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Politik

Bürgermeister suchen Antworten auf Hass

Christian Bartlau
18. Februar 2020

Beleidigungen, Drohungen, Hass: Das ist Alltag für Lokalpolitiker - auf der ganzen Welt, wie eine Konferenz in Wien zeigt. Eine italienische Bürgermeisterin rät zu mehr Verständnis, ein deutscher Kollege zu mehr Härte.

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Deutschland Symbolbild Hass im Netz
Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Er hält vieles aus, sagt Tjark Bartels, und man möchte es dem 50-Jährigen mit der wetterfesten Statur sofort glauben. Aber auch er hat seine Grenzen. Im Herbst 2019 fiel der Landrat von Hameln-Pyrmont über einen Missbrauchsfall in seinem Landkreis, oder vielmehr: Er wurde umgehauen. 32 Kinder und Jugendliche waren auf einem Campingplatz in dem Ort Lügde über einen langen Zeitraum von einer Gruppe Männer immer wieder vergewaltigt worden. Bartels musste einräumen, dass auch seine Behörde Fehler gemacht hatte. Die Folge: Hass-Kommentare im Internet, beißende Kritik in den Medien - und schließlich ein Brief mit einer Todesdrohung. "Da hat mein Körper eine Notbremsung hingelegt", sagt Bartels. Die Diagnose: Burnout. Bartels, seit 2013 Landrat, ließ sich im Oktober 2019 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzen.

Vier Monate später sitzt Bartels in Wien neben Kollegen aus Italien, dem Libanon und Slowenien in Wien auf dem Podium einer internationalen Konferenz von Lokalpolitikern und erzählt seine Geschichte. Vier Lokalpolitiker, ein geteiltes Leid: Alle begleitet bei ihrer Arbeit permanenter Druck, abgelassen immer öfter über die sozialen Medien. Im besten Fall. Im schlechtesten kämpfen sie mit Drohungen, Beleidigungen, sogar mit persönlichen Attacken. Die hat in dieser Runde niemand erlebt - "noch nicht", wie Igor Marentič, Bürgermeister der slowenischen Stadt Postojna, bemerkt. Mehr als nur ein Hauch von Fatalismus, dabei wollten sie doch nach Antworten suchen auf den Hass, aber schnell wird klar: Die eine Lösung gibt es nicht. Und eine einfache schon gar nicht.

Träume vs. Realität

Wer an diesem Tag die ehemalige Backfabrik in Wien-Favoriten betritt, dem begegnen erst einmal Erfolgsgeschichten. Den sozialen Zusammenhalt stärken, dieses Ziel hat sich "Act.Now" gesetzt, ein Zusammenschluss von Lokalpolitikern und Akteuren der Zivilgesellschaft, 2007 unter anderem vom österreichischen Allround-Künstler André Heller gegründet. "Es liegt an uns, das zu ändern, was sich für uns und unseren Planeten nicht richtig anfühlt", hatte Heller zur Eröffnung gesagt. Zur Motivation erzählen einige Schautafeln von geglückten Projekten: In Dublin bringt ein Multikulti-Fest Bürger jeder Herkunft zusammen. In Wien spielen DJs in Hinterhöfen die Musik aus den Kulturen der Bewohner. Im Irak versöhnen Friedenskomitees nach dem Rückzug des IS die Heimkehrer von der Front mit den misstrauischen Einwohnern. 

Tjark Bartels Landrat von Hameln-Pyrmont
Tjark Bartels erlitt infolge einer Hasskampagne gegen ihn einen BurnoutBild: DW/C. Bartlau

Inmitten all der Ideen für die Weltverbesserung wirkt das Podium der gestressten Politiker wie ein unbarmherziger Reality-Check für Träumer. Alle vier erzählen Geschichten, in denen das Miteinander eben nicht gelingt, in denen Unmut aufkommt in gespaltenen Gemeinden, der sich schließlich auch gegen die Bürgermeister richtet.

Das Mittel gegen Populismus: Gute Politik

Für Isabella Conti begann alles mit einem Glücksfall. Die Bürgermeisterin von San Lazzaro di Savena, einer 32.000-Einwohner-Stadt im Großraum Bologna, bekam 2016 für ihren Ort eine Villa geschenkt, gebaut mit schmutzigem Geld, beschlagnahmt vom Staat. Conti suchte in dieser Zeit händeringend nach Platz für die vielen Geflüchteten, die in ihrer Stadt gelandet waren - und quartierte einige von ihnen kurzerhand in der Villa ein und bastelte ein Integrationsprojekt drumherum.

Italien Isabella Conti Bürgermeisterin von San Lazzaro di Savena
Hass im Netz konnte ihrer Popularität nichts anhaben: Isabella Conti aus ItalienBild: DW/C. Bartlau

Der Startschuss für eine Schmierkampagne, berichtet Conti am Rande der Konferenz der DW. Bevor sie ansetzt, stößt sie einen Seufzer aus: "Es kam vor allem über Facebook. Üble Sachen. Ich sei eine Kommunistin, ich würde nur etwas 'für die' machen." Mal antwortet Conti auf die Posts, mal nicht. Ignorieren wolle sie den Unmut aber auf keinen Fall. Lieber will sie im Gespräch bleiben: "Ich lade immer alle ein, mich im Rathaus zu besuchen." Überzeugen ließen sich die Leute aber nur mit guter Politik: "Das ist das wirksamste Mittel gegen Populismus." Conti will beweisen, dass sie Politik für alle macht: Sie stoppt die Bodenversiegelung, geht gegen Straßenprostitution und Drogendealer vor, und schafft die Gebühren für die Kindergärten ab. Offenbar mit Erfolg: In ihre erste Amtszeit wurde sie 2015 mit 59 Prozent der Stimmen gewählt - ihre Wiederwahl sicherte sie sich mit 81 Prozent.

"Ich weiß nicht, wie man sich schützen kann"

Aber selbst bei solchen Zustimmungswerten, sagt Contis Kollege Igor Marentič, blieben ein paar Unzufriedene, die sehr laut sein könnten. Marentič hat seinen eigenen Umgang mit ihnen gefunden: Er schaut sich die Kommentare in den sozialen Medien gar nicht erst an.

Tjark Bartels dachte, er werde schon fertig mit dem Mob, der sich im Netz austobte, der Bartels persönlich die Schuld gab für die Fehler, die in seinem Landratsamt gemacht wurden. Er hatte schon öfter im Gegenwind gestanden, weil er sich für Geflüchtete engagiert hatte und weil er in seinem Landkreis einen Lernort errichten wollte, dort, wo die Nationalsozialisten das "Reichserntedankfest" gefeiert hatten. "Aber das waren Rechte", sagt Bartels im Gespräch mit der DW, "die haben mich wegen meiner politischen Position angegriffen. Das hat mich eher noch bestätigt."

Spätestens die Morddrohung aber habe ihm den Boden unter den Füßen weggezogen: "Das war ein Angriff auf meine persönliche Integrität, und das mit so falschen Vorwürfen. Da dachte ich: Jetzt wirst du getötet für etwas, was du gar nicht gemacht hast." Noch immer arbeite er das Erlebte auf, sagt Bartels, der sich schwer damit tut, Empfehlungen aus seinem Fall abzuleiten. Er ist für eine Klarnamenspflicht in den sozialen Netzwerken und appelliert an die Medien, den Hass im Netz nicht auch noch zur Schlagzeile aufzubauschen: "Das schaukelt sich gegenseitig auf."

Sich wieder in der Lokalpolitik zu engagieren, das kann er sich jedenfalls nicht vorstellen: "Es ist ein schöner Job. Aber ich vermag einfach nicht zu sagen, wie man sich schützen kann."