Champions League der Frauen sorgt für Rekord
29. März 2022Vor der Weltrekordkulisse von 91.553 Zuschauern im Stadion Camp Nou haben die Fußballerinnen von Titelverteidiger FC Barcelona auf dem Weg ins Halbfinale der Champions League Erzrivale Real Madrid ausgeschaltet. Das Team um Starspielerin Alexia Putellas gewann den "Clasico" in der eigenen Arena nach einer überlegenen Vorstellung mit 5:2 (1:1), bereits im Viertelfinal-Hinspiel hatte Barca triumphiert (3:1).
Der bisherige Zuschauer-Weltrekord für ein Frauen-Spiel stammte aus dem Jahr 1999, damals hatten 90.185 Fans das WM-Finale zwischen Gastgeber USA und China im Rose Bowl in Pasadena verfolgt. Auf Klubebene war bislang beim Duell zwischen Atletico Madrid und Barcelona 2019 mit 60.739 Besuchern die Bestmarke erreicht worden.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die zunehmende Popularität des Frauenfußballs mit der wachsenden Bedeutung der Champions League für die Klubs einhergeht und damit auch für die Fans zum wichtigsten Wettbewerb für Europas Frauen-Elite geworden ist.
Aber der erste Blick täuscht und ist vielleicht sogar irreführend. Diese großen Spiele sorgen zwar für einen enormen Anstieg der Zuschauerzahlen. Doch die regelmäßigen wöchentlichen Besucherzahlen in den größten europäischen Ligen - der deutschen Frauen-Bundesliga, der englischen Women's Super League oder der spanischen Primera Iberdrola - weisen ganz andere, viel niedrigere Zahlen aus. An 'normalen' Wochenenden finden jeweils lediglich ein paar hundert Fans den Weg auf die Sportplätze, um Frauenfußball zu sehen.
Nur zwei Mannschaften in Deutschland - Eintracht Frankfurt und Turbine Potsdam - haben in dieser Saison einen Zuschauerschnitt von über 1.000 Besuchern je Heimspiel. Die Konkurrenten aus Wolfsburg, Freiburg und Essen etwa gehören zu den Mannschaften der Frauen-Bundesliga, die damit zu kämpfen haben, die Zuschauerzahlen von vor der Pandemie zu erreichen. Wobei Wolfsburg und Bayern, die beiden herausragenden Teams in Deutschland, immerhin noch einen Schnitt von rund 750 Zuschauern haben.
Ist die Champions League nur eine Blase?
Die Diskrepanz zwischen der riesigen Zuschauerzahl im Camp Nou und den relativ spärlichen Besucherzahlen bei Liga- und Pokalspielen in ganz Europa deutet deshalb deutlich auf die Ungleichheiten im Frauenfußball hin, die durch die steigenden Fernseheinnahmen nur noch verschärft werden.
Der Spielplan der UEFA sieht vor, so viele Champions-League-Spiele wie möglich in großen Stadien auszutragen. Dies ist ein wichtiger Teil der Strategie des europäischen Verbands, den Frauenfußball für neue Fans zu erschließen und damit größere Zuschauerzahlen zu generieren. Im Falle der großen, namhaften Klubs scheint dies sogar zu funktionieren. Aber für die meisten kleineren Vereine außerhalb der Champions League hat diese Strategie so gut wie keinen Einfluss. Und selbst die, die in der europäischen Königsklasse dabei sind, haben in ihren heimischen Ligen regelmäßig weniger als 1.000 Besucher pro Partie. Ist die Champions League der Frauen eine künstliche Blase?
"In dieser ersten Saison der zentralisierten UEFA Women's Champions League wurden 13 Spiele der Gruppenphase in großen Stadien ausgetragen", sagte kürzlich die deutsche Ex-Nationalspielerin Nadine Kessler, die in der UEFA für den Frauenfußball zuständig ist: "Wir freuen uns, dass sich dieser Trend jetzt im Viertelfinale fortsetzt, wo sieben der acht Vereine in ihrem großen Stadion spielen werden. Das verspricht Weltklasse-Fußball in Weltklasse-Arenen. Große Momente wie diese braucht der Frauenklubfußball."
Die Strategie, Spiele in den größten Stadien auszutragen, ist jedoch nicht nur in der Champions League üblich. Die Women's Super League in England trägt das Saison-Eröffnungsspiel ebenfalls in einem der großen Arenen auf der britischen Insel aus. Mit dieser Strategie gelingt es, Interesse zu wecken und die Zuschauerzahlen zu erhöhen - auch wenn der Effekt offenbar nur von kurzer Dauer ist.
Freikarten für Vereinsmitglieder
Wenn eine Mannschaft einen Zuschauerrekord aufstellen kann, dann ist es Barcelona. Die Frauenmannschaft des Klubs wurde 1988 gegründet. Das langjährige Engagement für den Frauenfußball hat sich ausgezahlt, denn der Klub war bei der Einbindung seiner Fans und der Entwicklung seines Teams viele Jahre lang führend.
Die Rekord-Zuschauerzahl im Camp Nou ist demnach auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Zum einen die Größe des Spiels und die Tatsache, dass es sich um einen 'Clasico' handelte (auch wenn die Frauenmannschaft von Real Madrid erst im Juli 2020 gegründet wurde). Zum anderen hat der FC Barcelona seinen 147.000 Klubmitgliedern kostenlose Eintrittskarten zur Verfügung gestellt - zuzüglich einer geringen Verwaltungsgebühr -, was die Besucherzahlen deutlich erhöhte. Drittens ist die zunehmende Besucherzahl in den Stadien Teil eines allgemeinen Trends in der Champions League der Frauen.
"Barcelonas Frauenteam ist seit langem in die Männermannschaft und den Verein im Allgemeinen integriert", sagt DW-Fußballexpertin Alina Schwermer. "Barcelona ist es sehr gut gelungen, eine starke Identität rund um den Verein zu schaffen, die über die Männermannschaft hinausgeht, wovon auch das Frauenteam profitiert hat. Sie haben früh mit der Vermarktung des 'Clasico' begonnen, aber sie haben auch die Infrastruktur dafür geschaffen."
TV-Sender entdecken das Potenzial des Frauenfußballs
Das kommerzielle Potenzial des Frauenfußballs wurde in den letzten Jahren von den TV-Sendern zunehmend erkannt. Der 'Clasico' wird international von DAZN und BeIN Sports gezeigt - was zu mehr Zuschauern bei den großen Spielen und damit zu höheren Einnahmen für die Vereine führt.
Während die UEFA scheinbar alles tut, um mehr Fans für den Frauenfußball zu gewinnen, sowohl im Fernsehen als auch in den Stadien, bleibt allerdings die Frage, ob sie überhaupt daran interessiert ist, gleiche Bedingungen für alle Vereine zu schaffen?
Einerseits werden durch die steigenden TV-Einnahmen die Forderungen nach Lohngleichheit gestärkt. Andererseits ist es das kommerzielle Modell, das den Vereinen dient, die bereits an der Spitze der Pyramide stehen und regelmäßig in der Champions League spielen. Mannschaften außerhalb der bestehenden Elite werden dadurch nicht unterstützt.
Der Teufelskreis von Geld und Erfolg führt allerdings lediglich zu einer kleinen Konzentration der 'besten' Klubs an der Spitze, die Jahr für Jahr immer reicher werden. Der Frauenfußball will derweil versuchen, sich dem zu widersetzen und die gleichen kapitalistischen Fehler zu vermeiden, den der Männerfußball gemacht hat. So soll es mehr Abwechslung beim Kampf um die Titel geben.
"Der Frauenfußball bietet eine Chance, den Fußball neu zu sehen", so Schwermer. "Es könnte eine Möglichkeit sein, vom Frauenfußball ausgehend eine andere Dynamik zu schaffen, die Veränderungen bewirken kann. Denn wenn der Frauenfußball einfach den gleichen Weg geht wie der Männerfußball, wird er zum gleichen Ergebnis mit den gleichen Problemen kommen."
Aus dem Englischen adaptiert von Jörg Strohschein. Der Artikel wurde nach dem Spiel in Barcelona aktualisiert.