USA: Schwarze Comic-Helden
3. Juli 2020"Batman", "Superman", "Asterix" oder "Lucky Luke" - die populärsten Comic-Helden sind weiß. Schwarze Charaktere kommen in den bekannten Comic-Reihen kaum vor. Wenn doch, wurden sie in der Vergangenheit oft klischeehaft dargestellt. So wie die mit sprachlichen Einschränkungen dargestellten und zu stereotypen Karikaturen stilisierten Kongolesen im Comic "Tim im Kongo" aus der berühmten "Tim und Struppi"-Reihe, deren Zeichner Hergé für die rassistische Darstellung kritisiert wurde.
Nun wird erstmals ein Afroamerikaner in einem "Lucky Luke"-Comic eine tragende Rolle spielen. Das Konzept des für Ende Oktober 2020 angekündigten neuen Bandes soll schon vor dem Tod von George Floyd und den aktuellen Protesten der "Black Lives Matter"-Bewegung entstanden sein. In den USA sind Comics besonders populär. Wie sieht es dort mit schwarzen Comic-Helden aus?
"Lothar" und "Ebony White": die Wegbereiter späterer Helden
Dass es lange Zeit vergleichsweise wenig prominente schwarze Charaktere gab, hänge auch damit zusammen, dass die Zeichner, die den Comic in Amerika begründeten, überwiegend von der Ostküste kamen. Dort lebten, anders als in den Südstaaten, vor allem weiße Menschen, erklärt Comic-Experte Andreas Platthaus im Gespräch mit der DW. Platthaus ist Journalist und hat schon mehrere Bücher zu Comics veröffentlicht. Außerdem sei die gesamte amerikanische Presselandschaft "extrem weiß" gewesen, so Platthaus.
Als einer der ersten, wenn nicht der erste schwarze Helden-Charakter im Comic überhaupt, gilt "Lothar" aus "Mandra, der Zauberer" (1934). Er ist Diener des von Lee Falk entworfenen Magiers Mandra, der in seiner Freizeit auf Verbrecherjagd geht. In Leopardenfell gekleidet und mit einer orientalischen Kopfbedeckung liefert Lothar, holpriges Englisch sprechend, dem Zauberer die nötige Muskelkraft in körperlichen Auseinandersetzungen. 1965 wird Lothar "modernisiert" - als Begleiter des Zauberers spricht er seither korrektes Englisch und trägt ein Hemd - wenn auch oft mit Tierprints.
Auch "Ebony White" ist "Sidekick" eines anderen Helden. 1940 führt ihn Will Eisner im Comic "The Spirit" ein. Seine äußere Erscheinung mit großen weißen Augen und dicken, rötlichen Lippen sowie sein "Slang" lassen ihn zum Paradebeispiel für eine rassistische, stereotype Darstellung von Schwarzen in der Mainstream-Comic-Kultur werden. Eisner gibt später an, die Figur bewusst so gezeichnet zu haben - sie habe dem Humor der damaligen Gesellschaft entsprochen. Den Titelhelden, Detektiv Denny Colt, unterstützt "Ebony White" in vielen heiklen Situationen. Im Laufe der Jahre, vor allem aber in den späteren Neuinterpretationen der Serie, entfaltet er sich über seine klischeehafte Darstellung hinaus.
"Lion Man" und "Waku": erste schwarze Hauptfiguren
In den späten 1940ern und während der 1950er-Jahre entwickeln sich schwarze Charaktere von hilfreichen Nebenrollen weißer Comic-Helden hin zu alleinigen Hauptdarstellern. 1947 wird "All-Negro Comics" veröffentlicht, das erste bekannte Comic-Magazin, ausschließlich von schwarzen Künstlern entworfen. Es gelangt allerdings nicht in den Mainstream, sondern kursiert nur innerhalb der schwarzen Gemeinschaft. Es gibt lediglich eine Ausgabe mit Stories über "Ace Harlem" oder "Lion Man", die als erste eigenständige schwarze Comic-Helden gelten.
1954 erscheint die Reihe "Jungle Tales" bei Atlas Comics, dem Vorgänger von Marvel Comics, einer der weltweit größten Comic-Verlage. Mit den Geschichten aus dem afrikanischen Dschungel hält ein schwarzer Held Einzug in den Mainstream-Comic: "Waku, Prince of the Bantu". Waku ist ein intelligenter, aufgeklärter afrikanischer Stammeshäuptling, der seine Führungsposition vielfach verteidigen muss und sein Volk vor Gefahren beschützt. Ausgerüstet hatten ihn seine Zeichner mit einem Speer und einem Schild.
Der erste afroamerikanische Held mit nach ihm benannter Comic-Serie, dessen fiktives Leben seine Zeichner in den USA angesiedelt haben, ist "Lobo" (1965). Von Dell Comics herausgegeben, bekämpft der Revolverheld im Wilden Westen Verbrecher - allerdings nur für zwei Ausgaben. Die schnelle Einstellung der Serie liegt Gerüchten zufolge daran, dass viele Händler den Comic mit schwarzem Titelhelden ablehnen. "Lobo" dürfte mit seinem kurzen Ritt durch die Comic-Landschaft nicht allzu viele Leserinnen und Leser erreicht haben.
"Falcon" fliegt mit "Captain America" in den Mainstream
Ende der 1960er-Jahre erscheint dann der erste afroamerikanische Superheld, der in einem Mainstream-Verlag viele Comic-Begeisterte erreicht: "Falcon" (bürgerlich: Samuel Wilson). Er wird von Stan Lee und Gene Colan 1969 in der "Captain America"-Reihe eingeführt. "Falcon" fliegt mit mechanischen Flügeln und kann per Telepathie die Kontrolle über Vögel erlangen. Der kampfstarke Wächter über Harlem schlüpft zudem eine Zeit lang selbst in das Kostüm des "Captain America".
"Spätestens in den späten Sechzigerjahren hat man auch in den Superhelden-Verlagen festgestellt, dass man sich einer bestimmten Leserschaft vollständig begibt, wenn man nicht auch schwarze Helden vorkommen lässt - Identifikationsfiguren, die völlig normal wären, wenn man ökonomisch denkt und sagt: Wir wollen, dass auch schwarze Kids unsere Produkte lesen", kommentiert Platthaus die Entwicklung.
Einfluss der "Blaxploitation"-Filme: "Luke Cage", Titelheld mit Superkräften
Durch die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre befeuert, erobern schwarze Helden und Heldinnen in expliziten, oft die Realitäten der schwarzen Ghettos thematisierenden Low-Budget-Filmen die Kinos in den USA. Diese "Blaxploitation"-Filme beeinflussen auch die Comic-Szene, was eindimensionale "Ghetto-Gangster-Stereotypen" wie "Luke Cage" (1972) hervorbringt. Der Ex-Sträfling ist der erste schwarze Comic-Held mit eigener Serie, der nicht wie "Lobo" nur einen Colt besitzt, sondern Superkräfte: Er ist unverletzbar und übermenschlich stark.
In den 1970er-Jahren treten auch die ersten schwarzen Superheldinnen in Erscheinung: "Nubia" (1973), die verlorene Zwillingschwester von "Wonder Woman", "Storm" (1975), die als Mutantin das Wetter kontrollieren kann, sowie "Bumblebee" (1976). Seit den 1980er Jahren sind Superhelden-Teams ohne einen schwarzen Charakter kaum mehr denkbar. Auch ihre Charakterzeichnung fällt deutlich vielfältiger aus.
"Spider-Man" wird schwarz
Einen schwarzen Superhelden der absoluten A-Riege à la "Batman" und "Superman" gibt es allerdings erst 2011: Der halb afro-, halb lateinamerikanische Teenager Miles Morales darf in das bekannte Spinnenkostüm schlüpfen und wird in einem alternativen Erzählstrang des berühmten Comics der neue "Spider-Man". Die Comic-Reihe mit dem weißen Peter Parker als "Spider-Man" läuft ebenfalls weiter. Das ursprünglich amerikanische Comic-Genre, in dem Superhelden dem männlich-weißen Prototyp-Patrioten entsprechen, scheint sich also behutsam zu wandeln.
"Black Panther", "Black Lives Matter" und die Zukunft schwarzer Helden
Weltweit bekannt wird der erste schwarze Comic-Held mit Superkräften aus dem US-amerikanischen Comic-Universum erst viele Jahre, nachdem ihn seine Schöpfer Stan Lee und Jack Kirby zu Papier gebracht haben: "Black Panther" tritt in einem von Marvel herausgegebenen "Fantastic Four"-Comic erstmals 1966 als Nebenfigur auf.
"Black Panther", der eigentlich "T'Challa" heißt und neben einem genialen Verstand auch übermenschliche Reflexe und Stärke sowie die Fähigkeit zur Wundheilung besitzt, ist König der fiktiven, hochentwickelten afrofuturistischen Nation "Wakanda". Weil er in der End- und zugleich Hochphase der Bürgerrechtsbewegung in den USA aufkommt, noch vor der namensgleichen Black Panther Party, wird der Superheld stets auch als politische Botschaft verstanden. Seine eigene Comic-Reihe ("Jungle Action") bekommt er allerdings erst 1973.
Mehr als vier Jahrzehnte später kämpft sich unter der Regie von Ryan Coogler, dem ersten schwarzen Regisseur eines Marvel-Films, "Black Panther" mit einem eigenen Film auf die Kinoleinwand - und wird zu einem der weltweit umsatzstärksten Filme aller Zeiten.
Die große Aufmerksamkeit, die "Black Panther" bekommt, könnte im Zusammenspiel mit den aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den USA rund um die "Black Lives Matter"-Bewegung auch die Comic-Literatur weiter befruchten. Der gewaltsame Tod George Floyds und seine Auswirkungen auf die Protestkultur stellten einen so wichtigen Faktor der Gegenwart dar, dass Comics um das Thema nicht herum kämen, sagt Experte Platthaus. Comics werden sich bald wohl vor allem mit schwarzen Perspektiven beschäftigen, prognostiziert er. Damit sich eine Art "schwarzes Selbstbewusstsein" noch stärker in den Comics artikuliere, brauche es vor allem mehr schwarze Zeichner als Comic-Helden, so Platthaus: "Denn nur dann wird sich wirklich etwas Fundamentales ändern."