Das Wesen des Bösen
2. November 2005DW-WORLD: Frau Professor Neiman, die gerade in Hannover zu Ende gegangenen Hannah-Arendt-Tage standen unter der Fragestellung: Die Beste aller Welten? Ihr Vortrag beschäftigte sich vor allem mit Arendts Buch "Eichmann in Jerusalem", in dem die Philosophin anhand des Prozesses gegen den SS-Mann die "Banalität des Bösen" konstatierte. Wie passt das zusammen?
Susan Neiman: Hannah Arendt geht es nicht darum zu zeigen, dass es die beste aller Welten gibt. Sie will aber zeigen, dass es eine Welt gibt, die wir lieben und in der wir leben können. Deshalb nenne ich "Eichmann in Jerusalem" eine moderne Theodizze (Anmerkung der Redaktion: Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm zugelassenen Bösen in der Welt) Ihr ging es darum, zu zeigen, das Böses wie der Holocaust oder Menschen wie Eichmann nicht zur Tiefe und zum Wesen der Welt beitragen. Dass das Böse nicht geheimnisvoll ist, sondern eher banal - etwas was wir verstehen und wenigstens zum Teil beseitigen können.
Wenn man das Böse dämonisiert, dann ist das der falsche Weg?
Das ist richtig. Erstens: Wenn das Böse dämonisiert wird, gewinnt es eine Anziehungskraft, eine Geilheit, die hochgefährlich ist. Zweitens hat dies, wenn man will, auch einen theologischen Aspekt, etwas was wirklich zum Innersten der Welt gehört, was sich auf die Erbsünde zurückführen lässt. Beides macht es verdammt schwierig mit dem Bösen umzugehen.
Hannah Arendt sagt aber, dass es die Erbsünde nicht gibt. Und das Böse sei weder notwendig noch tief. Ist das ein Hoffnungsfunken für den Gedanken: Man kann etwas ändern in der Welt?
Mir ist es sehr wichtig, zu zeigen, dass man das Böse nicht auf ein Wesen reduzieren kann, dass es verschiedene Arten des Bösen gibt. Es gibt das banale Böse, dass Arendt so treffend beschrieben hat - vielleicht die größte Gefahr, die wir haben. Es finden sich aber eben auch andere Formen. Auf den Hannah-Arendt-Tagen ging es viel um Terrorismus. Den würde ich nicht banal nennen und ich würde auch nicht versuchen, einen gemeinsamen Nenner zwischen einem Menschen wie Eichmann und Osama Bin Laden zu finden. Beide sind Formen des Bösen, beide gibt es heute noch: Es gibt natürlich Eichmann oder viel mehr Gestalten wie Eichmann in unserer Gesellschaft - und es geht darum, beide zu erkennen und beide zu verurteilen.
Sie beschäftigen sich auch mit Präsident Bush und dem islamischen Terrorismus. Gibt es Parallelen, die man aufzeigen kann?
Es gibt da keine Parallelen. Ich finde es sehr gefährlich, wenn man versucht zu sagen: Bush ist ein Doppelgänger von Bin Laden, wie das Arundhati Roy gemacht hat. Das reduziert sich auf das verständliche, aber falsche Bedürfnis, zu sagen: Das Böse ist eins. Aber das Böse ist eben nicht eins. Es gibt verschiedene Formen: Über den Terrorismus muss ich ja nicht reden - da ist uns ziemlich klar, was daran unmenschlich ist. Was in Europa allerdings weit weniger bekannt ist: Es gibt jeden Tag Folter im Irak. Abu Ghraib ist eben keine Ausnahme. Das ist von Human Rights Watch und von vielen Soldaten, die dort sind, absolut einwandfrei bewiesen worden. Das ist natürlich nicht gleichzusetzen, mit dem was die Terroristen machen, aber es ist eine andere Form des Bösen. Das muss man so sagen und genauso streng verurteilen.
Das Gespräch führte Jochen Kürten
Susan Neiman ist Direktorin des Einstein Forums. Sie wurde in Atlanta, Georgia, USA, geboren und studierte Philosophie an der Harvard Universität und der Freien Universität Berlin. Neiman war Professorin für Philosophie an der Yale Universität und der Tel Aviv Universität. Sie ist Autorin u.a. von Slow Fire: Jewish Notes from Berlin, The Unity of Reason: Rereading Kant, Das Böse denken und Fremde sehen anders. Zur Lage der Bundesrepublik.