Gegen die Kinder der Revolution
24. Dezember 2013Wenn Ägypten je einen tragischen Revolutionär hatte, dann war es Bassem Mohsen. Der junge Aktivist erlag am 22.12.2013 seinen Verletzungen. Zuvor hatte ihm die Polizei in den Kopf und in die Brust geschossen.
Bassems Geschichte begann schon 2011, da war er gerade 20 Jahre alt. Er verließ seine Heimatstadt Suez - machte sich auf nach Kairo, um sich an den Protesten gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak zu beteiligen. Er war einer von Tausenden auf dem Tahrir-Platz, die für mehr Demokratie und Freiheit demonstrierten. Als es nach der Absetzung Mubaraks unter der Übergangsregierung, angeführt vom Militär, im selben Jahr wieder zu Protesten kam, war Bassem Mohsen mitten drin: Vor dem Innenministerium schoss ihm im November 2011 ein Polizist ins Gesicht. Bassem verlor ein Auge.
Im Kampf für Demokratie
Doch auch das hielt den jungen Mann nicht davon ab, sich für seine Überzeugungen einzusetzen. 2012 protestierte er gegen die Inhaftierung einiger Freunde, die vor dem Militärgericht standen. Er selbst wurde damals zu zwei Jahren Haft verurteilt, die er aufgrund einer Amnestie - erlassen vom damaligen Präsidenten Mohamed Mursi, dem Kandidaten der Muslimbrüder - nicht antreten musste. Doch der Unmut über die wirtschaftlichen und politischen Zustände im Land unter dem Regiment der Muslimbrüder wuchs. So kam es im Oktober 2012 zwischen ihm und Anhängern der Muslimbrüder zu schweren Handgreiflichkeiten. Als Folge dieser Geschehnisse schloss er sich der so genannten "Tamarod"-Bewegung ("Tamarod" bedeutet Revolution) an, wurde ihr Anführer in Suez. Es war diese Bewegung, die schließlich mit einer Unterschriftensammlung und Massendemonstrationen am 3. Juli 2013 Mursis Sturz durch das Militär herbeiführte.
Seither hat in Ägypten das Militär unter General Abdel Fattah Al-Sisi wieder das Sagen. Aufstände der Muslimbrüder wurden brutal niedergeschlagen, über 1000 Menschen wurden im Herbst getötet. Zudem ratifizierte der von der Interimsregierung ernannte Verfassungsrat sämtliche Artikel des neuen Entwurfstextes, der die post-revolutionäre Verfassung von 2011 ersetzen soll. Erst vor wenigen Tagen wurde der genaue Wortlaut bekannt: Die Rolle der Scharia als wichtigste Quelle des Rechts aus der alten Verfassung unter Mubarak bleibt unangetastet. Religiöse Parteien sind verboten. Und die Rolle des Militärs bleibt zentral und unantastbar. Was allerdings schon vorher durchsickerte: Prozesse gegen Zivilisten vor dem Militärgericht werden in gewissen Fällen erlaubt. Ernüchterung machte sich breit. Entwickelt sich Ägypten unter dem Militär wieder zu einer Diktatur?
Gegen das Militär
Bassem Mohsen schloss sich aus Sorge davor am 20. Dezember in Suez einer Demonstration seiner ehemaligen Feinde, den Muslimbrüdern, an. Polizisten feuerten mehrere Schüsse auf Bassem Mohsen, trafen seine Brust und seinen Kopf. Zwei Tage später starb er im Alter von 22 Jahren. Die Polizei bestreitet allerdings, für die Tat verantwortlich zu sein.
Auf Twitter machte sich gleich Empörung breit. Man habe einen Märtyrer verloren, der die Courage hatte, gegen Mubarak, Mursi und das Militär zu kämpfen, schrieb ein User. Eine junge Frau twitterte, dass die Revolution gegen die Unterdrücker jetzt erst recht fortgeführt werden müsse. Doch ob dies unter den derzeitigen politischen Bedingungen möglich ist, bezweifeln viele Ägypter.
Exempel statuiert
Denn nach den Muslimbrüdern richtet sich die Unterdrückung Andersdenkender durch die Militärführung immer stärker gegen die Demokratiebewegung. Kurz bevor bekannt wurde, dass Bassem Mohsen verstorben war, wurden die drei Aktivisten Ahmed Maher, Ahmed Douma und Mohamed Adel zu jeweils drei Jahren Haft und einer Geldstrafe von jeweils umgerechnet 5300 Euro verurteilt. Der Vorwurf: Sie sollen im November an einer illegalen Demonstration teilgenommen haben. Es war die erste Verurteilung auf der Grundlage eines neuen, umstrittenen Versammlungsgesetzes. Demnach müssen Demonstrationen von der Polizei ausdrücklich erlaubt werden. Als im Gerichtssaal das Urteil verlesen wurde, kam es zu großer Aufregung. "Nieder mit der Militärherrschaft", riefen die Anhänger der Aktivisten.
Die drei Verurteilten sind keine fremden Gesichter - im Gegenteil. Für viele junge Ägypter stehen sie für ein demokratisches Ägypten. Denn Maher, Douma und Adel sind die führenden Köpfe der Bewegung des 6. April, die gemeinsam mit anderen die Proteste gegen Mubarak im Januar 2011 starteten. "Diese Aktion zeigt eindeutig, dass sich das Regime an den Aktivisten und den Ikonen der Revolution rächen möchte", sagte Amr Ali, Hauptkoordinator der Bewegung des 6. April während einer Pressekonferenz am Sonntag.
Zweierlei Maß?
Mit so einem hohen Strafmaß hatte keiner gerechnet. In einem Interview mit der New York Times sagte Gamal Eid, Direktor des Arabic Network for Human Rights Information in Kairo (Arabisches Netzwerk für Informationen zu Menschenrechten), dass das Urteil als eine Warnung an alle Demokratie-Aktivisten sei. Das Militär wolle den Menschen sagen, dass sie sich ruhig verhalten sollen. Die Botschaft des Militärs lautete: "Man hat nur eine Wahl - entweder man unterstützt das Militär oder man landet im Gefängnis", sagt Gamal Eid.
Die Söhne von Ex-Präsident Mubarak haben das Militär immer unterstützt. Gamal und Alaa Mubarak wurden am Donnerstag von einem Gericht in Kairo von Korruptionsvorwürfen freigesprochen. Unter den Freigesprochenen ist auch Mubaraks letzter Regierungschef Ahmed Schafik.