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Chinesische Gedichte in der Stadt

20. Juli 2009

"Mehr Poesie in die Stadt“ haben sich die Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgenommen und in einigen Städten chinesische Gedichte plakatiert, wo man sie nicht vermutet.

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Xi Chuan (Foto: DW)
Xi Chuan, Kurator der Plakatausstellung mit chinesischen GedichtenBild: DW

Auf großen Werbeplakatwänden haben die Literaturhäuser die chinesischen Gedichte in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Rostock, Stuttgart, Salzburg, Graz und Zürich geklebt. Trotzdem muss man sie ein bisschen suchen, denn die Plakate sind recht unauffällig, obwohl die knallroten chinesischen Schriftzeichen und die schrägen deutschen Großbuchstaben eigentlich ins Auge stechen sollten. In einer verschlafenen Ecke von Berlin-Schöneberg klebt ein Gedicht von Chang Yao. Die Monteure vom Reifendienst nebenan haben das Plakat aber noch nie bemerkt. Und auch sonst läuft fast jeder achtlos daran vorbei.

Gedichts-Plakat (Foto: arge lola)
Chinesische Poesie in Deutschlands StädtenBild: arge lola

„Eines Tages entdeckst Du, dass all Deine Schreie, all Dein Schweigen bloß hohle Posen sind“ steht auf dem Plakat. Einmal darauf angesprochen, scheint die Gedichtzeile dann doch einige Passanten anzusprechen. Wer die Zeile allerdings verstehen will, muss das klein gedruckte vollständige Gedicht am Plakatrand lesen. Doch ob das Gedicht letztlich richtig verstanden wird oder nicht, darum macht sich Xi Chuan, Dichter und Kurator der Plakatserie, keine großen Gedanken. Seine Überzeugung lautet: „Gedichte sind dazu da, Menschen anzuregen, über ihr eigenes Leben und ihre eigenen Probleme nachzudenken“. Ohnehin gäbe es beim Kulturaustausch nach seiner Erfahrung immer Missverständnisse. Aber all diese Missverständnisse würden am Ende doch wieder zu etwas Sinnvollem führen.

Der 46jährige Dichter mit den graumelierten halblangen Haaren ist bei internationalen Literaturfestivals ein angesehener Gast. Für das Netzwerk der Literaturhäuser hat er nun die chinesischen Gedichte ausgewählt. Auch für ihn ist es etwas Besonderes, die Gedichte seiner Dichterkollegen auf Plakaten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen. Für die meisten eine einmalige Gelegenheit, um im Ausland wahrgenommen zu werden. Das gilt vor allem für den bereits verstorbenen Chang Yao. „Wenn er wüsste, dass seine Gedichte jetzt hier sind, das fände er sehr aufregend“, ist sich Xi Chuan sicher.

Aus dem Schatten ins Licht

Chang Yao gehört in China nicht zum Mainstream, genauso wenig wie die anderen Dichter der Plakatserie. Die meisten von ihnen schreiben für kleine Untergrund-Literaturmagazine. Sie beziehen sich nicht mehr auf eine politische Doktrin, sondern drücken sich selbst aus, oft emotional oder mit Kraftausdrücken wie in Songs von Punk- oder Indiebands: Kalte Hintern kommen darin vor, Mafiosi, Falschgeld. Es sind eben zeitgenössische chinesische Gedichte und keine Klassiker, die jetzt in vielen deutschen, österreichischen und schweizerischen Städten zu sehen sind. Darüber freut sich Xi Chuan. Und darüber so etwas „Nutzloses“ auf Plakaten stehen zu haben. „Normalerweise denken Menschen ja, sie müssten nützliche Informationen bekommen. Aber ich bin der Meinung, es ist wichtig, auch nutzlose Informationen zu bekommen.“

Nur schade, dass die Plakate nicht an Orten hängen, an denen sie mehr auffallen. Aber vielleicht führen die Gedichte ja gerade in verschlafenen Ecken oder mitten im rauschenden Verkehr zu einer neuen Erkenntnis.

Autorin: Rebecca Roth
Redaktion: Ralf Buchinger