Burkina Faso: Theater und Terrorismus
25. Dezember 2020Mitten in Burkina Fasos Haupstadt Ouagadougou, gegenüber des Fußballstadions Issoufou Joseph Conombo, sind Schüsse zu hören. Menschen kreischen, Angst, Unruhe und Hektik sind überall zu spüren. Ein Gefühl der Unsicherheit breitet sich aus. Niemand weiß, was als nächstes passiert. Werden die Soldaten weiter schießen? Sterben womöglich wieder Zivilisten? Oder ist einer der Flüchtenden gar ein Islamist und will ein ganzes Dorf in die Luft sprengen?
Szenen wie diese hat Burkina Faso in den letzten Jahren häufig erlebt. Aufgrund von Terror und Gewalt sind mehr als eine Millionen Menschen im Land auf der Flucht. Doch heute passiert all das zum Glück nur auf der Bühne des Carrefour International de Thèâtre Ouagadougou, kurz CITO. Das Theater wurde 1996 von jungen burkinischen Schauspielern gegründet, die im Ausland gearbeitet hatten und in ihrer Heimat ein festes Theater errichten wollten. Zuvor hatten bereits bekannte Theatermacher wie Jean-Pierre Guingané, Prosper Kompaoré und Achille Amadou Bourou Festivals ins Leben gerufen und eine systematische Schauspielausbildung aufgebaut. Bis heute ist das in ganz Westafrika einmalig, sagt CITO-Geschäftsführer Martin Zongo: "Wir laden regelmäßig Schauspieler aus der Elfenbeinküste, Mali, Togo, Benin, dem Niger und sogar dem Senegal ein. Nie hat uns jemand von einem Theater erzählt, das so regelmäßig Stücke aufführt, wie das CITO."
Bühnenstücke zur Prävention
Pro Jahr sind das bis zu vier Stücke. Die 48. Produktion ist bis Ende November aufgeführt worden. Neben internationalen Klassikern sind es zunehmend Stücke westafrikanischer Autoren, die hochaktuelle Themen wie Terrorismus und Unsicherheit auf die Bühne bringen. "La Patrie ou la Mort" ("Vaterland oder der Tod") des Autors und Schauspielers Mahamadou Tindano gehört dazu. "Diesem Thema kann man nicht aus dem Weg gehen. Als Künstler müssen wir darauf reagieren", sagt er.
Tindanos Stück ist eine Auftragsarbeit für das CITO gewesen. Schon zuvor hatte der Autor kürzere Texte über den fortschreitenden Terrorismus geschrieben und sich damit auseinander gesetzt, was dieser für die Gesellschaft bedeutet. Dass Burkina Faso allerdings mit keinem Wort erwähnt wird, hat folgenden Grund: "Das kann auch in Mali oder im Niger passieren. Überall, wo es Terrorismus gibt, kommt es zu gegenseitiger Stigmatisierung. Folglich kann mein Stück überall aufgeführt werden."
Tourneen sind zu riskant
Von Gewalt und Extremismus ist das Theater aber zunehmend selbst betroffen, sagt Tony Ouedraogo. Nach der Vorstellung hat sich der Schauspieler abgeschminkt und sitzt in der ersten Reihe des Freilufttheaters, das Platz für 250 Besucher hat. Ouedraogo spielt einen Flüchtling, der von Bewohnern eines Dorfes umgebracht wird, weil sie ihn für einen Terroristen halten. Anschließend kehrt er bleich geschminkt als Geist zurück auf die Bühne.
Ouedraogo würde "La Patrie ou la Mort" gerne in Städten wir Djibo und Dori zeigen, da dort die Sicherheitslage besonders prekär ist. Besonders in ländlichen Regionen greifen Anhänger verschiedener Terrorgruppen Polizeistationen, Kasernen und zunehmend die Zivilbevölkerung an. Deshalb gibt der Künstler zu: "Es gibt heute Gegenden, in denen man nicht mehr auftreten kann." Zum einen seien die Straßen dorthin zu unsicher. Zum anderen würden all jene angegriffen werden, die Entwicklung bringen würden. Dabei sei genau das eine wichtige Aufgabe des Theaters: "Wir versuchen, die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu erhöhen." Die Bühne biete eine gute Möglichkeit, vor Terrorgefahren zu warnen.
Theater und Schauspieler mit Geldsorgen
Weil weniger getourt werden kann, verringern sich auch die Einnahmen des Theaters. Je nachdem, wie groß das Ensemble ist und wie aufwändig Technik und Bühnenbild sind, kostet eine Produktion zwischen knapp 23.000 bis gut 41.000 Euro, sagt Geschäftsführer Zongo. Obwohl das CITO einen großen Unterstützerkreis hat und sich vor Aufführungen lange Schlangen bilden, ist das mit dem Eintritt von knapp 2,30 Euro pro Person nicht zu finanzieren. Durch die Corona-Krise sind nun Spenden aus Europa weggebrochen, sodass die Aufführung von "La Patrie ou la Mort" sogar zwei Wochen früher als geplant eingestellt werden musste.
Dabei hat sich das Theater zum Ziel gemacht, Schauspieler für mindestens zwei bis drei Monate anzustellen. Auch das ist eine Ausnahme, da Theaterstücke sonst nur wenige Male – etwa in internationalen Kulturzentren – aufgeführt werden. Dafür gibt es mitunter nicht einmal eine Gage. "Es ist ein sehr schwieriges Leben, ein Leben im Prekariat", gibt Zongo zu. Selbst Schauspieler, die schon einmal für ein Stück gecastet worden seien, hätten keine Garantie, eine weitere Rolle zu bekommen. "Manche haben in einem Jahr nicht ein einziges Projekt."
Ein Leben für die Bühne
Für Schauspielerin und Choreografin Haoua Sangaré gibt es dennoch nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen. "Für mich ist das ganze Leben ein Theater. Für mich sind Tanz und Theater das Mittel, um etwas auszudrücken", sagt sie nach der Aufführung, in der sie eine Dorfbewohnerin darstellt. Auf die Frage, warum ausgerechnet das Theater in Burkina Faso so bekannt sei, lacht sie. "Vielleicht liegt es daran, dass wir ein Binnenstaat sind." Sicher sei im regionalen Vergleich jedoch eins: "Unsere Stücke sind engagiert, und unser Theater ist sehr fortgeschritten."