Das Kino und der Antisemitismus: Zwischen Reflexion und Propaganda
Im Kino gab es auch vor 1933 und nach 1945 Filme mit antisemitischen Tendenzen. Aber es gab auch Werke, die kritisch mit Fremdenhass umgingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zögerlich der Holocaust zum Thema.
Jüdische Legende: Der Golem
"Der Golem, wie er in die Welt kam" von und mit Paul Wegener ist einer der berühmtesten deutschen Stummfilme. Er entstand 1920 und blickt zurück auf Prag im 16. Jahrhundert: Das jüdische Ghetto der Stadt ist in Gefahr, der Kaiser verfügt, dass die Juden die Stadt verlassen sollen. Helfen kann nur die mythische Gestalt des Golem. Ein früher Film, der von Judenverfolgung erzählt.
Judenverfolgung im frühen Kino: Die Stadt ohne Juden
Als filmhistorisch wichtiges Beispiel für die Beschäftigung des Kinos mit dem Antisemitismus gilt der österreichische Film "Die Stadt ohne Juden". Das Werk nach einem Roman von Hugo Bettauer spielt im Wien der 1920er Jahre und zeigt, wie die Bevölkerung die Juden für alle gesellschaftlichen Missstände verantwortlich macht. Kritiker bemängeln allerdings auch antisemitische Klischees in dem Film.
Monumentales aus Hollywood: Griffiths "Intolerance"
Vier Jahre zuvor hatte der amerikanische Regisseur D.W. Griffith mit "Intolerance" den monumentalen Geschichtsfilm erfunden. Darin erzählt er in vier Episoden von historischen Ereignissen und klagt menschliche Intoleranz an. Doch in den Szenen, die von der Kreuzigung Jesu erzählen, verfängt sich Griffith in Vorurteilen gegen Juden. Heute werfen Experten "Intolerance" antisemitische Tendenzen vor.
Christlich-jüdische Geschichte in "Ben Hur"
"Ben Hur", mehrfach verfilmt, erzählt von Auseinandersetzungen von Juden und Christen zu Beginn des 1. Jahrhunderts. Die erste Verfilmung des Stoffs entstand 1925: Der jüdische Prinz Judah Ben Hur lebt als Zeitgenosse von Jesu Christi im römisch besetzten Jerusalem. Noch heute diskutiert die Filmwissenschaft über die Darstellung der christlich-jüdischen Beziehungen in den Ben-Hur-Filmen.
Aufarbeitung nach dem Krieg: Der Prozeß
Ein heute wenig bekannter, aber erstaunlicher Film ist G.W. Pabsts "Der Prozeß", der drei Jahren nach Kriegsende in Österreich entstand. Pabst erzählt die Geschichte eines historischen Falls in Ungarn im Jahr 1882: In einem Dorf verschwindet ein Mädchen - Schuld daran sollen Juden sein. Die Folge ist ein Pogrom. "Der Prozeß" ist ein frühes Beispiel, wie das Kino auf den Holocaust reagiert hat.
Das Grauen im Bild: "Nacht und Nebel"
Doch ein Spielfilm wie "Der Prozeß" war die Ausnahme. Nach Ende des Krieges brauchten die europäischen Regisseure lange, um sich des Themas in aller Deutlichkeit anzunehmen. Der Franzose Alain Resnais war der erste, der 1955 die NS-Vernichtungspolitik gegen die Juden in seinem halbstündigen Dokumentarfilm "Nacht und Nebel" schonungslos darstellte.
TV-Serie "Holocaust" brach den Bann
Erst ein in den USA gedrehter TV-Mehrteiler brachte den Holocaust in das Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten. 1978 drehte Regisseur Marvin J. Chomsky "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss". Im dem vierteiligen Werk wird gezeigt, wie eine jüdische Familie aus Berlin in das Räderwerk der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gerät.
Steven Spielbergs "Schindlers Liste"
Was der Serie "Holocaust" für das Fernsehen gelang, schaffte 15 Jahre später der amerikanische Regisseur Steven Spielberg für das Medium Kino. Auf großer Leinwand erzählte Spielberg von den bestialischen Taten der SS. Am Beispiel des SS-Offiziers Amon Göth dekliniert der Regisseur durch, zu welch brutalen Auswüchsen der Antisemitismus in Nazi-Deutschland, vor allem im Osten Europas, führte.
Claude Lanzmann und sein Blick auf die "Shoah"
Der französische Regisseur Claude Lanzmann reagierte auf Spielbergs Film mit beißender Kritik: "Er hat nicht richtig nachgedacht über den Holocaust und das Kino. Man kann den Holocaust nicht darstellen", so Lanzmann über den US-Regisseur. Er selbst beschäftigte sich auf ganz andere Art und Weise mit Antisemitismus und Holocaust: in langen Dokumentar- und Essayfilmen wie "Shoah" und "Sobibor".
Dem Holocaust mit Humor begegnen
Einen der schwierigsten Ansätze, sich mit Antisemitismus und Holocaust zu beschäftigen, wählte der italienische Komiker und Filmemacher Roberto Bengini. 1997 hatte sein Film "Das Leben ist schön" Premiere, eine Geschichte vom Leid der Juden im Konzentrationslager, eine Geschichte aber auch, in der der Humor eine befreiende Wirkung hat.
Roman Polanskis "Der Pianist"
Einen bewegenden Film legte der polnisch-französische Regisseur Roman Polanski 2002 vor. Der Film schildert das Schicksal des polnischen Pianisten und Komponisten Władysław Szpilman in den Kriegsjahren 1943/44. Damit verarbeitete der Regisseur auch seine eigene Geschichte. Polanskis Mutter sowie weitere Familienangehörige wurden von den Nazis deportiert und ermordet.
Umstritten: Scorseses Jesus-Film "Die letzte Versuchung Christi"
Einen Sonderfall stellen die Filme dar, in denen aus verschiedenen Perspektiven das Leben Jesu geschildert wird. Diese Werke gerieten oft in den Fokus von Auseinandersetzungen über Antisemitismus. Auch Martin Scorseses Film aus dem Jahre 1988 wurde vorgeworfen, antisemitische Klischees zu bedienen - etwa wenn Juden im Film indirekt mit Geldgier in Verbindung gebracht werden.
Skandalfilm "The Passion of the Christ" von Mel Gibson
Noch heftiger wurde im Jahr 2004 über den Jesus-Film des Australiers Mel Gibson gestritten. Christen und Juden warfen dem Film Antisemitismus vor: Dem im neuen Testament implizierten Vorwurf, Juden seien Schuld am Tod Jesu (der ja selbst auch Jude war), wäre Gibson nicht entgegengetreten. Gibson fiel in der Öffentlichkeit darüberhinaus mit antisemitischen Äußerungen auf.
Türkischer Antisemitismus: Tal der Wölfe
Antisemitismus warfen Zuschauer und Kritiker auch dem türkischen Film "Tal der Wölfe" vor. Die actiongeladene Kinoversion einer gleichnamigen TV-Serie erzählte - in mehreren Teilen - vom Kampf türkischer Soldaten gegen Israel. Der Film bediene "antiamerikanische, antiisraelische und antisemitische Stereotyp-Bilder mit volksverhetzendem Charakter", lautete der Vorwurf verschiedener Organisationen.
Deutscher TV-Erfolg in der Kritik
Wie schwierig der Umgang mit dem Thema Zweiter Weltkrieg auch heute noch ist, zeigte zuletzt die dreiteilige TV-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" (2013). Dem Film, der das Schicksal einer Handvoll deutscher Soldaten an der Ostfront zeigt, wurde in Polen Antisemitismus vorgeworfen. Der TV-Film zeichne ein falsches Bild des polnischen Widerstandes und sei antisemitisch, so die Kritik.
Solide Aufarbeitung: Hannah Arendt
Auf positive Kritiken stieß Margarethe von Trottas Film über Hannah-Arendt (2012). Die Regisseurin zeichnete ein Bild der Philosophin und Publizistin, die sich in den 1960er Jahren mit einem Hauptverantwortlichen antisemitischer NS-Vernichtungspolitik auseinandersetzte: Adolf Eichmann. Arendt schuf den Begriff der "Banalität des Bösen" - Antisemitismus, versteckt als Akt biederer Bürokratie.
Streit um "Wonder Woman"
Weil die Darstellerin des aktuellen Hollywood-Superheldinnenfilms "Wonder Woman" von der Israelin Gal Gado gespielt wird, weigerten sich Behörden und Kinos in mehreren arabischen Ländern, den Film zu zeigen. Gado hatte zuvor in der Armee ihres Landes gedient und dies auch offensiv verteidigt. "Wonder Woman" nicht zu zeigen, sei antisemitisch, argumentierte nun die israelische Öffentlichkeit.
Im Kino gab es auch vor 1933 und nach 1945 Filme mit antisemitischer Tendenz. Ebenso gab es auch Werke, die sich kritisch damit auseinandersetzten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Holocaust zu einem Thema.