Diskriminierung ukrainischer Roma-Geflüchteter
5. August 2022"Die Uhr tickt!", warnte Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma, in einem virtuellen Pressegespräch über die Lage geflüchteter Roma in und aus der Ukraine. Der Krieg habe verstärkt gezeigt, dass viele Angehörige der Minderheit in ihrem Land einer andauernden strukturellen Benachteiligung ausgesetzt seien. "Das Problem des Antiziganismus ist nicht neu", so Daimagüler. Ausgrenzung, mangelnde Partizipation, keine Anerkennung als nationale Minderheit, katastrophale Zustände in vielen Wohnvierteln, kaum Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen habe es in der Ukraine bereits vor dem Krieg gegeben. Doch jetzt seien viele Roma einer verstärkten Diskriminierung ausgesetzt - als Geflüchtete sowohl im Inland als auch im europäischen Ausland. Auch in Deutschland.
Gemeinsam mit dem Co-Vorsitzenden der Bundesvereinigung Sinti und Roma, Daniel Strauß, und dem EU-Parlamentarier Romeo Franz hat Daimagüler in den vergangenen Tagen die Ukraine besucht und sich auch über Hilfsleistungen der Bundesregierung informiert.
In der Ukraine leben derzeit rund 400.000 Menschen, die zur Roma-Community gehören. Nur etwa 30 Prozent dieser Menschen würden unter "normalen" Bedingungen leben, viele würden ihre Identität verleugnen, sagte Strauß im Pressegespräch. Kurzfristig müsse es für die geflüchteten Roma sofortige Hilfsleitungen geben, die direkt an die Bedürftigen verteilt werden sollten. Langfristige Strategien müssten die gleichberechtigte Teilhabe der Minderheit zum Ziel haben. Zudem müsse es ein Monitoring-Verfahren unter Beteiligung der Betroffenen geben. Er hob in diesem Zusammenhang die deutsche Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) hervor, die sich besonders um Roma in der Ukraine kümmere, die den Holocaust überlebt hätten.
Der grüne Europaabgeordnete Romeo Franz machte klar, dass Antiziganismus nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und in Tschechien verstärkt anzutreffen sei. "Wir haben ein Antiziganismus-Problem in Europa", sagte Franz und begrüßte, dass Vertreter der Community zusammen mit dem Bundesbeauftragten gegen Antiziganismus unterwegs waren, um sich ein Bild zu machen von der katastrophalen Lage der Roma in der Ukraine.Anlass der Reise, so Daimagüler, seien auch mehr als ein Dutzend antiziganistischer Vorfälle gewesen, die ihm aus verschiedenen Bundesländern in Deutschland gemeldet worden seien. So seien Roma-Geflüchtete aus der Ukraine aus Zügen verwiesen worden. Es sei für ihn "unerträglich", dass die Nachfahren der Menschen, die mit Waggons der Reichsbahn in die Konzentrationslager der Nazis transportiert wurden, 70-80 Jahre später in Zügen der Deutschen Bahn rassistisch angegangen würden.
Antiziganismus sei ein deutsches und ein europäisches Problem und müsse gemeinsam mit den Verbänden der Sinti und Roma "auf Augenhöhe" und frei von jeglichen "paternalistischen Ansätzen" gelöst werden. Auf die Frage der DW nach dem bestehenden Antiziganismus in Deutschland, der auch im Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) belegt wird, sagte Daimagüler, er sei der Kommission gegenüber verpflichtet, deren Empfehlungen umzusetzen. Er plädierte für eine neue Roma-Strategie in den Ländern der EU.