Wenn geschlossene Grenzen zum Problem werden
28. April 2020Eigentlich sollte 2020 das Jahr der offenen Grenzen in Afrika werden. Nach jahrelangen Verhandlungen stand endlich die konkrete Umsetzung der Afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) auf der Agenda, auch der gemeinsame afrikanische Reisepass sollte dieses Jahr Realität werden. Doch dann kam das neue Coronavirus - und 43 der 54 Staaten in Afrika schlossen wegen der Pandemie ihre Grenzen. Diese Zahl veröffentlichte das Afrika-Zentrum zur Kontrolle von Krankheiten und Vorbeugung (Africa CDC) Anfang April.
Zwar lassen viele Staaten Warenverkehr zumindest teilweise passieren. Doch die Auswirkungen für den Kontinent, vor allem die langfristigen, sind kaum abschätzbar. Die Afrikanische Union warnt, Grenzschließungen für Menschen und Waren könnten einen "verheerenden Einfluss auf die Gesundheit, die Wirtschaft und die soziale Stabilität in vielen afrikanischen Staaten haben", die auf den Handel mit Nachbarn angewiesen sind.
Diese Gefahr ist teilweise bereits Realität geworden. So warnte die Impfallianz GAVI Anfang des Monats, dass wegen Grenzschließungen und eingeschränktem Flugverkehr in einigen afrikanischen Staaten Impfstoffe knapp werden. Auch wenn nach Auskunft von GAVI dieses Problem inzwischen gelöst werden konnte, zeigt das Beispiel, wie sehr auch die Gesundheitsversorgung auf dem Kontinent von durchlässigen Grenzen abhängt.
"Mobilität gehört zum Alltag"
Doch der eingeschränkte Transport von Waren ist nur eines der Probleme von Grenzschließungen. Afrika sei stark von der Beweglichkeit der Arbeitskräfte abhängig, betont Robert Kappel, emeritierter Professor des Instituts für Afrikastudien der Universität Leipzig. Genau die ist derzeit aber nicht gegeben.
"Mobilität gehört zum Alltag der meisten Afrikaner. Man geht für eine Zeit lang woanders hin, arbeitet, erwirbt Einkommen und schickt es an die Familie, erwirbt Kompetenzen und bringt diese zurück, schafft Netzwerke über Grenzen hinweg", so Kappel im DW-Interview. Der Ökonom ist sich sicher: Je länger die Mobilität derart eingeschränkt ist, desto mehr leiden die Staaten unter einem reduzierten Wirtschaftswachstum.
Als Beispiel nennt Kappel die Elfenbeinküste. So wie westeuropäische Staaten auf osteuropäische Erntehelfer angewiesen sind, kommen viele Menschen aus Burkina Faso, um auf den ivorischen Kakaoplantagen arbeiten. Sogar Menschen, die schon länger in der Elfenbeinküste leben, würden nun wegen der COVID-19-Pandemie zurückgeschickt, da sie Ausländer seien. "Die Elfenbeinküste, einer der größten Kakaoproduzenten der Welt, hat seit Jahrzehnten auf den Austausch von Arbeitskräften gesetzt und muss das jetzt plötzlich einschränken", so Kappel.
Gute Kooperation im Süden
Was Warentransporte per LKW angeht, scheint sich die Lage auf dem Kontinent derweil langsam zu entspannen. Das berichtet zumindest Sean Menzies, verantwortlich für den Straßengüterverkehr beim südafrikanischen Logistikunternehmen CFR Freight. Die LKWs der Firma transportieren Waren in fast alle Nachbarstaaten und Mitgliedsländer der Regionalgemeinschaft SADC: Lebensmittel nach Simbabwe, Bergbaugeräte in die Demokratische Republik Kongo oder nach Sambia. Die Ausbreitung des Coronavirus und die daraus resultierenden Grenzschließungen brachten Einschränkungen für das Unternehmen.
Zunächst habe man nur lebensnotwendige Waren wie Nahrungsmittel, Hygieneprodukte oder Schutzausrüstung über Grenzen hinweg transportieren dürfen, berichtet Menzies. Kurz darauf seien auch die Bestimmungen für Fracht gelockert worden, die Südafrika auf dem Seeweg erreicht, aber für andere Länder der SADC bestimmt ist. Diese dürfe grenzüberschreitend transportiert werden, unabhängig davon, ob der Inhalt der Container lebensnotwendig sei oder nicht.
Der Transport verzögere sich durch neue Bestimmungen und Kontrollen nicht allzu sehr, sagt Menzies. "Ganz am Anfang gab es Probleme und viel Verwirrung darüber, was erforderlich ist. Aber innerhalb von ungefähr einer Woche haben die Zollbeamten die Vorgaben verstanden und umgesetzt", so der Logistiker. Von da an sei der Verkehr an den Grenzposten recht flüssig gelaufen. Menzies lobt die Kooperation in der Region, was den Warenverkehr in der Pandemiezeit angeht.
An einem Strang ziehen
Die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) versucht ebenfalls, den Transport von Waren zwischen den Mitgliedsstaaten zu vereinfachen. Am Montag gab die EAC dafür neue Richtlinien heraus. Dort heißt es unter anderem, dass alle Grenzübergänge für Frachtverkehr offen gehalten werden sollen, damit LKWs möglichst schnell abgefertigt werden können.
Die Staaten der EAC seien auf vielen Ebenen miteinander verknüpft, erklärt Kenneth Bagamuhunda, Generaldirektor für Zoll und Handel im Sekretariat, dem ausführenden Organ der EAC. "Das zwingt uns, wirklich zusammenzukommen und regionale Richtlinien auszugeben", sagt Bagamuhunda im Interview mit der Deutschen Welle. Zwar seien die Richtlinien nicht bindend, sie sollen aber gemeinsames Handeln ermöglichen.
Die Situation an den Grenzen in Ostafrika könne man "nicht als sehr stabil" beschreiben, sie sei von Tag zu Tag unterschiedlich. Die Situation verbessere sich aber. Einige Staaten hätten angefangen, alle LKW-Fahrer zu testen. "Das führte anfangs zu einigen Verspätungen", sagt Bagamuhunda.
30 Kilometer - so lang war am Sonntag der Stau vor dem kenianischen Ort Malaba an der Grenze zu Uganda, meldete der Sender Citizen TV. Weil LKW-Fahrer besonders mobil sind, besteht die Gefahr, dass sie zur Verbreitung des Virus beitragen. Wie die BBC berichtet, sind mindestens 20 der 79 offiziell registrierten Fälle in Uganda LKW-Fahrer.
Die neuen Richtlinien der EAC sehen nun Tests für alle Fahrer vor. Außerdem sollen die Staaten spezielle Haltepunkte einrichten, damit die Fahrer möglichst wenig Kontakt zur Bevölkerung haben.
Bauern und Kleinunternehmer sind besonders betroffen
Besonders bedroht durch Verzögerungen und Einschränkungen seien kleine und mittelgroße Unternehmen, die auf grenzüberschreitenden Handel angewiesen sind, sagt der Ökonom Robert Kappel. "Viele der Bauern oder Kleinunternehmer müssen nun versuchen, ihre Produkte woanders zu verkaufen. Aber oft ist der lokale Markt ja auch begrenzt."
Die EAC überlegt nun, wie sie diese kleinen Unternehmen unterstützen kann. Im Gespräch seien laut Bagamuhunda unterschiedliche Ansätze: "Können wir zum Beispiel einen Onlinemechanismus erstellen, damit sie ihre Waren abfertigen können? Oder Anlagen, die helfen, mit möglichst wenig Interaktionen Handel zu treiben?" Bald sollen der Politik dazu Vorschläge unterbreitet werden.