine Sicht auf den Konflikt: "Man sagt, wir seien keine 'Ureinwohner', sondern 'Siedler'. Deshalb finden wir keine Arbeit und man verweigert unseren Kindern das Recht auf Bildung."
Die Einteilung in "Ureinwohner" und "Siedler" hat das Klima im Bundesstaat Plateau vergiftet. Wer in Nigeria einen Posten in der Verwaltung haben will oder ein Stipendium, der muss mit einer "Indigenitätsbescheinigung" nachweisen, aus welchem Landkreis seine Familie stammt. Denn im Vielvölkerstaat Nigeria werden alle Posten und Gelder nach komplizierten regionalen Kriterien verteilt. Was eigentlich allen Regionen ihren gerechten Anteil sichern soll, ist im Plateau State zu einem Kriterium verkommen, das die Bevölkerung in "Die" und "Wir" unterteilt. Da sind dann plötzlich schon vor Generationen zugewanderte Familien "Siedler" und bekommen keine Indigenitätsbescheinigung mehr, klagt Sheikh Da'ud. "Das geht so weit, dass man uns den Vorsitz in der Kreisverwaltung der Stadt verweigert, die wir gegründet haben und in der wir leben." Damit spielt er auf die Kommunalwahl von Ende November 2008 an. Mit ihr begann die jüngste Welle der Gewalt in Jos. Die Muslime wollten nicht glauben, dass ein Christ die Wahl zum Chef der Kreisverwaltung gewonnen haben sollte. Die Kontrolle über die Kreisverwaltung ist deshalb so wichtig, weil sie über die Verteilung staatlicher Gelder vor Ort entscheidet.
Das Volk der mehrheitlich christlichen Berom sieht sich als die wahren "Ureinwohner" der Region. Für die Berom sind die Haussa und Fulani zugewanderte "Siedler", die die Vorherrschaft anstreben, erklärt Caleb Ahima die Stimmung unter vielen Christen. Ahima ist Direktor von TEKAN, einem Verband verschiedener protestantischer Kirchen, und setzt sich für ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen ein. Viele meinten, dass Muslime in den Bundesstaat Plateau kämen und sich hier ohne Probleme niederlassen könnten, ergänzt Ahima. Anderseits hätten viele Christen den Eindruck: "Wenn Angehörige anderer Ethnien in den muslimischen Norden ziehen, dann bekommen sie dort keine Grundstücke, um zum Beispiel Gotteshäuser zu bauen". Das sei Teil der Erklärung für die Konflikte.
"Die Regierung tut nichts gegen den Konflikt"
Der Anwalt und Kommentator Solomon Dalung sieht hinter dem Konflikt vor allem politische Gründe. Mit Hilfe der Religion könnten allerdings beide Seiten am besten ihre Anhänger mobilisieren. Die Hauptschuld sieht Dalung aber bei der von den Berom dominierten Regierung des Bundesstaats: "Seit dem Auftstieg der Berom zur Macht sehen wir eine bewusste Politik, die alle anderen Ethnien an den Rand drängt, um Jos-North zu kontrollieren." Der Gouverneur des Bundesstaats habe Land gezielt an junge Christen verteilt. "Gleichzeitig tut die Regierung nichts, um den Konflikt zu entschärfen", klagt Dalung. Dadurch zwinge sie immer mehr Menschen, das umstrittene Jos-North zu verlassen.
Dalung, selbst Christ aber kein Berom, erklärt, dass die Regierung die religiösen Spannungen schüre, weil sie so auch die anderen christlichen Ethnien dazu bringen könne, ihre Politik zu unterstützen.
Auch der katholische Erzbischof von Jos, Ignatius Kaigama, kritisiert, dass die Regierung von Gouverneur Jonah Jang weiter strikt auf der Trennung der Bevölkerung in "Ureinwohner" und "Siedler" bestehe. Dies sollte in Nigeria verboten werden, fordert Kaigama, der sich seit langem für den interreligiösen Dialog engagiert. "Es kommt vor, dass Leuten verboten wird, Kirchen zu bauen oder Programme über Radio und Fernsehen auszustrahlen", empört sich der Bischof und er fügt hinzu: "Auch Muslime erzählen, dass sie keine Moscheen bauen dürfen oder dass sie keinen Zugang zu den Medien haben." Die Schuldigen müssten bestraft werden. "Nur so können wir ein Gefühl der Zugehörigkeit schaffen", sagt Kaigama.
Angela Merkel sollte Druck machen
Menschenrechtler fordern inzwischen, dass der Internationale Strafgerichtshof die Massaker in Plateau State untersuchen solle, weil bisher kein Verantwortlicher angeklagt oder gar verurteilt wurde. Erzbischof Kaigama wünscht sich ebenfalls internationalen Druck auf die nigerianische Regierung, zum Beispiel während des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er habe die Kanzlerin und andere Vertreter der deutschen Regierung schon bei früheren Treffen aufgefordert, Druck auf die nigerianische Regierung auszuüben. Mit Blick auf Merkels Kurzbesuch in der Hauptstadt Abuja ist der Kirchenmann jedoch skeptisch: "Da wird wieder der rote Teppich ausgerollt - und dann? Am Ende bleibt es beim Austausch von Freundlichkeiten oder es geht um bilaterale und wirtschaftliche Themen."
Autor: Thomas Mösch
Redaktion: Katrin Ogunsade