Machtbefugnisse des Bundespräsidenten
16. März 2012Was die Präsidenten der USA, Frankreichs oder Russlands vielleicht tun könnten, das bleibt dem Mann oder der Frau im Amt des Bundespräsidenten in Deutschland untersagt. Zum Beispiel ist der Bundespräsident nicht Oberbefehlshaber der Armee. Er kann keine Notstandsgesetze erlassen oder gar von sich aus das Parlament auflösen. Schließlich wird der Bundespräsident auch nicht von der Bevölkerung gewählt. Die Gründe dafür sind in der unheilvollen Geschichte Deutschlands zu finden.
Der Sündenfall
Bevor die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland an sich rissen, gab es auch schon das Amt des Präsidenten. "Reichspräsident" hieß das damals. Im Amt war Paul von Hindenburg. Er besaß noch das Kommando über die Streitkräfte und durfte auch die Gesetze des Parlaments ergänzen. Hitler - damals erst im Amt des Reichskanzlers - benötigte für seine verbrecherischen Pläne, die totale Machtanhäufung - eben jene Befugnisse des Reichspräsidenten. Und als Paul von Hindenburg starb, nutzte Hitler die Situation.
Hitler ließ scheinheilig die Bevölkerung darüber abstimmen, ob er zusätzlich auch das Amt des Reichspräsidenten ausüben dürfe. Berauscht von den Versprechungen Adolf Hitlers, Arbeitsplätze für alle zu schaffen, nahmen 95 Prozent der Wahlberechtigten an der Volksabstimmung 1934 teil. Davon sprachen sich 89 Prozent für Hitler im Amt des Reichspräsidenten aus.
Eine fatale Entscheidung. Was dies wirklich bedeutete, war vielen Deutschen gar nicht bewusst. Sie dachten, sie hätten nur eine formale Organisationsentscheidung getroffen. Tatsächlich konnte Hitler mit dieser Machtfülle in den Zweiten Weltkrieg führen.
Nie wieder Macht für einen Präsidenten
Als nach 1948 das Grundgesetz, also eine neue, demokratische Verfassung für Deutschland erarbeitet wurde, wollte man alles vermeiden, was wieder zu Diktatur und Machtmißbrauch führen könnte. Es sollte zwar wieder das Amt eines Bundespräsidenten geben, allerdings sollte dieses Amt nur noch überwiegend repräsentative Aufgaben umfassen.
In der deutschen Verfassung ist außerdem auf Bundesebene kein Volksentscheid mehr vorgesehen. Politiker nahezu aller Parteien lehnen bundesweite Volksentscheide entschieden ab. Die Volksvertreter stehen auch mehrheitlich einer Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk ablehnend gegenüber, ebenso einer möglichen Kompenzerweiterung des Staatsoberhauptes.
Das Staatsoberhaupt ist von Amts wegen ein "harmloser" Präsident
Die entscheidende Änderung im deutschen Grundgesetz betrifft den Umgang mit den deutschen Streitkräften, die ohnehin erst in den späten 1950er Jahren wieder zugelassen wurden. In Friedenszeiten ist der Verteidigungsminister für die Bundeswehr zuständig. Befehlsgewalt hat im Verteidigungsfall der Bundeskanzler und nicht der Bundespräsident. Und ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr darf nur mit einer eindeutigen Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments erfolgen.
Hauptaufgabe des Bundespräsidenten heute
Die Aufgaben und Machtbefugnisse des Bundespräsidenten sind im deutschen Grundgesetz in den Artikeln 54 bis 61 klar geregelt. Danach vertritt der Amtsinhaber - bisher waren das in Deutschland nur Männer - den Staat im Land und in aller Welt. Bei öffentlichen Auftritten hält der Bundespräsident vor allem Reden und versucht, durch seine Person das Land würdig zu repräsentieren. Dabei wird erwartet, dass sich der Bundespräsident politisch neutral verhält. Tatsächlich haben Amtsinhaber eine Einmischung in aktuelle politische Auseinandersetzungen von Parteien vermieden. Viele Präsidenten ließen sogar ihre Parteimitgliedschaft ruhen.
Selten haben Reden eines Bundespräsidenten eine nachhaltige Wirkung gehabt. Geblieben sind eher Anekdoten. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss machte klar, was er von der Wiederbewaffnung Deutschlands hielt, indem er vor den ersten deutschen Soldaten meinte: "Nun siegt mal schön."
Angesprochen auf eine "Vaterlandsliebe" entgegenete Bundespräsident Gustav Heinemann: "Ich liebe meine Frau." In Erinnerung blieb die Forderung von Bundespräsident Roman Herzog, es müsse ein "Ruck durch die Deutschland" gehen, damit notwendige Reformen umgesetzt werden. Unvergessen bleibt vor allem die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Jahrestag des Kriegsendes. Von Weizsäcker sprach von einer historischen deutschen Schuld.
Die Rechte und Machtbefugnisse des Bundespräsidenten
Vorschlag des Bundeskanzlers: Ein theoretisches Recht. Tatsächlich wird der Bundeskanzler jeweils von der Partei gestellt, die im Parlament nach einer Bundestagswahl durch die Bevölkerung die Mehrheit besitzt. Der Präsident darf dann in einer Feierstunde die Ernennungsurkunde überreichen.
Unterzeichnung und Genehmigung von Gesetzen: Gesetze - auch mit anderen Staaten in der Welt - können nur in Kraft treten, wenn sie vom Bundespräsidenten unterschrieben worden sind.
Tatsächlich prüfen Fachleute im Bundespräsidialamt noch einmal, ob vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetze mit der Verfassung zu vereinbaren sind. Oft ist dies nur reine Formsache. Allerdings gab es ein Dutzend Fälle in der Geschichte der Bundesrepublik, in denen sich Bundespräsidenten weigerten, Gesetze zu genehmigen.
Selten Einsprüche
So sollte es im Luftsicherheitsgesetz die Möglichkeit geben, von Terroristen entführte Flugzeuge abschießen zu dürfen, bevor sie auf Ziele wie etwa Atomkraftwerke gelenkt werden. Bundespräsident Horst Köhler (von 2004 bis 2010 im Amt) unterschrieb die Vorlage nur mit Bedenken und empfahl eine Prüfung durch das höchste Gericht Deutschlands. Das Bundesverfassungsgericht lehnte das Gesetz ab.
Auch Richard von Weizsäcker (von 1984 bis 1994 im Amt) unterschrieb erst nach einer Verfassungsänderung. In diesem Fall ging es darum, ob die Sicherung des Luftraumes auch von privaten Organisationen übernommen werden sollten. Eigentlich war die Flugsicherung eine hoheitliche Aufgabe, die nur staatlichen Behörden zusteht. Richard von Weizsäcker wollte mit seiner Kritik auch zum Nachdenken darüber anregen, wie weit der Ausverkauf staatlicher Aufgaben der Grundversorgung an rein wirtschaftlich orientierte Unternehmen überhaupt gehen darf.
Diese Fälle zeigen also, dass der Bundespräsident nicht ganz machtlos ist. Allerdings waren die Interventionen der bisherigen Amtsinhaber derart zurückhaltend, dass diese Aufgabe nicht für besonderes Aufsehen sorgte.
Ernennung von Bundesrichtern und Beamten: Auch dieses Recht reduziert sich auf die Überreichung von Ernennungsurkunden. Tatsächlich werden Richter in Deutschland von den jeweils in den einzelnen Bundesländern zuständigen Justizministern ernannt. Zusätzlich gibt es vom Bund nicht ständige Richterwahlausschüsse, die mit entscheiden. Dieses Richterwahlverfahren wird immer wieder kritistert. Es sei nicht transparent und nur parteipolitsch, aber nicht nach Kompetenzen orientiert.
Begnadigungsrecht: Dass ein Bundespräsident hier reagieren musste, kam selten vor, weil Urteile in Deutschland nur nach rechtstaatlich geführten Gerichtsprozessen gefällt werden dürfen und sich nach den Menschenrechten zu richten haben.
Im Fall des 1982 zu lebenlanger Haft verurteilten ehemaligen linksextremen RAF-Terroristen Christian Klar allerdings gab es ein Gnadengesuch. Der damals zuständige Bundespräsident Horst Köhler lehnte ab. Zuvor hatte ihm die CSU gedroht, bei einer Zustimmung zu diesem Gesuch seine Wiederwahl zu verhindern. Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte Köhler und verbat sich solche Einflussnahme auf das Amt des Bundespräsidenten.
Würde ausstrahlen hat gereicht
Von den bisherigen Amtsinhabern versuchte nur der erste Bundespräsident Theodor Heuss mehr Macht zu gewinnen. Er forderte das Recht, auch an den Beratungen des Regierungskabinetts teilzunehmen. Die Forderung wurde abgelehnt. Dafür blieb das Recht, staatliche Hoheitszeichen zu bestimmen. Rein theoretisch dürfte sich ein Bundespräsident also neue Wappen oder Orden zulegen, und er könnte auch eine andere Nationalhymne auswählen. Wohlgemerkt: theoretisch.
Bemerkenswert ist: Vier von zehn Amtsinhabern in der Geschichte der Bundesrepublik haben das Amt ohne große Macht so gut ausgefüllt, dass sie von Vertretern des Bundestages und der Länderparlamente auch zu einer zweiten Amtszeit von fünf Jahren gewählt wurden.