Chinesische Verbrechersyndikate in Südostasien
15. September 2022Inmitten der bewaldeten Gipfel des laotischen Dschungels sind die funkelnden Lichter der Kasinos und Hotelanlagen von weit her zu sehen. "Sonderwirtschaftszone Goldenes Dreieck" nennt sich das Gebiet im Nordwesten von Laos. Eine weitgehend rechtsfreie Zone, unter der Kontrolle der chinesischen Mafia, auch Triaden genannt.
In der Stadtmitte ragt das kolossale "Kings Romans"-Kasino aus dem Gebäudemeer. Es ist das Machtzentrum und der Amtssitz des chinesischen Gangsters Zhao Wei, der sich 2007 mit der laotischen Regierung auf einen 99-jährigen Pachtvertrag einigte. Er versprach die 3000 Hektar große Landzunge, an der sich Thailand, Myanmar und Laos treffen, in ein florierendes Touristenzentrum zu verwandeln. Entstanden ist stattdessen ein Zentrum für den internationalen Drogen-, Wildtier- und Menschenhandel. Als neues Geschäftsfeld wurde wegen der Covid-Pandemie der Onlinebetrug erschlossen - mit Auswirkungen bis nach Deutschland.
Gesetzlose Insel im laotischen Dschungel
Passiert man die vom Sicherheitsdienst der Zone bewachte Schleuse, wähnt man sich in einer boomenden chinesischen Kleinstadt. Luxuskarossen von Mercedes-Benz und BMW kurven ohne Nummernschilder um die nagelneuen Apartmentblocks, Supermärkte und Kasinoanlagen. Auf dem Beton liegen Bauarbeiter aus dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Myanmar und ruhen sich aus. Bald soll ein internationaler Flughafen öffnen, um Kunden direkt aus Macau, China oder Hong Kong in die Glücksspielenklave einfliegen zu können.
Die Covid-Pandemie hat den Besucherstrom ins goldene Dreieck vorerst allerdings zum Versiegen gebracht. Die Zeiten, als Scharen von Festlandchinesen an den Baccarat-Spieltischen zigtausende Yuan verprassten und Körperteile von Tigern und Bären verspeisten, liegen mehr als zwei Jahre zurück. Auch die Flaniermeile der "China Town", einst frequentiert von Prostituierten und Freiern, ist wie leergefegt.
Der Grund: Die Pandemie hat das lukrative Geschäft mit Glücksspiel, Prostitution und illegalem Tierhandel ausgebremst. In ihrer Not sind die kriminellen Dauermieter auf eine krisenfestere Einnahmequelle umgeschwenkt: Onlinebetrug.
Online-Betrugsfabriken im "industriellen Ausmaß"
Für das neue Geschäftsfeld werden Arbeitskräfte aus allen Ecken Asiens mit lukrativen Jobangeboten in die Sonderwirtschaftszone gelockt. Sie enden in der Regel nicht wie versprochenen in glanzvollen Kasinoanlagen, sondern in den gesichtslosen Bürogebäuden der Kasinostadt, wo aberhunderte Arbeiter wie moderne Sklaven gehalten werden. Ihre Pässe werden bei der Ankunft beschlagnahmt. Die illegale Einreise wird in Rechnung gestellt, dabei sind die Zinsen oft so hoch, dass die Arbeiter sie mit ihrer Zwangstätigkeit kaum abarbeiten können. Schuldknechtschaft nennen das die Fachleute.
Eine von ihnen war Ann aus dem thailändischen Chiang Rai. Die Fischverkäuferin ist Anfang 2022 in das goldene Dreieck gereist, um einen Job als gut bezahlte Administratorin anzutreten. "Vor Ort merkte ich rasch, dass hier Betrüger am Werk sind", erzählt die 29-jährige der DW. Ihr wurde ein Vertrag in Mandarin vorgelegt, gespickt mit ihr unverständlichen Abschnitten. Der versprochene Monatslohn war um die Hälfte niedriger als zuvor vereinbart. Geschlagene 16 Stunden am Tag müsse gearbeitet werden, stand in dem Vertrag. Die Tätigkeit bestand darin, "auf Facebook mit falschen Profilen potentielle Opfer aus dem Westen anzuflirten", so Ann. Ist die Beziehung etabliert, übernimmt ein chinesischer Abteilungsleiter und versucht, die "Kunden" zu vermeintlich sicheren "Investitionen" zu überreden.
Wer nicht erfolgreich genug abzockt, wird bedroht, geschlagen oder unter den kriminellen Banden weiterverkauft. Ann wollte nur noch weg, kontaktierte einen laotischen Schlepper, der sie nach der Zahlung von 44.000 Thai Baht (rund 1.200 Euro) durch die Schleuse der Sonderwirtschaftszone schmuggelte. "Sobald ich wieder auf laotischem Boden war, rannte ich so schnell ich nur konnte zum Fluss." In einem kippeligen Langboot überquert sie den Mekong und schaffte es ans sichere Ufer ihrer Heimat.
Kasinoanlagen blühen in ganz Südostasien
Die Kasino-Enklave in Laos ist kein Einzelfall. In den Grenzregionen von Myanmar, Vietnam, Laos und Kambodscha, wo der Staat schwach und die Armut weit verbreitet ist, sind ähnliche kriminelle Inseln wie Pilze aus dem Boden geschossen. Der Deutschen Welle liegen Auszüge einer unveröffentlichten UN-Analyse vor, die das Ausmaß der Kasino-Epidemie zeigen. Im südostasiatischen Raum haben die Vereinten Nationen über 240 Kasinos gezählt, viele davon in sogenannten "extraterritorialen" Sonderwirtschaftszonen.
Wie viele davon kriminell unterwandert sind, bleibt unklar. Klar ist aber, dass sich allein in Kambodscha über 100 Kasinos eingenistet haben. Hauptsächlich in der Küstenstadt Sihanoukville, die als sicherer Hafen für chinesische Verbrechersyndikate bekannt ist. "Es gibt eindeutige Verbindungen zwischen Zhao Wei's Sonderwirtschaftszone in Bokeo (Laos) und den kambodschanischen Operationen", sagte der Regionalvertreter des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) Jeremy Douglas der Deutschen Welle.
Hier wie dort wurden die Spielhöllen durch den Mangel an chinesischen Touristen in Online-Betrugsfabriken umfunktioniert. Hunderte Thailänder, Vietnamesen, Indonesier, Malaysier und Taiwanesen mussten in den letzten Monaten aus den Fängen der Triaden befreit werden. Thailand schickte bereits eigene Polizeieinheiten in den Süden Kambodschas, um Zwangsarbeiter freizukaufen. Taiwan hat jüngst eine Task Force ins Leben gerufen, um Opfer von Menschhandel aufzuspüren und ihnen zu helfen. Die nationale Polizeibehörde Taiwans schätzt, dass derzeit rund 2.000 ihrer Staatsangehörigen in Kambodscha festgehalten werden.
Auch Deutsche unter den Betrugsopfern
Die Betrugsfabriken in Südostasien verursachen einen gigantischen Schaden. Nach Angaben der chinesischen Polizei, belief sich der illegale Umsatz von Krypto- und Telefonbetrug im Jahr 2020 auf 5,7 Milliarden Euro – Glücksspielbetrug noch nicht einberechnet.
Auch Deutsche tappen in die Krypto-Fallen. Eine der Geprellten ist Sabine, die aus Scham nicht ihren richtigen Namen veröffentlicht sehen möchte und von der DW ein Pseudonym erhalten hat. "Letztes Jahr hat mich ein junger Mann über die Businessplattform Linkedin angeschrieben", erinnerte sich die Frau Mitte 40 im Gespräch mit der DW. Fast täglich schrieb ihr der Asiate, baute über zwei Monate ein Vertrauensverhältnis zu ihr auf. Eines Tages lenkte er das Gespräch in Richtung Kryptowährungen, erzählt von Traumrenditen.
Für insgesamt 130.000 Euro kaufte sie Anteile an digitalen Währungen. "Ich 'investierte' in Bitcoins und Ethereum über eine Anlage-Plattform namens ASX." Was Sabine nicht wusste, die Webseite und die Plattform waren eigens erstellte Betrugswebseiten.
Das Geld ist bis heute verschwunden, den Mann hat es offensichtlich nie gegeben – sämtliche Bilder auf seinem Profil stammten von einem Fitness-Influencer aus Taiwan. "Woher soll ich das denn wissen. Ich kenne diese jungen Influencer nicht", sagt die Deutsche mit chinesischen Wurzeln.
Ihr gesamtes Erspartes, dass sie als Altersvorsorge und für die Ausbildung ihrer Kinder zurückgelegt hatte, floss in die Taschen der Triaden im laotischen Dreiländereck. "Wir konnten diese Anlageplattform zu einer Gruppe in Laos in die 'Sonderwirtschaftszone Goldenes Dreieck' zurückverfolgen. Nur wenige Schritte vom Kings Romans Kasino entfernt", sagt Elisa Warner von der Nichtregierungsorganisation Global Anti-Scam Org gegenüber der DW. Anti-Scam Org setzt sich weltweit für Betrugsopfer ein.
Geduldet von örtlichen Behörden
Die Betrüger im laotischen Hinterland zu belangen ist schwierig bis unmöglich. In der Regel sind die Besitzer dieser Kasinoanlagen eng mit den örtlichen Machtstrukturen verbandelt. Im Fall der Sonderwirtschaftszone "Goldenes Dreieck" ist die laotische Regierung gar mit 20 Prozent an dem Projekt beteiligt. Im Gegenzug darf der von den US-Behörden sanktionierte Zhao Wei, der die anderen 80 Prozent der Anteile hält, die Angelegenheiten im Dreiländereck selber regeln. "Das ist hoch problematisch", sagt Jeremy Douglas, Leiter des UNODC-Büros für Südostasien: "Diese Gruppen operieren autonom und machen ihre eigenen Gesetze."
Laotische Beamte betreten das Gebiet nur mit deren Erlaubnis. Zhao unterhält eine eigene Polizei, die sogar außerhalb der Zone aktiv wird. Auch der DW-Reporter wurde während der Recherche zu diesem Beitrag in der Region von fünf "Polizisten" mit Sirene und Blaulicht auf der Straße festgehalten. Erst nach hitzigen Diskussionen und nach dem Hinzuziehen offizieller laotischer Behörden kehrten die Sicherheitsleute in die Kasinostadt zurück. Allerdings nicht bevor sie den Reporter auf ihre "schwarze Liste" setzten und ein Einreiseverbot aussprachen.