Christlicher Fundamentalismus
4. August 2011Seit den Anschlägen von Oslo und Utöya werden täglich mehr Einzelheiten über die Motive des mutmaßlichen Täters Anders Behring Breivik bekannt. Geisteshaltungen aus dem rechtsextremen Milieu, ein ausgeprägter Hass auf alle Muslime sowie möglicherweise pathologische Aspekte in der Persönlichkeit werden derzeit untersucht und diskutiert.
Auch wenn sich der 32-jährige Norweger selbst als Christ bezeichnet und die Polizei ihn zunächst als christlichen Fundamentalisten einordnete, sehen zumindest deutsche Theologen es nicht so. Reinhard Hempelmann leitet die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin und hat sich das rund 1500 Seiten umfassende Manifest des mutmaßlichen Attentäters näher angesehen.
"In diesem Pamphlet wird meines Erachtens keine Vision eines Religionsstaates entwickelt. Es wird auch nicht explizit und immer wieder Bezug auf die Bibel genommen - das wäre charakteristisch für christliche Fundamentalisten", sagt Hempelmann. "Außerdem sind keine nachweisbaren Beziehungen Breiviks zu christlich fundamentalistischen Gruppen und Milieus festzustellen."
Zuwachs für christlich konservative Strömungen
Christlich fundamentalistische Strömungen gibt es weltweit. In den letzten Jahrzehnten hätten besonders konservative Prägungen innerhalb des Christentums - wie etwa die Pfingstbewegung oder auch evangelikale Richtungen - eine enorme Resonanz erfahren, erklärt Hempelmann. Solche Entwicklungen können mit Fundamentalisierungsprozessen zusammenhängen. Ein pauschaler Verdacht gegenüber diesen Gruppierungen sei jedoch nicht angebracht.
Hermut Löhr ist Theologieprofessor am "Exzellenzcluster Religion und Politik" der Universität Münster. Er sagt: "Wir schauen, wenn wir vom christlichen Fundamentalismus sprechen, in aller Regel auf die Kirchengemeinschaften, die protestantisch sind. Das wäre dann vor allem der europäische Bereich, der nordamerikanische Bereich, verstärkt auch missionierende Kirchen der protestantischen Konfession, etwa in Südamerika oder auch Afrika." Fundamentalismus im Christentum gibt es aber auch im Katholizismus oder in der Orthodoxie.
Die Bibel ist unfehlbar
Charakteristisch für christlich fundamentalistische Bewegungen ist in erster Linie eine wort-wörtliche Auslegung der Bibel. Ihr Glaube geht einher mit einer ausgeprägten Abgrenzungs- und Abwehrhaltung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen oder Religionen. Dazu gehören auch Homosexuelle und Muslime. Ihre Anhänger nehmen die pluralistische moderne Gesellschaft als Bedrohung wahr und begreifen sich als die wahren Gläubigen, als eine auserwählte Elite.
Evelyn Hügli-Schmidt begleitet seit Jahren Ausstiegswillige die fundamentalistischer Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen angehörten. Die 55-jährige Soziologin gehörte selbst einer solchen Bewegung an und weiß, was deren Anhänger dort finden. "Attraktiv ist vor allem, dass häufig sehr einfache Antworten gegeben werden auf sehr komplexe Fragestellungen. Mitglieder können ein wenig Eigenverantwortung an die Gruppe abgeben, die selbst so etwas wie eine große Familie darstellt, in der man Liebe, Herzlichkeit und Geborgenheit findet", sagt sie.
Die problematischen Geisteshaltungen des christlichen Fundamentalismus sollten jedoch nicht mit einem konservativ geprägten Christentum verwechselt werden. Eine weitere Differenzierung zwischen christlichem Fundamentalismus und dem Fanatismusbegriff halten Theologen wie Reinhard Hempelmann ebenfalls für notwendig. Fanatische Geisteshaltungen hat es vor allem in der Geschichte des Christentums gegeben und es gibt sie auch heute - allerdings als ein absolutes Randphänomen: Terry Jones, ein evangelikaler Prediger aus Florida, rief 2010 zur Koranverbrennung auf und führte sie letztendlich auch durch.
Gefahr einer Nachahmertat
Gewaltbereitschaft oder Aufrufe zu Gewalt gegen Menschen aber sind innerhalb des christlichen Fundamentalismus nicht bekannt. Selbst religiöser Fanatismus kann nicht mit konkreter Anwendung von Gewalt gleichgesetzt werden. Vom Fanatismus bis zur Bereitschaft zu Terrorakten ist jedoch der geistige Weg nicht mehr weit.
Das rund 1500 Seiten umfassende Manifest des mutmaßlichen Attentäters von Oslo, indem ein ausgeprägter Hass auf Muslime zu Tage tritt, könnte fanatische Geisteshaltungen zu mehr animieren, befürchtet Theologieprofessor Hermut Löhr: "Ich schätze die Nachahmerwirkung und vielleicht auch die Senkung von Hemmschwellen doch relativ groß ein. Solche Manifeste werden gelesen und weiter verbreitet. Insofern würde ich dringend dazu raten, Breivik - im Rahmen des vom Strafprozess her Vorgesehenen - möglichst wenig Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu bieten."
Autorin: Ulrike Hummel
Redaktion: Christina Beyert