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UN-Biodiversitätsgipfel: Artenvielfalt zunehmend bedroht

Katharina Schantz
21. Oktober 2024

Vor zwei Jahren wurde ein historisches Artenschutz-Abkommen unterzeichnet, aber seitdem ist wenig passiert. Arten verschwinden und bedrohen die menschliche Nahrungsversorgung und Gesundheit.

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Nahaufnahme einer Meeresschildkröte im Sand
Der Rückgang der biologischen Vielfalt bedroht auch das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen von Milliarden MenschenBild: L. Steijn/blickwinkel/AGAMI/imago images

Die biologische Vielfalt - also die Vielfalt aller Lebewesen auf der Erde - ist zunehmend bedroht. Denn die Menschen schädigen die Ökosysteme immer mehr durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, intensive Landwirtschaft und Verstädterung sowie die Verschmutzung mit schädlichen Pestiziden und Schwermetallen.

In den letzten 50 Jahren sind die Populationen von Wirbeltieren um 73 % zurückgegangen, so ein aktueller Bericht der Naturschutzorganisation WWF, und Wissenschaftler schätzen, dass derzeit etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind, einige davon in den nächsten Jahrzehnten.

Um die Natur besser zu schützen, unterzeichneten vor zwei Jahren fast 200 Nationen ein bahnbrechendes UN-Biodiversitätsabkommen. In den nächsten zwei Wochen treffen sich nun mehrere Tausend politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsführer und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in die kolumbianische Stadt Cali, um die Fortschritte des Abkommens zu verfolgen und heikle Fragen wie die Finanzierung zu klären.

Diese Aufgabe ist von entscheidender Bedeutung, denn der Rückgang der biologischen Vielfalt bedroht nach Ansicht von Experten auch das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen von Milliarden Menschen.

"Wenn wir unsere Natur nicht schützen, untergraben wir unsere Wirtschaft und unsere Landwirtschaft, und wir werden in Zukunft nicht in der Lage sein, eine Bevölkerung von 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu ernähren", so Astrid Schomaker, Exekutivsekretärin des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt, gegenüber der DW.

Langsame Fortschritte bei nationalen Biodiversitätsplänen

Auf der UN-Konferenz über die biologische Vielfalt im Jahr 2022 hatten die Staats- und Regierungschefs ehrgeizige Ziele für den Schutz von 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis zum Ende des Jahrzehnts festgelegt - gegenüber 17 Prozent der Landflächen und knapp 8 Prozent der Ozeane im Jahr 2022. Die Vereinbarung ist für die biologische Vielfalt so bahnbrechend wie das Pariser Abkommen für das Klima. Sie beinhaltet auch, 30 Prozent der bereits geschädigten Gebiete wiederherzustellen.

"Es war schon sehr schwierig, sich darauf zu einigen, aber die eigentliche Herausforderung liegt noch vor uns - denn jetzt müssen die Staaten das, worauf sie sich geeinigt haben, auch umsetzen", sagte Florian Titze, ein internationaler Politikanalyst beim WWF.

Um die Fortschritte zu verfolgen und sicherzustellen, dass die Länder die vereinbarten Ziele auch umsetzen, müssen die Regierungen bis zum Biodiversitätsgipfel in Cali aktualisierte nationale Strategien und Aktionspläne zur biologischen Vielfalt (NBSAPs) vorlegen. Bis vor Beginn der Konferenz haben dies jedoch nur 34 von 196 Ländern getan. Deutschland gehört zu den Ländern, die die Frist bis 2024 verpasst haben.

Deutschland: Naturschutz auf Berlins letzter Düne

"Länder wie Deutschland verspüren keinen Druck, ihre Pläne einzureichen, weil andere Länder dies auch nicht getan haben", so Titze gegenüber der DW.

"Wir haben nur noch fünf Jahre Zeit bis 2030. Wenn wir jetzt nicht mit der Umsetzung der Versprechen beginnen, werden wir die Ziele für 2030 wahrscheinlich verfehlen."

Eine neue Studie hat ergeben, dass 8,2 Prozent der Ozeane jetzt geschützt sind - ein Anstieg um 0,5 Prozent seit der Verabschiedung des GBF 2022. Die Studie zeigt aber auch, dass nur 2,8 Prozent davon tatsächlich ausreichend geschützt sind, und bezeichnet die "Kluft zwischen Versprechen und Handeln als enorm."

Was bremst den Fortschritt bei der Umsetzung der für den Artenschutz?

Die diesjährige Konferenz wird sich mit den Hindernissen befassen, die effektiven Maßnahmen und der Umsetzung von Aktionsplänen entgegenstehen.

"Was uns oft bremst, ist die Diskussion mit anderen Sektoren, die das Gefühl haben, dass sich die Umweltpolitik negativ auf sie auswirkt oder problematisch für die Wettbewerbsfähigkeit ist", erklärt Astrid Schomaker.

Als die deutsche Regierung beispielsweise ankündigte, umweltschädliche Steuervergünstigungen für Dieselkraftstoff abzuschaffen, protestierten zehntausende Landwirte gegen das was sie als Bedrohung ihrer Existenzgrundlage ansahen.

Daraufhin verschob die Regierung die Abschaffung der Vergünstigungen auf das Jahr 2026, obwohl die UN-Biodiversitätsvereinbarung vorsieht, dass naturschädliche Subventionen bis 2030 schrittweise um 500 Milliarden Dollar abgebaut werden.

"Wir beschleunigen zwar die Ausgaben, die biologische Vielfalt unterstützen. Aber es gibt immer noch weit mehr Subventionen, die sich negativ auf die biologische Vielfalt auswirken, und das ist ein zentrales Problem, das wir angehen müssen", so Schomaker.

Wer wird für den Naturschutz bezahlen?

Die Frage, wer die Ausgaben für die biologische Vielfalt bezahlt, wird in Cali zur Diskussion stehen. Auf dem letzten Gipfel verpflichteten sich die Industrieländer, zum der biologischen Vielfalt in Ländern mit niedrigem Einkommen bis 2025 jährlich 25 Milliarden Dollar und bis 2030 dann 30 Milliarden Dollar Finanzhilfen aufzubringen.

Einem kürzlich erschienenen Bericht zufolge haben jedoch nur zwei Länder - Norwegen und Schweden - ihren Beitrag zu diesem Ziel geleistet. 23 von 28 untersuchten Ländern zahlen bisher weniger als die Hälfte von dem, was sie zugesagt haben.

In einer Pressekonferenz im Vorfeld des Gipfels forderte die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad die Industrieländer auf, ihre Zusagen zu erhöhen, zum Schutz ihrer biologischen Vielfalt aufzubringen zum Schutz ihrer biologischen Vielfalt aufzubringen "weil wir ein Signal geben müssen, dass die vereinbarten Verpflichtungen [...] auf dem richtigen Weg sind."

Insgesamt einigten sich die Länder darauf, bis 2030 jährlich 200 Milliarden US Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für den Schutz der biologischen Vielfalt bereitzustellen. Und es wird erwartet, dass die Unterhändler darüber sprechen werden, wie dieses Geld rechtzeitig aufgebracht werden soll.

WWF-Experte Titze geht davon aus, dass die politischen Entscheidungsträger ihre Finanzierungsstrategie in einer Vereinbarung festschreiben werden. Dazu gehört auch, wie das Geld am besten an einkommensschwache Länder verteilt wird, wie mit Subventionen umgegangen wird, die der biologischen Vielfalt schaden, und welche Rolle die Finanzierung durch den Privatsektor spielt.

"Die Frage ist, wie wirksam sie sein wird. Können sich die Länder zu konkreten Maßnahmen verpflichten? ", so Titze.

Finanzielle Lösungen die Naturschutz und Wirtschaft nützen

Finanzierungslösungen, die Naturschutz und wirtschaftliche Bedürfnisse in Einklang bringen, stehen laut Schomaker ganz oben auf der Tagesordnung.

Ein Instrument dafür könnten sogenannte Biodiversitätsgutschriften sein. Diese Systeme könnten es Unternehmen ermöglichen, Umweltschäden auszugleichen, indem sie Gutschriften von Organisationen oder Projekten kaufen, die die Natur schützen oder wiederherstellen. Befürworter sagen, dass die Monetarisierung der Natur auf diese Weise Anreize für den Schutz schafft. Doch Kritiker warnen, dass solche Kredite zum Greenwashing einladen könnten.

Genügt ein Wassertropfen um die Biodiversität zu überwachen?

Im Gespräch sind auch Tauschgeschäfte, bei denen etwa die Schulden eines Landes im Gegenzug für Investitionen in den Naturschutz erlassen werden könnten.

Eine weitere wichtige Diskussion wird sich um die Nutzung von genetischen Daten aus der Natur und die daraus resultierenden Gewinne drehen — wie im Pharmasektor, wo die DNA-Sequenzierung von Pflanzen zur Herstellung von Medikamenten zu Milliardengewinnen führen kann.

Länder mit großer biologischer Vielfalt, die oft auch über ein geringes Einkommen verfügen, sollten für die Nutzung ihrer genetischen Ressourcen eine faire Entschädigung erhalten, ebenso wie indigene Gemeinschaften, die diese Arten oft bewahren. Dieses Geld könnte in den Schutz von Lebensräumen fließen.

Finanzielle Anreize können zwar hilfreich sein. Doch Experten warnen, dass sie mit konkreten Maßnahmen und politischem Willen einhergehen müssen, um dauerhafte Veränderungen zu bewirken.

"Wenn wir Ökosysteme und ein erträgliches Klima verlieren, wird menschliches Leben, wie wir es kennen, auf diesem Planeten nicht mehr möglich sein", sagt Titze vom WWF. "Es geht um den Erhalt unserer Zivilisation. Es gibt wohl kaum etwas, das wichtiger sein könnte. "

Adaption aus dem Englischen: Anke Rasper
Dieser Artikel wurde mit frischen Zahlen zu NBSAPs aktualisiert.