Cartagenas Kampf gegen Kinderprostitution
13. März 2020Cartagena de Indias an der kolumbianischen Karibikküste ist ein beliebtes Urlaubsziel. Nur die Hauptstadt Bogotá zieht jährlich mehr Besucher an als die Hafenstadt im Bundesstaat Bolívar. Cartagenas Mischung aus Kolonialerbe und afrokolumbianischer Kultur ist einzigartig. Die engen Gassen mit ihren bunten Häusern und blumenbehangenen Balkonen laden zum Schlendern und Verweilen ein. Doch nicht alle Besucher kommen wegen der charmanten Atmosphäre her. Seit Jahren ist Cartagena ein Hotspot für Sextouristen, die es auf Minderjährige abgesehen haben.
Prostitutionsringe rekrutieren Kinder und Jugendliche über soziale Netzwerke
Kinderprostitution ist ein gravierendes Problem in der Stadt. 26 Prozent der Einwohner Cartagenas leben in Armut. Viele Familien sehen keinen anderen Ausweg aus der Misere als ihre jungen Töchter und Söhne an Prostitutionsringe zu verkaufen. Vermehrt werden Opfer auch direkt über die sozialen Netzwerke angesprochen.
Fernando (Name geändert) war 13 Jahre alt, als ihm ein Fremder auf Facebook ein vermeintlich lukratives Angebot machte: "Als sie anboten mich für Sex zu bezahlen, habe ich blauäugig zugestimmt, weil ich nicht genug Geld hatte, um so zu leben, wie ich es mir wünschte. Ich hatte keine Ahnung wie sehr diese Entscheidung mir schaden würde." Zwei Jahre lang wurde er von einer Gruppe Männer regelmäßig missbraucht und eingeschüchtert. Den Absprung schaffte er dank einer lokalen Initiative: "La Muralla ¡Soy Yo!" - "Der Schutzwall bin ich!"
Kinderprostitution lange ignoriert aus Angst vor Stigmatisierung
Im Jahr 2009 von der Nichtregierungsorganisation Renacer ins Leben gerufen hat sich "La Muralla ¡Soy Yo!" auf die Fahne geschrieben, gegen Kinderprostitution in Cartagena vorzugehen. Das Konzept: eine Kombination aus Prävention, Sensibilisierung, Anzeige und Strafverfolgung. Damit will die Initiative ein Problem bekämpfen, das lange nicht als solches anerkannt wurde: "Wie jedes Urlaubsziel hatten wir Angst davor, verteufelt zu werden und Einbußen in den Besucherzahlen zu erleiden", sagt Irvin Pérez von der Tourismusbehörde Cartagena. "Aber die Stadt hat beschlossen, dem Problem ins Auge zu sehen und sich klar gegen diese illegalen Aktivitäten zu positionieren."
Wie die Mauer, die den historischen Stadtkern Cartagenas seit dem späten 16. Jahrhundert vor Eindringlingen geschützt hat, soll der symbolische Schutzwall der Muralla-Initiative Kinder und Jugendliche von Gefahren abschirmen. Dazu arbeiten die lokalen Behörden Hand in Hand mit dem Tourismussektor. Taxifahrer, Barkeeper und Hoteliers haben in Workshops gelernt, wie man illegale Aktivitäten erkennt und meldet.
Keine Scheu vor der Konfrontation
Víctor Padilla vermietet Liegestühle am Strand von Castillogrande. Vor der Initiative war ihm nicht bewusst, dass das, was vor seinen Augen geschieht, als Kindesmissbrauch gilt. Seit nunmehr zehn Jahren ist er Teil der Kinderschutzinitiative. "Wenn wir jemanden sehen, der sich falsch verhält, sagen wir ihm, dass das hier nicht zugelassen wird. Wir können unsere Kinder und Jugendlichen nicht diesen Kriminellen überlassen", sagt der dreifache Familienvater. "Mein Engagement kommt von Herzen. Niemand zwingt mich dazu. Ich kämpfe für die Gemeinschaft und das tue ich mit Händen, Füßen, Zähnen - mit allem was ich habe."
Auch in Hotels wird aktiv gegen die Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen gekämpft. Im Holiday Inn im Stadtteil Bocagrande werden Minderjährige ganz besonders unter die Lupe genommen. Das Hotel legt alles daran, ein sicherer Ort zu sein: "Jeder Angestellte kennt das Anzeigeprotokoll", beteuert Sicherheitschef Álvaro Cadena. "Wenn sie auffälliges Verhalten registrieren, geben sie einen geheimen Code an ihre Vorgesetzten durch und der kontaktiert den Sicherheitsdienst und die Polizei."
Sensibilisierung als Prävention
Um zu verhindern, dass Kinder Opfer werden, veranstaltet die Initiative Sensibilisierungsworkshops an Schulen. Mit Erfolg, sagt Rosalva Guerrero, Psychologin an der Schule Nuestra Señora del Carmen. "Die Zahl der Opfer sexueller Ausbeutung hat sich in den vergangenen Jahren stark verringert."
Vor allem aber haben die Projekte der "Muralla" das Tabu um das Thema Kinderprostitution gebrochen, sagt sie: "Jetzt, da alle wissen, worum es geht, sprechen wir auch ganz frei über das Thema. Schüler wie Lehrer. Das ist ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit." Präventionsarbeit, die für Fernando zu spät kam. Als er verzweifelt nach einem Weg aus der Prostitution suchte, schickte ein Freund ihn zu Renacer, der Stiftung hinter "La Muralla ¡Soy Yo!".
In einem Auffanglager für Minderjährige Opfer fand er Hilfe: "Als ich ankam, begann für mich eine Art Entgiftungsprozess. Diesem Haus habe ich mein Leben zu verdanken", erklärt er. Dort lernte er viel über Selbstwertgefühl, Verteidigungstaktiken und Rechtsansprüche. Lektionen, die er jetzt an andere Jugendliche weitergibt - als fester Bestandteil des Schutzwalls von Cartagena.