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Cyber-Krieg in Russland

14. Februar 2012

Wenige Wochen vor der Präsidentenwahl tobt in Russland ein Hacker-Krieg. Internet-Seiten regierungskritischer Medien werden lahmgelegt und E-Mail-Fächer geknackt. Auch die Hacker-Gruppe Anonymous mischt mit.

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Die Guy-Fawkes-Maske ist das Erkennungszeichen der Hacker-Gruppe “Anonymous“ (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Moskauer Tageszeitung "Kommersant" spricht vom "größten politischen Skandal der letzten 12 Jahre". Hinter den massiven Hacker-Attacken auf die Zeitung im März 2008 soll die kremltreue Jugendorganisation "Naschi" (Die Unseren) stecken. Hinweise darauf gebe es, so "Kommersant", in den E-Mails des "Naschi"-Anführers Wassilij Jakemenko und seiner Pressesprecherin Kristina Potuptschik.

Wladimir Putin lässt sich von seinen jugendlichen Anhängern feiern (Foto: AP Photo/RIA-Novosti)
Wladimir Putin lässt sich von jugendlichen Anhängern feiernBild: AP

Hacker, die sich als russischer Ableger der international agierenden "Anonymous"-Gruppe ausgeben, hatten Jakemenkos und Potuptschiks Postfächer geknackt und vor wenigen Tagen E-Mails im Internet veröffentlicht. Das Verlagshaus "Kommersant" forderte daraufhin das russische Innenministerium auf, die brisanten Informationen zu überprüfen. Die Beweise würden ausreichen, um Strafverfahren einzuleiten, schreibt Demjan Kudrjawzew, Generaldirektor des Verlagshauses, in seinem Blog auf der Plattform LiveJournal.

"Naschi" weist alle Vorwürfe zurück und droht "Kommersant" mit einer Verleumdungsklage. Die Jugendorganisation wird aus Steuergeldern finanziert und macht seit Jahren Stimmung für Wladimir Putin. Der russische Premier gilt als Favorit bei der Präsidentenwahl am 4. März.

Internet als Schlachtfeld

Der Hacker-Skandal wirft aber nicht nur einen Schatten auf Putin. Er macht auch deutlich, wie wichtig das Internet in Russlands Politik geworden ist. Medien sprechen gar von einem "Cyber-Krieg" zwischen kremlnahen und oppositionellen Hackern.

Boris Nemzows spricht am Telefon (Foto: ITAR-TASS/ Stanislav Krasilnikov)
Boris Nemzows Telefonate wurden abgehört und veröffentlichtBild: picture-alliance/dpa

Kaum eine Woche vergeht ohne Angriffe. So legte die Gruppe "Anonymous" am 8. und 9. Februar Internet-Seiten der Kreml-Partei "Einiges Russland" lahm. Zuvor waren Seiten mehrerer Oppositionsparteien von Unbekannten angegriffen worden. Immer öfter wird das Internet auch für Kampagnen gegen Oppositionelle genutzt. Deren private Telefonate werden abgehört und ins Netz gestellt. Eines der Opfer war vor kurzem der frühere Vize-Premier Boris Nemzow.

Die bislang massivsten Störungen im russischen Internet traten am Tag der Parlamentswahl, am 4. Dezember 2011, auf. Seiten mehrerer regierungskritischer Medien, darunter die der Zeitung "Kommersant", aber auch die einer unabhängigen Wahlbeobachterorganisation, konnten stundenlang nicht aufgerufen werden. Diese Hacker-Angriffe, so der Chefredakteur des einflussreichen Radiosenders "Echo Moskwy" Alexej Wenediktow, würden die Legitimität der Duma-Wahl zusätzlich in Frage stellen. "Unser Sender sollte daran gehindert werden, über Wahlverstöße zu berichten", so Wenediktow.

Teure Sabotage

Die Hintermänner von Hacker-Angriffen zur Verantwortung zu ziehen, sei sehr schwierig, behaupten die russischen Behörden. Nach Einschätzung von Szene-Kennern sind die Hacker der Polizei tatsächlich technisch deutlich überlegen.

In den meisten Fällen handelt es sich um DDoS-Attacken. Die Abkürzung steht für "Destributed Denial of Service", ein englischer Fachbegriff für Computersabotage. Er beschreibt einen Vorgang, bei dem von mehreren Rechnern tausende Anfragen an einen Server geschickt werden und diesen überlasten. Experten zufolge ist das kein billiges Unterfangen. So könnten die DDoS-Attacken auf "Kommersant" umgerechnet mehrere zehntausend Euro gekostet haben.

"Moralischer Sieg für Anonymous"

Der Nowosibirsker Künstler Artjom Loskutow (Foto: dpa)
Der Nowosibirsker Künstler Artjom Loskutow bloggt für die DWBild: Picture-Alliance/dpa

Die nun gehackten E-Mail-Fächer einiger Aktivisten der kremlnahen "Naschi"-Jugendorganisation werfen darüber hinaus moralische Fragen auf, schreibt "Kommersant“. Wenn Hacker E-Mails von Oppositionellen mit privatem Inhalt veröffentlichen, sei dies zu verurteilen, denn "fremde Briefe sollte man nicht lesen". Doch in diesem Fall seien Opfer des Cyber-Angriffs "Funktionäre einer undurchsichtigen Regierungsorganisation mit einem zweifelhaften Ruf" geworden. Darf man illegal erworbene E-Mails als Beweis verwenden und damit unrechtmäßige Methoden der Hacker legitimieren? Darauf hat "Kommersant" keine eindeutige Antwort.

Das dürften viele der eher liberal eingestellten Russen ähnlich sehen, wie zum Beispiel Artjom Loskutow, der für die Deutsche Welle bloggt: "Auf der einen Seite gibt es Fälle, in denen es um das Privatleben der Oppositionellen geht, auf der anderen einen gesellschaftlich relevanten Fall wie diesen". Der moralische Sieg sei im Fall der geknackten E-Mails von "Naschi" auf der Seite der anonymen Hacker. Die Gruppe "Anonymous" kündigte bereits neue Angriffe an.

Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk