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Das Schweigen der Beate Zschäpe

Marcel Fürstenau6. August 2013

Seit drei Monaten läuft der Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund". Die Hauptangeklagte verweigert beharrlich die Aussage. Daran dürfte sich auch nach der nun beginnenden Verhandlungspause nichts ändern.

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Beate Zschäpe im Gerichtssaal - Foto: Andreas Gebert (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Zehn Morde im Zeitraum von 2000 bis 2007 wirft ihr die Bundesanwaltschaft vor, neun Opfer hatten ausländische Wurzeln. In der Anklageschrift heißt es, Beate Zschäpe habe "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen" getötet. Sie ist die einzige Überlebende des mutmaßlichen Terrortrios, das sich in einem makaberen Bekennervideo selbst den Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegeben hat. Die beiden anderen, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, haben sich Anfang November 2011 das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Das ist, grob umrissen, die Ausgangslage für den spektakulären NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

Zschäpes rechtsextremistische Weggefährten können nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, bei ihr selbst stellte sich von Beginn an die Frage, ob sie am Ende tatsächlich als Mörderin verurteilt werden kann. Eine Antwort ist auch drei Monate nach dem Beginn des NSU-Prozesses am 6. Mai schwierig. Die Beweislage war trotz aufwändiger Ermittlungen dürftig, und daran hat sich auch nach 31 Verhandlungstagen und zahlreichen Zeugenbefragungen kaum etwas geändert. Als gesichert kann gelten, dass die 38-Jährige bei keinem der ihr zu Last gelegten Morde am Tatort war. Die mutmaßlichen Todesschützen waren Böhnhardt und Mundlos, mit denen Zschäpe bis zuletzt in einer Wohnung in Zwickau gelebt hat.

NSU-Versteck flog in die Luft

Diese Wohnung existiert allerdings nicht mehr, weil die Angeklagte sie in die Luft sprengte, bevor sie sich der Polizei stellte. Durch die Explosion in dem Haus hätten andere Bewohner verletzt werden oder gar ums Leben kommen können. Das bestätigte ein Fachmann des Landeskriminalamtes Sachsen in einem Gutachten. Ein schwerwiegender Fakt, der nur auf den ersten Blick nichts mit der im Mittelpunkt des Prozesses stehenden Mordanklage und dem Vorwurf zu tun hat, eine terroristische Vereinigung namens NSU gebildet zu haben. Strafrechtlich lässt sich wahrscheinlich vergleichsweise leicht ein Zusammenhang herstellen.

Haus nach Explosion in der Wohnung des NSU-Trios Foto: Jan Woitas (dpa)
Ausgebrannter NSU-Unterschlupf in Zwickau: In der Ruine fanden Ermittler ein BekennervideoBild: picture-alliance/dpa

Bei der Bemessung des Strafmaßes werden nämlich neben der rassistisch motivierten Mordserie auch die zerstörte Zwickauer Wohnung und der ebenfalls zur Anklage gehörende Nagelbomben-Anschlag in Köln eine Rolle spielen. Dabei waren 2004 in einer überwiegend von Migranten bewohnten Straße zahlreiche Menschen verletzt worden, einige von ihnen schwer. Über dieses dem NSU zugerechneten Attentat ist in den ersten drei Monaten vor dem OLG München überhaupt noch nicht verhandelt worden. Befürchtungen, der Prozess könnte wegen der vielen Anklagepunkte und der fast 100 Nebenkläger aus den Reihen der Opferangehörigen aus den Fugen geraten, haben sich inzwischen jedoch verflüchtigt.

Anwälte beklagen Vorverurteilung

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat das Verfahren fest im Griff. Anfängliche Versuche von Zschäpes Pflichtverteidigern, eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen, blieben erfolglos. Der schwerwiegendste Vorwurf lautete, ihre Mandantin sei von der Bundesanwaltschaft als "Mitglied einer Mörderbande" bezeichnet worden. Das wertete Zschäpe-Anwältin Anja Sturm als Vorverurteilung. Ähnlich argumentierten die Anwälte des wegen Beihilfe zum mehrfachen Mord angeklagten Ralf Wohlleben, der als einer der wichtigsten Helfer des mutmaßlichen NSU-Trios gilt. Der frühere Funktionär der rechtsextremen NPD soll den Auftrag erteilt haben, die Tatwaffe vom Typ "Ceska" zu besorgen.

Beate Zschäpe vermittelt auch ein Vierteljahr nach dem Beginn des NSU-Prozesses den Eindruck, als ginge sie dieses international Aufsehen erregende Ereignis nichts an. Regungslos nimmt sie das Geschehen im schmucklosen Sitzungssaal A 101 des OLG München zur Kenntnis. Seien es Aussagen ehemaliger Nachbarn, die schilderten, wie sie kurz vor ihrer Verhaftung ihre zwei Katzen aus der brennenden Wohnung in Sicherheit brachte. Oder die belastenden Aussagen des Mitangeklagten Carsten S., der als Waffen-Kurier die von ihm in Jena gekaufte "Ceska" nach Zwickau brachte und seiner Darstellung zufolge dabei neben Böhnhardt und Mundlos auch Zschäpe getroffen hat.

Die perfekte Tarnung des NSU-Trios

Außer Carsten S. gab nur noch der ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Holger G. eine Erklärung ab. Dabei gab er zu, für die mutmaßlichen NSU-Terroristen falsche Papiere organisiert zu haben. Damit konnten die seit Ende der 1990er Jahre untergetauchten Rechtsextremisten problemlos Autos und Wohnungen anmieten oder zum Arzt gehen. Es war, so viel steht nach drei Monaten NSU-Prozess fest, die perfekte Tarnung, um aus dem Untergrund heraus deutschlandweit Morde an Migranten zu verüben. Beate Zschäpe spielte dabei offensichtlich die entscheidende Rolle, indem sie ihre Komplizen Böhnhardt und Mundlos gegenüber Nachbarn als Freund und Bruder ausgab. Dieses Bild lässt sich aus den bisherigen Zeugenbefragungen zusammensetzen.

Dass sich Zschäpe selbst vielleicht doch noch zu den gegen sie, ihren Mitangeklagten und ihre toten Freunde erhobenen Vorwürfen äußert, dafür gibt es nicht die geringsten Anzeichen. Ganz offensichtlich haben ihre Pflichtverteidiger sie davon überzeugt, eisern zu schweigen. Dabei hatte sie anscheinend nach ihrer Festnahme durchaus daran gedacht auszusagen. Ein als Zeuge vernommener Beamter des Bundeskriminalamtes (BKA) berichtete Anfang Juli vor dem OLG München über entsprechende Andeutungen Zschäpes.

Kein Zuschauer hat Zschäpe sprechen hören

Zschäpes Sprachlosigkeit geht jetzt aber so weit, dass sie sogar Fragen des Vorsitzenden Richters nach ihrem Befinden von den drei Pflichtverteidigern beantworten lässt. Selbst regelmäßige Prozess-Beobachter auf der Zuschauertribüne im OLG München haben die Hauptangeklagte im NSU-Prozess öffentlich noch kein einziges Wort sprechen hören.

Richter Manfred Götzl - Foto: Tobias Hase (dpa)
Vorsitzender Richter Götzl: Verfahren fest im GriffBild: picture-alliance/dpa

Niemand rechnet im Moment damit, dass sich an dieser Strategie nach der am Mittwoch beginnenden vierwöchigen Prozesspause etwas ändern wird. Vom 5. September an sind allein in diesem Jahr noch 41 Verhandlungstage angesetzt.

Prognosen, der NSU-Prozess könnte zwei Jahre oder länger dauern, sind inzwischen offiziell bestätigt worden. Das Oberlandesgericht teilte vor knapp zwei Wochen mit, dass weitere 113 Verhandlungstage bis kurz vor Weihnachten 2014 bestimmt worden seien. Die Öffentlichkeit, aber vor allem die Angehörigen der Opfer des rechtsextremistischen Terrors müssen sich also noch lange in Geduld üben, bevor die Urteile gesprochen werden. Nach den ersten drei Monaten des NSU-Prozesses spricht so gut wie alles dafür, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nichts zur Wahrheitsfindung beitragen wird.