Chinesische Intellektuelle fordern mehr Freiheiten
28. August 2005Beim Stichwort China fallen den meisten Menschen zwei Worte ein: Wirtschaftboom und Menschenrechtsverletzungen. Am Montag (29.8.) reist die UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour nach China, wo sie bis zum 2.9. bleibt. Gewissermaßen zur Einstimmung haben jetzt über 600 chinesische Intellektuelle einen offenen Brief an Louise Arbour geschrieben. Kritisiert wird in dieser mutigen Initiative die Verhaftung chinesischer Menschenrechtler, die fehlende Medienfreiheit und der Mangel an politischen Reformen.
90 Prozent aller Hinrichtungen in China
"Wir möchten die chinesische Regierung dazu bewegen, ihre Pflicht zu erfüllen und die Menschenrechtslage in China zu verbessern", erklärt Bürgerrechtler Li Jian. Er ist Initiator des offenen Briefes, der in englischer und chinesischer Version vorliegt. Kritisiert wird vor allem die chinesische Menschenrechtslage: Die ist trotz des rasanten Wirtschaftswachstums enttäuschend. Zum Beispiel sitzen wegen freier Meinungsäußerung und religiöser Aktivitäten immer noch viele Menschen im Gefängnis, oft ohne jedes Gerichtsverfahren. Fast 90 Prozent aller Hinrichtungen weltweit gehen auf das Konto Chinas. Und selbst bei den vor Jahren eingeführten demokratischen Wahlen auf kommunaler Ebene ist nur Stillstand zu vermelden.
Li Jian sieht den Hauptgrund für die schlechte Menschenrechtslage im Fehlen eines unabhängigen Rechtssystems. Bürokratie, Korruption und Zensur im autoritär von der Kommunistischen Partei regierten China verschärfen die Probleme noch. Der Brief belässt es aber nicht bei allgemeiner Kritik: In der Anlage seien 29 konkrete Fälle von Rechtsbeugung beigefügt, erläutert Li Jian: "Wir hoffen, dass die UN-Menschenrechtskommissarin mit der chinesischen Regierung über diese konkreten Fälle spricht, damit sie zufriedenstellend gelöst werden."
Stimmen aus dem Volk wichtig
Bekannte Intellektuelle und Schriftsteller wie Liu Xiaobo, Yu Jie oder Mo Li haben ihre Unterschrift unter den offenen Brief gesetzt. Mo Li hat die Ungerechtigkeiten des chinesischen Systems auch am eigenen Leibe erfahren: Nach der blutigen Niederschlagen der Studentenbewegung 1989 wurde sie ins Gefängnis geworfen, weil sie das Vorgehen der damaligen chinesischen Regierung kritisiert hatte. Sie lebt zurzeit im schwedischen Exil, setzt sich aber mit ganzer Kraft für die Verbesserung der Menschenrechtlage in China ein.
Mo Li erzählt: "Als ich den Brief von Li Jian bekam, habe ich ihn sehr aufmerksam gelesen. Ich fand den Inhalt sehr gut. Deshalb habe ich auch untergeschrieben. Die UN-Menschenrechtskommissarin besucht China, weil sie die Lage vor Ort kennen lernen will. Aber das diktatorische Regime der Kommunistischen Partei verbirgt die Wahrheit häufig. Es möchte dem Westen nur die guten Seiten zeigen." Daher seien die Stimmen aus dem Volk so wichtig, nur so könne die UN-Menschenrechtskommissarin die Wahrheit sehen, fügt Mo Li hinzu.
Druck auf China erhöhen
Fünf Tage soll die Chinareise von Louise Arbour dauern. Li Jian hofft darauf, in dieser Zeit Gelegenheit zu einem Gespräch mit Louise Arbour zu haben. Zwei Themen liegen ihm besonders am Herzen: "Erstens hoffen wir, dass die UN-Menschenrechtskommission die chinesische Regierung zur Verbesserung der Menschenrechtslage drängen wird. Zweitens möchten wir als Bürgerrechtler in einen fortlaufenden Dialog mit der UN-Menschenrechtskommission eintreten."
Li Jian hat für seinen offenen Brief viel Unterstützung erhalten. Zur Zeit führt er ergänzend eine Unterschriftenaktion durch. Die will er bis zur Abreise von UN-Menschenrechtskommissarin Arbour aus China Ende nächster Woche weiterführen. Bislang hat er schon mehr als 2000 Unterschriften zusammen.