Das Leid der Journalisten in Tunesien
20. Juli 2010Sechs Monate Freiheitsentzug hat er gerade hinter sich – der tunesische Regimekritiker Taoufik Ben Brik. Der 49-Jährige, der als Korrespondent für französische Zeitungen schreibt, litt schon zuvor an einer schweren Krankheit. Und deswegen ist es für ihn ein Wunder, dass er nach der Gefängnis-Tortur noch am Leben ist. Im Interview mit dem französischen Fernsehen kann er sich kaum noch aufrecht halten.
Bespitzelung und Haftstrafen
"Ich saß in einem uralten Gefängnis an der Grenze zu Algerien, mitten im Nichts, unter fürchterlichen Bedingungen. Und alles nur, weil ich in einem früheren Knastaufenthalt ein Gedicht geschrieben habe, das heute überall in der Welt bekannt ist", berichtet Ben Brik. Mit dem Gedicht "Der Poet und der Tyrann" geißelte der Journalist das Machtgebaren von Tunesiens Dauerpräsident Ben Ali. Doch die Verse waren nur Tropfen, die das Faß zum Überlaufen gebracht haben. Für seine jahrelangen Attacken gegen Ben Ali hat der Journalist und Schriftsteller nun einen hohen Preis bezahlt. Bespitzelung, Hausarrest, Zensur, Schauprozesse, Haftstrafen: Das ist das Schicksal all jener, die die Missachtung der Menschenrechte in Tunesien kritisieren – und sich mit dem Präsidenten anlegen. Gespräche mit ausländischen Medien werden abgehört und meistens im Keim erstickt.
Geschlossenes Regime
Sein fulminanter Wahlsieg im vergangenen Jahr hat Ben Ali nicht dazu veranlasst, die Repression gegenüber Regimegegnern zu lockern – im Gegenteil. Seit seinem Amtsantritt, einem stillen Putsch vor fast 23 Jahren, habe der Staatschef Tunesien in einen totalitären Polizeistaat verwandelt – und mittlerweile alles im Griff: die Presse, die Justiz, das Volk schlechthin. Das sagt Zouhair Belhassen. Die Tunesierin ist Präsidentin der Internationalen Menschenrechtsliga und lebt im Exil in Paris.
"Wir haben in Tunesien ein geschlossenes Regime, eine Art Käfig, wo alle Freiheiten und alle Rechte, alle Stimmen der Opposition und der Kritik verboten sind. Ein Regime, das die Medien zensiert und es der Zivilgesellschaft unmöglich macht, sich nachhaltig Gehör zu verschaffen."
Glänzende Fassade
Trotzdem blicken die nordafrikanischen Nachbarn voller Neid auf Ben Ali: Wirtschaftswachstum, Bildungsniveau, Emanzipation der Frauen: Tunesien steht bestens da. Aber es sei nicht alles Gold, was glänzt, meinte der Journalist Fahem Boukadous – und drehte für den Privatsender Al Hiwar Ettounsi eine Reportage über die verheerenden Zustände in den Phosphat-Minen von Gafsa. Er hatte die Fassade des potemkinschen Dorfes Tunesien eingerissen. Er tauchte unter und wurde in Abwesenheit wegen Landesverrats verurteilt. Im Herbst 2009 sprach er mit der Organisation Reporter ohne Grenzen – an einem geheimen Ort.
"In meinem Beitrag wollte ich die schlechten Arbeitsbedingungen und die Wut der Arbeiter in den Minen zeigen. Im Präsidentenpalast wollte man natürlich nicht, dass die Proteste irgendwie bekannt werden. Während das Regime die wirtschaftlichen Erfolge des Landes preist, kämpfen die Menschen in den Minen um Brot, um Menschenwürde, um das Recht, zu demonstrieren." Er habe die Wahrheit gesagt, er habe gezeigt, wie die Realität aussehe. Und dafür müsse er nun bezahlen, sagt Boukadous.
Der schwer lungenkranke Fahem Boukadous wurde festgenommen, als er sich in einer Klinik behandeln ließ. Der Fall seines berühmten Kollegen Taoufik Ben Brik hatte noch eine diplomatische Verstimmung zwischen Tunesien und dem bislang engsten Verbündeten Frankreich ausgelöst. Doch darauf können weniger bekannte Journalisten wie Fahem Boukadous nicht hoffen. Auf ihn warten vier Jahre Gefängnis – und seine Anwältin fürchtet, er werde es in seinem Gesundheitszustand nicht mehr verlassen.
Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Katrin Ogunsade