CEO: "Im Hangar haben die Leute geschlafen"
10. Juni 2016Christoph Müller ist ein Spezialist für schwierige Fälle in der Luftverkehrsbranche. Die belgische Sabena konnte er 2001 nicht vor der Pleite bewahren,dafür aber die marode Aer Lingus aus Irland. Von dort wechselte er im März 2015 nach Kuala Lumpur, um die schwer angeschlagene Malaysia Airlines zu retten. Die Fluggesellschaft war bereits in wirtschaftlicher Schieflage als sie von zwei Tragödien getroffen wurde: Zuerst verschwand im März 2014 unter bis heute ungeklärten Umständen der Flug MH 370 im Pazifik. Dann wurde im Juli 2014 eine weitere Maschine von Malaysia Airlines über der Ukraine abgeschossen. Trotzdem übernahm Christoph Müller den Job in Kuala Lumpur Anfang 2015. Malaysia Airlines scheint inzwischen wirtschaftlich wieder auf gutem Kurs, doch Müller wird überraschend bereits nach halber Vertragslaufzeit im September seinen Posten aufgeben.
Deutsche Welle: Herr Müller, warum lieben Sie Schleudersitze?
Christoph Müller: Ich habe bisher nur einmal in einem Schleudersitz gesessen, in einem "Phantom"-Kampfflugzeug, da war ich zwölf.
Aber die Chefsessel jener Airlines, deren Chef Sie waren, wollte doch niemand haben, weil sie als Schleudersitze galten?
Das weiß ich nicht, aber mir haben diese Jobs alle viel Spaß gemacht und ich habe es nicht bereut. Malaysia Airlines war für mich nicht der schwierigste Job und auch kein Schleudersitz. Hier ein Sanierungsprogramm zu implementieren ist keine Rocket Science.
Also macht es Ihnen dort Spaß, wo die Luft dünn ist?
Es gibt auch Rechtsanwälte oder Mediziner, die angeblich hoffnungslose Fälle übernehmen. Ich habe meine Rolle bei solchen Airlines in Schieflage oft mit der eines Notarztes verglichen. Das ist bei mir kein Hasardeurtum. Ich gucke mir das vorher genau an und würde auch nicht alles machen. Alle Fluggesellschaften, die ich übernommen habe, habe ich vorher als sanierbar eingeschätzt.
Wann wird denn Malaysia Airlines in ihrer Bilanz die Früchte Ihrer Arbeit zeigen?
Für 2018 ist offiziell das Erreichen der Gewinnschwelle geplant. 2016 werden wir noch Verluste schreiben, aber wir liegen deutlich über Plan. Die Gewinnschwelle wäre vielleicht etwas früher zu erreichen , wenn der Ölpreis niedrig bleibt, aber das ist Spekulation. Im Großen und Ganzen ist das Schiff wieder auf Kurs.
Was hat Sie an Malaysia Airlines gereizt, deren Lage nach den zwei Abstürzen ja extrem schwierig war?
Malaysia Airlines hat eine stolze Vergangenheit, galt neben Singapore Airlines als Inbegriff asiatischer Servicekultur. Von den makroökonomischen Bedingungen hier muss man sich schon verrückt anstellen, um mit der Airline kein Geld zu verdienen. Malaysia verzeichnet seit 55 Jahren fast ununterbrochen über fünf Prozent Wachstum jährlich. Malaysia Airlines hat viel Pech gehabt, es sind viele halbherzige Sanierungsprojekte abgebrochen worden. Sabena war für mich sicher ein viel schwierigerer Fall, weil der Öffentlichkeit gar nicht bewusst war, wie schlecht es der Firma eigentlich ging.
Was haben Sie hier vorgefunden, als Sie anfingen?
Trotz aller Ankündigungen der Regierung war damals noch überhaupt keine Sanierung eingeleitet worden, der Krankenwagen ist sozusagen immer nur um das Krankenhaus herumgefahren. Und viele Leute der 20.000 Angestellten hatten schlicht nichts zu tun. Ich bin die durch die Hangars gegangen, da haben die Leute geschlafen. Daher musste ich radikal 6.000 Jobs abbauen. Das ist vermutlich der radikalste Aderlass jemals in der Branche.
Aber das Hauptproblem hier scheint Vetternwirtschaft zu sein?
Ja, die Schieflage von Malaysia Airlines ist mindestens zur Hälfte darauf zurückzuführen, dass sie seit jeher alles vom Bleistift bis zum 200-Millionen-Dollar-Flugzeug rund 20 bis 25 Prozent über Marktpreis eingekauft hat. Ob wir da nur schlecht verhandelt haben, will ich jetzt mal offenlassen. Korruption jedenfalls ist auch in Malaysia strafbar. Und wir hatten 20.000 Lieferanten, da erhält man bei keinem Mengenrabatte. Jetzt sind wir bei etwa 4.000 Zulieferern. Das Ziel sind 2.000. Diese Firma wird also vorwiegend auf der Kostenseite saniert.
Bei einfachen Leuten hier sind Sie sehr beliebt, bei höheren Chargen, denen jetzt Millioneneinnahmen durch die Lappen gehen, vermutlich weniger. Wie gehen Sie damit um?
Das will ich nicht kommentieren, aber klar ist, dass wir an einem Strang ziehen müssen. Und dass meine Beliebtheit bei einfachen Leuten hier sehr auf Gegenseitigkeit beruht. Die Bevölkerung empfindet eine starke Bindung an ihre nationale Airline, das habe ich noch nie so gesehen wie hier in Malaysia. Das ist auch der Grund, dass bis heute kein Rebranding [Umbenennung, Anm.d. Red.] stattgefunden hat, von dem ich weiter der Ansicht bin, dass es kommen muss.
Aber nicht mehr mit Ihnen, denn Sie sind im September weg. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie die Leute hier im Stich lassen?
Da widerspreche ich energisch, denn ich bin selbst sehr, sehr traurig.
Warum gehen Sie überhaupt, was sind Ihre "persönlichen Gründe"?
Dazu werde ich mich nicht äußern.
Werden wir Sie bald anderswo als Airline-Notarzt sehen?
Ich bin mit 54 jedenfalls zu jung, um mich zur Ruhe zu setzen. Es wird auf jeden Fall einen neuen Job für mich geben, den habe ich aber noch nicht.
Oder beginnen Sie nun endlich Ihr geplantes Sabbatical?
Das wäre dann der dritte erfolglose Versuch.
Christoph Müller ist als Manager auf die Luftfahrindustrie spezialisiert. Bis September ist er noch CEO von Malaysia Airlines.
Das Interview führte Andreas Spaeth.