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Universum in einem Buch: Alexander von Humboldts "Kosmos"

29. Juli 2019

Nach seiner amerikanischen Reise wirkte Humboldt zunächst 20 Jahre lang in Paris, bevor er 1827 nach Berlin zurückkehrte. In den folgenden 30 Jahren trug er das gesammelte Wissen in einem Werk zusammen – dem "Kosmos".

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Milchstraße bei Nacht
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Tetra Images

Im Alter von 34 Jahren hatte Alexander von Humboldt bereits den höchsten damals bekannten Berg der Welt bestiegen und ein Vermögen in eine Südamerika-Expedition investiert. Er hatte Pflanzen, Tiere, Artefakte und jede Menge Zahlen und Fakten gesammelt und war mit beeindruckenden Berichten zurückgekehrt.

Für den Rest seines Lebens war Humboldt ein gern gesehener Gast bei Kaisern, Königen, Prinzen, Regierungsoberhäuptern, Botschaftern, Künstlern und Wissenschaftlern. Einige wollten seinen Rat, andere wollten sich einfach nur im Dunstkreis eines Genies aufhalten. Dadurch erreichte er einen ungewöhlichen Status. Ein Wissenschaftler, der sich in den exklusivsten gesellschaftlichen Kreisen bewegte, wie ein legendärer Gelehrter. Diesen Ruf hatte sich Humboldt hart erarbeitet.

Lesen Sie hier: Reflektionen über ein preußisches Genie: Was ist ein Humboldt?

Auf Humboldts Spuren: Die Vermessung der neuen Welt

Nach fünf Jahren war er 1804 von seiner abenteuerlichen Reise durch die spanisch-amerikanischen Kolonien nach Berlin zurückgekehrt. In der Heimat herrschten turbulente Zeiten. Preußen und Frankreich befanden sich im Krieg und als Napoleon im Oktober 1806 in die preußische Hauptstadt einmarschierte, floh die königliche Familie aus Berlin. Preußen verlor die Hälfte seines Staatsgebiets und wurde gezwungen, hohe Reparationen zu zahlen.

Humboldt wurde  im November 1807 vom preußischen König nach Paris geschickt, um bei den Reparationszahlungen nachzuverhandeln. Er hatte allerdings von Anfang an nicht nur die Interessen seines Landes im Kopf und so blieb er die nächsten 20 Jahre in Paris. Während des Krieges hatte es Humboldt als Deutscher nicht leicht in Frankreich. Anschuldigungen, er sei ein Spion, ignorierte Humboldt einfach, selbst noch, als preußische Truppen in Paris einmarschierten. Humboldt verstand sich als Wissenschaftler mit einer Mission.

Wirken in Paris

Humboldt kannte sich in der Welt wissenschaftlicher Veröffentlichungen gut aus. Er wusste, dass Paris das Zentrum der akademischen Welt war, und dass sich dort die nötigen Illustratoren, Graveure, Setzer, Drucker und andere wissenschaftliche Kooperationspartner aufhielten, mit deren Hilfe er die Ergebnisse seiner Südamerika-Expedition der Öffentlichkeit zugängiglich machen wollte.

Da Humboldt keine Unterstützung von Seiten der preußischen Regierung oder einer anderen Institution erhielt, zahlte er die Produktion seiner Bücher aus seinem schwindenden Erbe. Humboldt wollte keinen Reiseführer veröfflichen. Er wollte etwas ganz Besonderes schaffen, etwas, das noch keine Privatperson vor ihm in dieser Weise geschaffen hatte.

Zechnung eines Brüllaffen aus Humboldts zoologischem Werk "Recueil d'observation de zoologie et d'anatomie comparée"
Ein Brüllaffe aus Humboldts zoologischem Werk "Recueil d'observation de zoologie et d'anatomie comparée" (1811)Bild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Das erste Buch entstand 1807 aus handschriftlichen Manuskripten und in Kooperation mit verschiedenen Experten sowie Künstlern. In den kommenden 30 Jahre veröffentlichte Humboldt zahlreiche weitere Bücher. Der letzte Teil der Serie erschien im August 1838. Viele seiner Materialien blieben allerdings unveröffentlicht.

Insgesamt veröffentlichte Humboldt 32 Bände. Die genaue Anzahl variiert je nachdem, wie die Bücher gebunden wurden und was jeweils zur Reihe gezählt wird. Die Bücher, die hauptsächlich in Französisch verfasst wurden, deckten eine Vielzahl verschiedener Themen aus dem Bereich der Botanik, der Astronomie, Zoologie und Geografie ab. Es gab Sonderbände über Kuba und Mexiko und ein beliebtes Reisetagebuch. Neunzehn der Bücher sind große Bildbände mit über 1400 opulenten Illustrationen, die Momentaufnahmen, Karten, Berge, Pflanzen, Insekten und andere Tiere zeigen. Einige dieser Bücher sind so schwer, dass man sie am besten zu zweit trägt und stehend an einem Pult liest.

Zurück in der Heimat

Mit 57 war Alexander von Humboldt pleite. Die Finanzierung seiner Reisen, sein kostspieliges Leben in Paris und die Produktion der vielen opulenten Wissenschaftsbücher hatten ihn finanziell ruiniert.

Zeichnung Alexander von Humboldt beim Vermessen der Ruinen des Palastes von Mitla in der mexikanischen Provinz Oaxaca
Alexander von Humboldt bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen – dem Vermessen. Hier befindet er 1803 auf den Ruinen des Palastes von Mitla in der mexikanischen Provinz Oaxaca.Bild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Humboldt hatte seinen jahrzehntelangen Veröffentlichungsprozess noch nicht abgeschlossen, als er eine Nachricht aus Berlin erhielt. Nicht von seinem Bruder, der ihn zuhause vermisste, sondern vom preußische König Friedrich Wilhelm III. Humboldt war ein preußischer Untertan und seine finanzielle Zukunft hing von einem Stipendium des Königs ab. Also kehrte er 1827 nach Berlin zurück. Der König erhoffte sich durch die Nähe zum größten Wissenschaftler seines Landes einen Prestigegewinn für sein Reich. Humboldt sollte ihn nicht enttäuschen.

Direkt nach seiner Ankunft brachte Humboldt frischen Wind in Berlins akademische Zirkel. Er hielt an der Universität 61 Vorträge über Natur und Geografie. Das Interesse war so groß, dass Humboldt einen Monat später eine verkürzte Reihe mit 16 Vorträgen in einer sehr viel größeren Konzerthalle wiederholte.

Diese Vorträge, die Humboldt über fünf Monate verteilt hielt, zogen Preußens König, Gelehrte, Studenten und andere Zuhörer an, die einen Platz ergattern konnten. Die Vortragsreihe sollte das wissenschaftliche Ereignis des Jahrhunderts in Preußen werden und seinem restlichen Leben eine Richtung geben. Schon bald bekam er einen Vertrag über die Herausgabe seiner Vorträge in Buchform. Der Name des Werks war "Kosmos".

Die letzten Kapitel

In einem Brief an den befreundeten Autor Karl August Varnhagen von Ense schrieb Humboldt 1834: "Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen."

Zu Humboldts Lebenszeit war der Umfang des menschlichen Wissens exponentiell gewachsen. Trotzdem glaubte Humboldt zunächst, er könne sein Werk über das Universum auf zwei Bände beschränken. Sie sollten alles, von den Pflanzen, der Astronomie und dem Klima bis zu den Ozeanen, der Atmosphäre und den Planeten abdecken. Außerdem wollte Humboldt erklären, was all diese Dinge miteinander verband. Für dieses ehrgeizige Vorhaben entschied sich Humboldt für seine Muttersprache Deutsch. Allerdings neigte er in allen Sprachen zu einem abschweifenden, wenig fokussierten Schreibstil, und er hatte wohl auch den gewaltigen Umfang des Projekts unterschätzt.

Der erste "Kosmos"-Band erschien 1845, fast zehn Jahre nachdem Humboldt ernsthaft mit der Arbeit an diesem Projekt begonnen hatte. Band zwei folgte kurz darauf im Jahre 1847, und Band drei folgte 1851. Den Vertrag mit seinem Verlag hatte Humboldt erfüllt, aber er schrieb weiter - denn er hatte noch mehr mitzuteilen. Der vierte Band erschien 1857.

Kopien von Humboldts "Kosmos" an der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Kopien von Humboldts "Kosmos" an der Berlin-Brandenburgische Akademie der WissenschaftenBild: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften/Foto: T. Rooks

Auch Humboldt muss irgendwann klar geworden sein, dass kein Werk der Welt das gesamte Universum beschreiben konnte. Trotzdem nahm er noch sechs Wochen vor seinem Tode Druckproben für den Folgeband ab.

Das fünfte Buch der Reihe sollte nicht mehr zu Humboldts Lebzeiten erscheinen. Was er "das Werk meines Lebens" nannte, blieb unvollendet. Den letzten Band, der erschienen war, hatte bereits sein Assistent Johann Eduard Buschmann zusammengetragen. Unvollendet blieb der Teil über die Menschheit und ihre Verbindung zum Universum - also der komplexeste Teil von allen.

Anerkennung und Opfer für seine Wissenschaften

Vermutlich hätte Humboldt noch mehr geschrieben, aber die Erfüllung seiner anderen Verpflichtungen waren sehr zeitaufwendig. Als einer der berühmtesten Männer Europas war er zeitlebens ständig unterwegs.

Humboldt war seit 1805 ein königlicher Kammerherr und erhielt eine Pension vom Hofe. Obwohl Friedrich Wilhelm III. ihm zunächst die Freiheit schenkte, in Paris zu leben, musste Humboldt häufig mit der königlichen Entourage zu Abend essen oder sich auf Reisen begeben, die im Sommer schon mal einen Monat daueren konnten. Als Friedrich Wilhelm IV. 1840 König von Preußen wurde, ernannte er Humboldt zu einem Mitglied des preußischen Staatsrates und band ihn so noch enger an den Hof.

Das ständige Planen, Packen, Unterhalten und Reisen waren für Humboldt eine große Belastung. Ein Beispiel aus Humboldts Kalender ist das Jahr 1845, das er mit einem Besuch beim belgischen König Leopold am Neujahrstag begann. Sechs Tage später war er bei Frankreichs König Louis Philippe zu Gast. Er blieb viereinhalb Monate in Paris und wurde zum Präsidenten der Geographischen Gesellschaft gewählt. Der erste Band des "Kosmos" wurde gedruckt. Danach reiste Humboldt über Frankfurt, Erfurt und Weimar zurück nach Berlin, bevor er im Juni den preußischen König auf eine Vier-Tage-Reise nach Kopenhagen begleitete.

Im Juli reiste er für die Einweihung einer Beethoven-Statue für einen Monat nach Bonn. Die britische Königin Victoria war ebenfalls dort und wollte den berühmten Wissenschaftler auch treffen. In der Nähe von Bonn führte er einige Experimente durch, bevor er zurück nach Berlin fuhr, wo er im September die russische Zarin willkommen hieß. Gegen Ende des Jahres erhielt er eine weitere Ehrendoktorwürde, diesmal von der Universität Tübingen.

So wollte Alexander von Humboldt sein Leben eigentlich nicht verbringen. Er brauchte das Geld des Königs, nicht aber die Gesellschaft royaler Persönlichkeiten. Er blieb ein Junggeselle, der am liebsten schreiben und sich mit Gelehrten und talentierten Menschen umgeben wollte. Stattdessen war sein Leben voller Zäsuren, und es brachte eine Flut an Briefen, Gästen und Kosten mit sich.

Statue von Alexander von Humboldt von Reinhold Begas
Alexander von Humboldt-Statue von Reinhold Begas, die heute vor der Humboldt-Universität zu Berlin stehtBild: T. Rooks

Trotz seiner exzellenten Bildung konnte Humboldt nicht mit Geld umgehen. Seine Südamerikareise hatte ihn zwischen 40.000 und 52.000 Taler seines 90.000 Taler großen Erbes gekostet. Bankunterlagen zeigen, dass Humboldt im Jahre 1822 nur noch 14.600 Taler besaß. 1829 hatte er bereits Schulden in Höhe von 2900 Talern. Dabei lebte er gar nicht im Luxus und er gab auch kein Geld für Überflüssiges aus. Die einzige Extravaganz, die er sich leistete, war die Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Bücher.

Auch 30 Jahre später spürte Humboldt noch die Last dieses Lebens – und noch immer sorgte er sich wegen seiner Schulden. Humboldt starb am 6. Mai 1859, nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag. Aber was war dies für ein Leben! Er hatte Thomas Jefferson, Napoleon, den Marquis de Lafayette, Charles Darwin und drei russische Zaren getroffen. Nie hat er einem Gast die Unterkunft verwehrt. Er half dabei, ein Gesetz zu verabschieden, wonach Sklaven frei waren, sobald sie preußisches Staatsgebiet erreichten.

Als Humboldt noch ein junger Mann war, schrieb Deutschlands berühmtester Dichter Goethe: "Es ist incalculabel was er noch für die Wissenschaften thun kann." Er sollte Recht behalten. Humboldt hat mehr erreicht, als sich die Menschen seiner Zeit hätten träumen lassen. Er hatte sein Vermögen geopfert und sein privilegiertes Leben der Wissenschaft gewidmet. Von Berlin aus ist er nach Peru und bis an die Grenzen Chinas gereist und hatte genug wissenschaftliche Artikel für 20 Leben veröffentlicht. Alexander von Humboldt war eine Ein-Mann-Lehranstalt, die unsere Sicht auf die Welt veränderte.

Timothy Rooks, Deutsche Welle
Timothy Rooks ist Reporter und Redakteur in Berlin.