"Das Leiden, nicht den Leidenden beseitigen"
2. Juli 2011Etwa einmal im Monat bittet ein Patient Helmut Hoffmann-Menzel um Hilfe beim Sterben. Der Oberarzt arbeitet auf der Palliativstation des Malteser-Krankenhauses in Bonn und betreut Sterbende in ihren letzten Tagen. Seine Position zum Thema Sterbehilfe ist eindeutig: Wenn Ärzte nur den Tod kennen, um Leid zu beenden, wäre dies eine Bankrotterklärung. Leiden zu lindern, zu trösten und Schaden abzuwenden, sei ureigenste ärztliche Aufgabe, betont er. Es sei nicht die Aufgabe der Ärzte, Herr über Leben und Tod zu sein, auch nicht, wenn der Patient dies wünscht. Trotzdem nehme er den Wunsch zu sterben sehr ernst. Oft stelle sich heraus, sagt der Mediziner, dass der Patient sich gar nicht so sehr wünsche zu sterben, sondern vielmehr, nicht so leidvoll zu leben. "Das Leiden und nicht der Leidende ist zu beseitigen," sagt Helmut Hoffmann-Menzel.
"Direkte Sterbehilfe ist Bankrotterklärung der Medizin"
Damit vertritt er die Haltung der deutschen Ärzteschaft, die sich erst vor wenigen Wochen auf dem Ärztetag in einer Klarstellung zu ihrem Standesrecht deutlich gegen Sterbehilfe und auch gegen die Beihilfe zum Suizid ausgesprochen hatte. Der Jurist und Medizinrechtler Hans-Georg Koch vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht sieht das kritisch. Es gäbe gewisse Grenzsituationen, die sich solchen rigiden Regelungen entzögen, so Koch. Angesichts solcher Situationen, in die gerade gewissenhafte Ärzte kommen können, seien solche markigen Sprüche wie das Verbot der Beihilfe zum Suizid in der Berufsordnung der Ärzte schwierig, meint der Jurist.
Rein nach deutschem Strafrecht wäre nämlich die Beihilfe zum Suizid gar nicht strafbar. Das liegt daran, dass in Deutschland schon der Selbstmord, auch versuchter, nicht strafbar ist. Also kann nach deutschem Strafrecht auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar sein. Dagegen ist die aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung auch auf Verlangen eines unheilbar Kranken, strafbar.
Vor gut einem Jahr hat der Bundesgerichtshof (BGH) zudem ein Grundsatzurteil zur passiven Sterbehilfe, dem Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen, gefällt: Danach muss die Behandlung eingestellt werden, wenn ein Patient lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt.
Erlaubte indirekte Sterbehilfe
Daneben gibt es die so genannte indirekte Sterbehilfe: Dabei wird das Leiden des Patienten gelindert. Erlaubt ist nicht nur die Gabe von Morphin oder anderen Opioiden, sondern auch andere medizinische Behandlungen, sagt der Palliativmediziner Hoffmann-Menzel. Er verweist auf Studien, die belegen, dass solche Behandlungen nicht zu einem vorzeitigen Sterben führen, meist aber zu einem würdevolleren, schmerzfreieren. Manchmal verlängerten sie sogar das Leben, weil sie dem Patienten den Stress nähmen.
Wesentlich sei in dieser Situation auch die Empathie mit dem Betroffenen und - soweit möglich - das Gespräch mit ihm. Nicht alle Patienten wollten über ihren bevorstehenden Tod sprechen. Aber wenn sie Gesprächsbereitschaft signalisierten, müsse man offen sein, so Hoffmann-Menzel. Dann ginge es am häufigsten um die Frage nach der verbleibenden Lebenszeit. Aber auch andere, ganz elementare Fragen müsse er dann beantworten: Die Frage, ob quälende Symptome wie Schmerzen oder Luftnot auftreten, ob man leiden muss oder friedlich einschlafen kann, ob man bis zuletzt mit nahestehenden Menschen kommunizieren kann, ob man alleine oder im Beisein der engsten Menschen sterben kann.
Fälle in der Grauzone des Rechts
Viele dieser Fragen und Probleme könne man palliativ behandeln und durch einfühlsame Gespräche lösen. Wäre dann also die Diskussion um die Sterbehilfe überflüssig, wenn man die palliative Versorgung in diesem Sinne besser ausbauen würde? Der Jurist Koch ist skeptisch: Palliativmediziner könnten zwar sehr viel, aber es gäbe auch Fälle, in denen sie mit ihrem Latein am Ende seien. Dann, meint Koch, könnten auch Palliativmediziner zu Maßnahmen greifen, die sich juristisch gesehen schon in einer fließenden Grauzone zur aktiven Sterbehilfe bewegen. Denn ob eine so genannte terminale Sedierung - also die Verabreichung stark beruhigender Medikamente, die den Tod beschleunigen könnten - jenseits aller juristischen Risiken sei, wolle er nicht unterschreiben.
Jetzt befasst sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit einem Fall von Sterbehilfe in Deutschland: Ein Mann klagt im Namen seiner verstorbenen Frau und rügt eine Verletzung des Rechts auf menschenwürdiges Sterben. Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel hatte seiner todkranken Frau den Erwerb eines tödlich wirkenden Medikaments verboten, mit dem sie zuhause sterben wollte. Daraufhin ging sie zum Sterben in die Schweiz.
Denn in anderen Ländern gelten andere Gesetze: In Staaten mit starker christlicher Prägung wie zum Beispiel Polen oder Griechenland ist die Sterbehilfe verboten. In Frankreich beispielsweise ist die aktive Sterbehilfe, ähnlich wie in Deutschland, verboten, die passive allerdings erlaubt.
Sterbe-Tourismus in die Schweiz
In den Niederlanden und Belgien ist sogar die aktive Sterbehilfe durch einen Arzt erlaubt. Ein Jurist, ein Mediziner und ein so genannter Ethik-Experte müssen zustimmen. In der Schweiz darf ein Mediziner einem todkranken Menschen eine tödliche Medikamenten-Dosis geben, einnehmen muss er sie selbst. Oberarzt Helmut Hoffmann-Menzel kennt den so genannten Sterbe-Tourismus in Länder, in denen Sterbehilfe erlaubt ist. Er hat einige Patienten betreut, die bereits fertige Reisepläne hatten. Sie blieben da, weil ihnen auf der Palliativstation Lebensfreude und Würde erhalten werden konnten - bis zum Tod.
Der Medizinrechtler Hans-Georg Koch spricht sich für eine Legalisierung der Sterbehilfe aus, wie sie in den Niederlanden praktiziert wird. Dabei ist er aber Realist: In Holland hätten sich auch die Ärzte für Sterbehilfe ausgesprochen. In Deutschland dagegen werde ein solches Sterbehilfe-Gesetz gegen den Widerstand der organisierten Ärzteschaft in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren wohl nicht umsetzbar sein.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Nicole Scherschun