Corona: Durststrecke im Bierland Franken
6. Mai 2020Erstmal muss der ganze Blütenstaub weg. Eine gelbe Wolke wirbelt auf, als Alois Schmitt die Pollen von einer der Bänke in seinem verwaisten Biergarten fegt. Gäste kommen wegen Corona ja keine. Dann setzt er sich selbst auf die Bank und schaut nachdenklich hinüber zu seinem uralten Wirtshaus mit der denkmalgeschützten Fassade. "Kathi Bräu" steht auf einem einfachen Holzschild über der Tür. "Wir werden diese Krise irgendwie überstehen", sagt Schmitt, der hier der Braumeister ist. "Aber das wird noch heftig."
Seit 1498 gibt es die "Kathi" schon, sie zählt zu den ältesten Brauereien in der Fränkischen Schweiz. Die Coronakrise trifft sie mit voller Härte. Das kleine Brauhaus im Landkreis Bayreuth nimmt sein Geld nämlich vor allem über das Tagesgeschäft im Wirtshaus und im Biergarten ein. Ein gutes dunkles Fassbier braue man hier, erzählt Schmitt. Und normalerweise würde der Laden jetzt brummen: "Am langen Wochenende Anfang Mai hätten wir sicherlich mehrere hundert Gäste bei uns – und zwar am Tag."
Hundert Brauereien in der Region
Die urige Brauerei ist eine von vielen in der Fränkischen Schweiz. An die hundert gibt es in der Region nordöstlich von Nürnberg. Spitzenreiter ist der 1500-Einwohner-Ort Aufseß mit gleich vier Brauereien – die "Kathi" ist eine davon. Ein Wanderweg, der sich rund um den Ort schlängelt, bringt Besucher von einer der Brauereien zur nächsten. Am Ende der 14 Kilometer langen Route ist so mancher Wanderer nicht mehr ganz nüchtern – und bleibt deswegen gleich über Nacht in einem der örtlichen Gasthöfe.
Die alten Brauereien sind deshalb auch ein wichtiger Tourismusfaktor für die Region. Eine derartige Vielzahl gibt es nirgendwo sonst auf der Welt, die Gemeinde Aufseß hat es mit ihren vier Brauhäusern gar ins Guinness Buch der Rekorde geschafft. Dazu sind die Preise günstig, und die Landschaft mit ihren grünen Tälern, bizarren Felsen und Fachwerkhaus-Dörfern idyllisch. Das lockt Besucher an – knapp zehn Millionen Tagesurlauber und mehr als 1,5 Millionen Übernachtungsgäste pro Jahr.
Die Gaststube bleibt leer
Dass diese Gäste jetzt wegbleiben, bekommt nicht nur die "Kathi" zu spüren. Auch im Brauereigasthof Reichold, dem nächsten Stopp auf der Route, herrscht gähnende Leere. Katinka Reichold, die Wirtin, hat trotzdem Blumen auf die Tische gestellt. Hellblaue Vergissmeinnichte frisch aus dem Garten. Ein bisschen schön soll es ja aussehen. "Wir sind doch auch den ganzen Tag hier", sagt sie mit einem traurigen Lächeln.
Eine solche Ruhe hätten sie hier selten erlebt, meint auch ihr Mann Hilmar, Seniorchef der Brauerei. "Über den Ausfall brauchen wir gar nicht zu reden, das ist Wahnsinn." Jetzt, wo das Geld aus dem Gasthaus und der Pension wegfallen, hilft Reichold allerdings, dass er sein Bier vor allem in Flaschen abfüllt. Anders als das Fassbier kann er diese an die Supermärkte abgeben. Viele Einheimische kommen auch direkt vorbei und holen sich einen Kasten. Trotz Corona trinken die Leute ja weiter gern Bier, ist Reichold sicher.
Dutzende Bierfeste fallen aus
Noch besser würde das Bier aber wohl fließen, müssten die Brauereien nicht auch noch auf die Feste verzichten. Rund 280 Kirchweihen finden jedes Jahr in der Fränkischen Schweiz statt, die meisten fallen jetzt der Coronakrise zum Opfer. Auch das mehr als 100 Jahre alte "Walberla"-Fest auf dem Berg Ehrenbürg im Landkreis Forchheim. Hunderte Besucher pilgern jedes Jahr Anfang Mai die felsigen Pfade hinauf zum Gipfelplateau und genießen von oben den Blick übers Land – mit einer Maß Bier in der Hand.
Nicht mal eine Viertelstunde entfernt liegt der Ort Pretzfeld. Im Hof der kleinen Brauerei Nikl sitzt Braumeister Mike Schmitt und runzelt die Stirn. Normalerweise würde er jetzt auf dem Berg sein helles Festbier ausschenken, gemeinsam mit elf weiteren Brauereien aus der Fränkischen Schweiz. Diese Einnahmen sind jetzt komplett verloren – so wie die von sechs weiteren Kirchweihen im Sommer, erzählt Schmitt. "Feste sind unser Hauptgeschäft. Finanziell ist das Jahr im Grunde gelaufen."
In den Biergarten künftig mit Maske?
Zwar kann man die deftige Schweinshaxe, die auf der Karte des Wirtshauses steht, jetzt auf Bestellung abholen und das Bier lässt sich sogar per Mausklick im Online-Shop kaufen. Beides laufe im Moment sogar gut, sagt der junge Braumeister – helfe aber nicht annähernd, um die Ausfälle sowie laufende Kosten und die Tilgungen für wichtige Investitionen im Brauhaus zu decken. Natürlich hat Schmitt auch Corona-Hilfen beantragt. Ob seine Brauerei die Krise damit überlebt? "Derzeit ist alles offen."
Jonathan Wunderlich will die Saison noch nicht ganz verloren geben. Er ist Pächter des „Pretzfelder Kellers“, eines großen Biergartens ganz in der Nähe. In diesen Tagen werkelt er an dem kleinen Schupfen herum, in dem sonst die Bierfässer lagern. Mitte des Monats will Bayern den Betrieb von Biergärten wieder erlauben, mit strengen Auflagen. Abstand halten sei bei ihm kein Problem, meint Wunderlich, „genug Platz hab ich ja“. Wie es aber wohl wäre, wenn die Leute mit Maske an den Biertischen säßen – da ist er sich nicht so ganz sicher. „Die Stimmung wäre auf jeden Fall lang nicht mehr so schön und so gemütlich wie vorher.“