Bürgergeld statt Hartz IV: Streit um Reform in Deutschland
15. November 2022Es ist eines der Prestigeprojekte der Regierung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz: das Bürgergeld. Nach den Plänen der Bundesregierung soll es ab dem 1. Januar 2023 die bisherige Grundsicherung Hartz IV ersetzen. Vorgesehen ist eine Erhöhung der staatlichen Zahlungen für Arbeitslose und ihre Angehörigen sowie eine Lockerung der Sanktionen, für diejenigen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
Der Bundestag hat die Gesetzesvorlage bereits angenommen, die zweite Kammer, der Bundesrat, verweigerte jedoch die notwendige Zustimmung. Der Bundesrat setzt sich aus Vertretern der Regierungen der 16 deutschen Bundesländer zusammen. Die Länder, in denen die konservativen Parteien CDU/CSU an der Regierung beteiligt sind, verweigerten dem Bürgergeld-Gesetz die Zustimmung.
Die bisherige Grundsicherung Hartz IV, benannt nach dem Arbeitsmarktreformer Peter Hartz, wurde 2002 unter dem ebenfalls sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt. Innerparteilich war die sogenannte Hartz-IV-Reform sehr umstritten und hatte sogar Parteiaustritte zur Folge.
Zum Zeitpunkt der Einführung von Hartz IV lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei über zehn Prozent. Heute liegt sie bei nur noch gut fünf Prozent, aber es fehlen viele Fachkräfte. Das neue Bürgergeld soll, so argumentiert die Bundesregierung, Arbeitslosen Umschulungen ermöglichen und so dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Blockade mit Ansage
Dass sich an den Bürgergeld-Plänen ein ideologischer Konflikt mit der Opposition entzünden könnte, war schon länger abzusehen. CDU/CSU fürchten das Ende des Prinzips "Fordern und Fördern", also ein Anreiz-System, das viele als die entscheidende Innovation der Hartz-IV-Reform ansehen. Wohlfahrtsorganisationen in Deutschland dagegen fordern schon seit längerem eine Reform von Hartz IV, zumal vor dem Hintergrund stark gestiegener Lebenshaltungskosten, aufgrund derer sich viele selbst das Nötigste kaum noch leisten könnten. Für Markus Söder jedoch, Chef der bayrischen Regierungspartei CSU, sendet das geplante Bürgergeld ein "falsches Signal", wie er bei Twitter schrieb.
Die Bürgergeld-Reform der Regierung sieht unter anderem vor, dass der sogenannte Regelsatz für alleinstehende Erwachsene um 53 Euro auf 502 Euro steigt. Das würde die derzeitige Inflation von zehn Prozent in Deutschland in etwa ausgleichen. Einigen ist das zu wenig - die sozialistische Linkspartei etwa fordert eine Erhöhung um 200 Euro. Dass der Regelsatz steigen soll, ist aber nicht der entscheidende Streitpunkt, denn einer Erhöhung hat die Union zugestimmt.
Die Konservativen stören sich an anderen Teilaspekten des geplanten Bürgergelds. So soll etwa das Schutzvermögen ansteigen, das heißt Betroffene dürfen Bürgergeld beziehen, auch wenn sie bis zu 60.000 Euro besitzen. Zumindest für zwei Jahre. Für jedes weitere Haushaltsmitglied erhöht ich dieser Freibetrag um 30.000 Euro mehr. Das ist bei Hartz IV anders, hier beträgt das Schutzvermögen nur 150 Euro pro gelebtem Lebensjahr, ein 50-Jähriger erhält demnach erst Leistungen, wenn er weniger als 7500 Euro Vermögen besitzt.
Sanktionen sollen gelockert werden
Gleichzeitig sollen in Zukunft die Sanktionen gegen diejenigen gelockert werden, die sich nicht an Vorgaben des Jobcenters gehalten haben. In den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs gilt eine Vertrauensphase, während derer Leistungen überhaupt nicht gestrichen werden können. Nur bei hartnäckigen Terminversäumnissen beim Jobcenter soll es Leistungskürzungen von zehn Prozent geben. Auch soll die Größe der Wohnung in den ersten beiden Jahren nicht mehr ausschlaggebend sein.
Bezieher von Hartz IV mussten sich in der Vergangenheit dagegen zum Teil andere Wohnungen suchen, weil das System nur Zahlungen für angemessenen Wohnraum vorsieht. Den Differenzbetrag können sich viele nicht leisten. Für die Regierung geht es hier um die "Würde des Individuums". CDU-Chef Friedrich Merz findet dagegen, es sei ein "kompletter Systemwechsel der Arbeitsmarktpolitik". Der Zeitung "Welt am Sonntag" sagte er, das Bürgergeld sei ein Weg, der zu einem bedingungslosen Grundeinkommen führen würde, bezahlt vom Steuerzahler.
Ulrich von Alemann, Politikwissenschaftler und Politikberater, analysiert: "Das Prinzip Fördern und Fordern wird ein bisschen abgeschwächt, das ist richtig, weil es eben in der Vergangenheit auf sehr viel Kritik gestoßen ist. Es wird aber in keiner Weise aufgegeben. Natürlich gibt es weiter Mechanismen, die weiter eine Kontrolle bedeuten, und insofern ist das ursprüngliche Grundprinzip von Hartz IV durchaus noch erkennbar".
Wie rauskommen aus dem Patt?
Klar ist: Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP müssen jetzt einen Kompromiss mit der Union finden, der es durch den Bundesrat schafft. Ausgehandelt wird dieser im "Vermittlungsausschuss", in dem Vertreter aus Bundestag und Bundesrat vertreten sind. Britta Hasselmann, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, betont: "Die Bereitschaft dazu braucht es jetzt aber auf allen Seiten. Es hilft nicht, wie Friedrich Merz weiter von geringem Einigungspotential zu reden. Vielmehr muss der Fokus darauf liegen, wo wir im Interesse der betroffenen Menschen sehr schnell zusammenkommen können."
Hubertus Heil (SPD), Arbeitsminister in der Ampelkoalition, sagte im Deutschlandfunk: "Ich lehne es grundsätzlich ab, dass wir in dieser Situation bedürftige Menschen gegen Geringverdiener ausspielen. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit sich lohnt, aber wir müssen die gesamte Gesellschaft im Blick haben, auch diejenigen, die von Armut bedroht sind. Deshalb ist diese Reform des Bürgergeldes ein wichtiger Schritt."
Neue Ära der Bundesrat-Blockaden?
Dass Gesetzesvorhaben vom Bundesrat blockiert werden, ist in den vergangenen Jahren nicht oft vorgekommen. Das liegt vor allem daran, dass Scholz' Vorgängerin Angela Merkel in drei von vier Amtsperioden mit einer großen Koalition aus Union und SPD regiert hat, das sicherte in den meisten Fällen auch die Mehrheit im Bundesrat.
Die kleineren Parteien hatten praktisch keine Handhabe, Regierungsvorhaben zu blockieren. Grundsätzlich gab es das aber durchaus in der Vergangenheit vor der Zeit der großen Koalitionen, bestätigt auch Ulrich von Alemann: "Damals gab es richtig schwerwiegende Blockaden des Bundesrates, und aufsehenerregende Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses, um doch noch einen Kompromiss zu erzielen."
Dass jetzt eine neue Ära beginnen könnte, in der sich die beiden Kammern regelmäßig gegenseitig blockieren, glaubt er aber nicht. "Der Bundesrat ist so vielfältig zusammengesetzt, dass er nur selten in der Lage ist, eine Art Opposition zu bilden. Das ist eher die Ausnahme".
Friedel Taube hat diesen Text aus dem Englischen adaptiert.