Schande oder Meisterstück?
11. Januar 2017Es sind Dokumente von explosivem Inhalt, die Buzzfeed am Dienstag veröffentlichte: Donald Trump soll seit fünf Jahren Beziehungen zum Kreml pflegenund Unterstützung während des Präsidentschaftswahlkampfes bekommen haben. Russische Geheimagenten sollen kompromittierende Informationen über Trump gesammelt haben, die den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten erpressbar machen. Das Ganze auf 35 Seiten, die angeblich ein angesehener Ex-Agent des britischen Geheimdienstes gesammelt haben soll.
Hohe Wellen nach Buzzfeed-Veröffentlichung
Bestätigt sind die Behauptungen nicht. Und sowohl Trumpals auch der Kreml leugnen alle Vorwürfe. Trotzdem haben sie in den amerikanischen Medien große Wellen geschlagen – und eine Debatte dazu initiiert, wie Journalisten mit nicht-verifizierten Informationen umgehen sollen. Denn Buzzfeed verstößt mit der Veröffentlichung gegen die langjährige journalistische Grundregel, brisante Information nur nach zuverlässiger Bestätigung zu veröffentlichen.
Die Dokumente, die jetzt bei der Internetplattform erschienen sind, lagen laut zahlreichen Medienberichten bereits seit mehreren Monaten vielen Journalisten und Politikern vor. Doch die meisten Nachrichtenredaktionen hatten sich entschieden, nicht darüber zu berichten, da es bisher für die Behauptungen in dem Dossier keine Beweise gibt.
Probleme bei der Verifizierung
So schreibt zum Beispiel Politikjournalistin Julia Ioffe auf Twitter, dass ihr das Papier vorliegen würde, sie jedoch nichts dazu veröffentlicht habe, da sie es als unmöglich ansah, es zu verifizieren.
Mother Jones, ein links orientiertes Nachrichtenmagazin, hatte bereits Ende Oktober einen Artikel darüber veröffentlicht, dass dem FBI Unterlagen dazu vorliegen würden, dass Trump mit der russischen Regierung zusammen arbeiten würde. Der Autor des Stückes, David Corn, schreibt dazu auf Twitter, dass er darüber berichtet habe, da seine Quelle vertrauensvoll gewesen sei. Er habe - anders als Buzzfeed - aber nicht das volle Dokument veröffentlicht, da er dessen Wahrheitsgehalt nicht belegen konnte. "Selbst Donald Trump steht journalistische Fairness zu," so Corn.
CNN hatte – ohne auf Details einzugehen - am Dienstag darüber berichtet, dass Geheimdienstmitarbeiter sowohl Barack Obama als auch Donald Trump über Berichte informiert hätten, laut denen Russland angeblich peinliche Informationen über Trump besitze. Kurz darauf machte Buzzfeed das entsprechende Dokument - weitgehend ungeschwärzt, inklusive aller pikanten, unbestätigten Details - öffentlich.
Ist Transparenz schon genug?
In einem Begleitartikel legt Buzzfeed offen, dass das Dossier von der Redaktion nicht verifiziert worden ist. Man wolle aber den Amerikanern nach dem CNN-Bericht die Möglichkeit geben, sich selbst eine Meinung zu bilden, so die Autoren. Buzzfeed-Chefredakteur Ben Smith erklärt in einer auf Twitter veröffentlichten Email an seine Mitarbeiter, die Intention sei gewesen, "journalistisch transparent zu sein und die Informationen, die wir haben, mit unseren Lesern zu teilen."
Das Onlinemagazin Slate kritisiert Smiths Argumentation als "unaufrichtig", denn "wenn Amerikas Spitzengeheimdienstmitarbeiter, Mitarbeiter im Kongress und investigative Journalisten sich nicht entscheiden können, ob etwas dran ist an den Vorwürfen, wie kann man erwarten, dass der durchschnittliche Leser das kann." Buzzfeed habe sich nicht wie ein Mitglied der "Mainstream Media" verhalten, sondern gemäß der Tradition von Internetmedien und –blogs explosive Informationen veröffentlicht, um "Bekanntheit, Abrufzahlen und Social-Media-Shares" zu gewinnen. (Anm. d. Red.: Slate machte nach Buzzfeed das Dokument ebenfalls auf seiner Webseite verfügbar.)
Schadet Buzzfeed journalistischer Glaubwürdigkeit?
The Atlantic befürchtet, dass Buzzfeed der Glaubhaftigkeit der Medien nachhaltig schaden könnte: "Falls das Trump-Dossier voller Fehlinformationen ist, dann wird es immer wieder ins Feld geführt werden, um glaubhafte und belegte Vorwürfe gegen Trump zu diskreditieren." Es sei nicht genug, offenzulegen, dass Informationen nicht geprüft wurden , schreibt das Magazin. "Der Job eines Reporters ist nicht, soviel Informationen wie möglich in den öffentlichen Raum zu kippen, [sondern] Informationen auszuwerten und zu bewerten, was wahr ist und was nicht."
John Podhoretz von der Boulevardzeitung New York Post ist der Meinung, dass Buzzfeed "Fake News" mit der Veröffentlichtung auf ein ganz neues Level hebe. "Man findet keinerlei Beweise für die Vorwürfe, weder in den Dokumenten noch im Begleitartikel."
Kritik auch von der New York Times
Dean Baquet, der Chefredakteur der New York Times, sagte in einem Interview mit Kollegen, seine Zeitung würde die Dokumente nicht veröffentlichen, da die in ihnen erhobenen Vorwürfe "komplett unbestätigt" seien.
Auch auf Twitter hagelt es Kritik.
Kolumnist Michael Wolff nennt die Veröffentlichung der Dokumente abstoßend, opportunistisch und entgegen jeder journalistischer Ethik.
"Wie bitte sollen denn Amerikaner sich ihre eigene Meinung bilden zu den Vorwürfen ohne Bestätigungen oder Beweise?", fragt Brad Heath, Reporter für die Zeitung USA Today. "Man sollte nichts veröffentlichen, von dem man nicht weiß, ob es wahr ist."
Auch Wikileaks klinkt sich in die Twitter-Debatte ein: "Wir unterstützen Buzzfeeds Veröffentlichung eines Dokumentes, das eindeutig Quatsch ist, nicht."
Lob für Buzzfeeds Entscheidung kommt vom Präsident von ProPublica, einer Organisation für investigativen Journalismus. "Applaus an @BuzzFeedBen und sein Team für die Veröffentlichung des Dossiers", so Richard Tofel. Schließlich hätten Bürger, sobald CNN darüber berichtet hatte, die Informationen haben sollen, um sich selbst ein Bild zu machen. Tofels These: Durch das Öffentlichmachen der Vorwürfe gegen Trump wird sich - im Interesse aller - der Prozess, Fakten von Falschbehauptungen zu trennen, beschleunigen.