Spannung zwischen China und Nordkorea
11. Oktober 2006Für China war Nordkorea schon immer eine beliebte Trumpfkarte, mit der Peking gegen andere Regionalmächte um Einfluss pokert, in erster Linie gegen Japan. Wann immer Chinas Regierung ein schlagfertiges Argument gegen Tokio braucht, droht Nordkorea entweder mit Mittelstreckenraketen oder mit Entführung einiger Japaner. Da die USA momentan in anderen Regionen der Welt eingebunden sind, etwa im Irak oder im Iran, neigt Japan dazu, Peking als Beschwichtiger einzuschalten. So auch diesmal. Eigentlich.
Denn kaum machte sich Japans neuer, konservativer Premier Shinzo Abe auf den Weg nach Peking, um China weitere Kompromisse in wichtigen Fragen abzunötigen - zum Beispiel die Rechte auf die Erschließung weiterer Ölfelder im Ostchinesischen Meer - da kam die Ankündigung Pjöngjangs, eine Atombombe testen zu wollen. Das schien geradezu wie bestellt. Ebenso wie bestellt war dann von japanischer Seite die heftige Verurteilung Nordkoreas zu vernehmen und Peking pflichtete dem - zumindest verbal - bei, um die gute Stimmung mit Japan nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Die Schärfe der gewählten Formulierungen Chinas täuscht jedoch kaum darüber hinweg, dass Peking nicht im Traum daran denkt, Nordkorea substantiell zu schaden. Wirtschaftssanktionen wird es von Seiten Chinas allenfalls pro forma geben. Die politischen Verbindungen funktionieren nach wie vor. Also alles nur Show?
Neuer Partner Russland
Wohl kaum. Denn verärgert ist Peking allemal, weil der Spielball Nordkorea schon lange nicht mehr so rollt, wie man es in China gerne hätte. So ist es Nordkoreas Diktator Kim Jong Il beispielsweise gelungen, Russland auf seine Seite zu ziehen. Wenige Stunden vor dem Atomtest war es anstelle Pekings diesmal Moskau, das in den internationalen Medien beschwichtigte: Pjöngjang würde auf Druck der internationalen Gemeinschaft möglicherweise seinen Atomtest bis ins nächste Jahr verschieben, wenigstens bis zum Jahresende. Lange schon kursieren Gerüchte, dass Kim Jong Il lieber nach Moskau fährt als nach Peking, weil die chinesische Hauptstadt dem Steinzeitkommunisten allzu westlich suspekt geworden ist. Und wenn China Nordkorea etwa den Hahn bei der Lebensmittel- oder der Gaslieferung zudrehen würde, dann hätte Moskau keine Schwierigkeiten einzuspringen.
Koreanischer Nationalismus
Auch die Verschiebungen in der Politik zwischen Nordkorea und Südkorea lassen Peking unruhig aufhorchen: Pjöngjang weigert sich zwar weiterhin, sich mit dem Süden brüderlich zu versöhnen. Doch in einem Punkt sind sich die beiden Koreas einig: im Nationalismus. Im Kommuniqué zum angeblich erfolgreichen Atomtest Nordkoreas hieß es, Pjöngjang stütze sich voll und ganz auf eigene Technologie. Das bedeutet soviel wie: Peking könnte auch nicht mehr auf die technologische Abhängigkeit Nordkoreas von dem großen Nachbarn setzen, um es zu beeinflussen. Fast zeitgleich verkündet Südkorea sein etwas seltsames Vorhaben, die traditionelle Medizin Südkoreas - die größtenteils der chinesischen Medizin entsprungen und entlehnt worden ist - als koreanisches Weltkulturerbe bei der UNESCO zu beantragen. Und beide koreanischen Staaten protestieren gleichermaßen - wenn auch bislang noch getrennt - gegen Chinas Vorhaben, chinesische Geschichtsbücher so zu editieren, dass es nicht länger eine Kolonialherrschaft Chinas auf der koreanischen Halbinsel gegeben habe. Stattdessen soll in diesen Büchern stehen, dass es das koreanische Territorium zu diesem Zeitpunkt einfach nicht gegeben habe.
Für die Führung in Peking ist ein emotional nationalistisches Nordkorea fast noch gefährlicher als dessen geopolitisches Spielchen zwischen Moskau und Peking. Denn Ressentiments in dieser Hinsicht erreichen nicht allein die nordkoreanische Elite, sondern sind weitaus tiefer unter den Koreanern verwurzelt. Würde sich diese Tendenz als staatsrettend für Nordkorea verfestigen, hätte China genauso schlechte Karten wie Japan, um Kapital aus jeglichem Bündnis mit Korea - ganz gleich ob mit dem Norden oder mit dem Süden - zu schlagen. Denn historisch waren Chinas koloniale Ansprüche auf Korea viel länger und konstanter als die japanische Besatzung im 19. und 20. Jahrhundert. Und der Hass gegen die Fremdherrscher ist ebenso wenig aufgearbeitet worden - hüben wie drüben.