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Ende einer Ära: Christian Streich verlässt SC Freiburg

18. März 2024

Nach zwölfeinhalb Jahren soll Schluss sein: Christian Streich, Kult-Trainer des SC Freiburg, wird den Verein nach der Bundesliga-Saison verlassen. Er wird der Liga fehlen - nicht nur auf dem Platz.

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Christian Streich grüßt Fans beim Bundesliga-Spiel gegen 1. FC Heidenheim
Freiburgs Trainer Christian Streich geht, "um neue Leute, neue Energie reinzulassen"Bild: Harry Langer/dpa/picture alliance

"Liebe Freundinnen und Freunde des SC Freiburg, liebe Fans, ich möchte euch schweren Herzens mitteilen, dass ich im Sommer meine Tätigkeit als Trainer beim SC Freiburg nicht mehr fortsetzen werde", sagt  Christian Streich in einen Video seines Vereins auf der Social-Media-Plattform X. Damit spricht er aus, was viele bereits erwartet, wenn nicht sogar befürchtet hatten. Streich beendet nach zwölf erfolgreichen Jahren seine Zeit als Cheftrainer des Bundesliga-Klubs. Im Verein ist er sogar noch länger - ganze 29 Jahre.

Bei der 2:3-Heimniederlage gegen Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen am Vortag war er noch sehr engagiert an der Seitenlinie und man konnte sich kaum vorstellen, dass er keine Energie mehr haben könnte, als Trainer weiterzumachen. "Jede 50:50-Entscheidung in der zweiten Halbzeit wird gegen uns gepfiffen", beschwerte sich Streich schon während des Spiels lautstark beim vierten Offiziellen. Nach dem Spiel wiederholte er den Vorwurf im Radio-Interview und auch in der Pressekonferenz, klang nun aber schon recht niedergeschlagen und fast ein wenig kraftlos. Fragen zu seiner Zukunft wehrte er brüsk ab: "Das erfahren sie alles morgen", sagte er nur.

SC Freiburg - alternativer Verein mit eigenem Weg

Streichs Entscheidung ist deshalb weitreichend, weil er die sportlichen Geschicke des SC Freiburg prägte und den Klub verkörpert, wie niemand sonst. Er ist nicht nur sportlich eine Instanz, sondern äußert sich auch immer wieder zu gesellschaftlichen Themen. Zuletzt war das der Fall, als Anfang des Jahres überall in Deutschland Menschen auf die Straße gingen, um gegen Rassismus und die Partei AfD (Alternative für Deutschland) zu protestieren. "Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden. Es ist fünf vor zwölf", sagte Streich im Januar.

Auch deswegen passte der Trainer zu Freiburg. Der "Sportclub" geht schon seit langer Zeit einen anderen Weg als viele andere Profivereine - auf und neben dem Platz. Schon früh entdeckte der Klub das Thema Nachhaltigkeit für sich, achtete auf Umweltschutz, installierte die erste Photovoltaik-Anlage auf einem deutschen Stadiondach.

Freiburgs Trainer Volker Finke verfolgt ein Spiel seiner Mannschaft aus einem Strandkorb, der als Trainerbank diente
Trainer Volker Finke prägte die erste sportlich erfolgreiche Ära in Freiburgs Bundesliga-GeschichteBild: Sven Simon/picture-alliance

"Der Verein war auf der Suche nach einer eigenen Identität und einer eigenen DNA", erinnerte sich Hanno Franke, der Marketingleiter des SC, einst im Gespräch mit der DW an diese Zeit. "Freiburg war schon damals eine sehr nachhaltig geprägte Stadt. Für uns als Fußballverein und Teil der Stadt erschien es damals nur logisch, sich da mit einzuklinken."

Sportlich setzte der Verein auf Kontinuität. Das fing an mit der Verpflichtung von Trainer Volker Finke im Jahr 1991. Finke führte den Verein 1993 erstmals in die Bundesliga und blieb bis 2007 Trainer - trotz einiger Abstiege und sportlicher Krisen. Wohl bei keinem anderen Bundesligisten wären Geduld und Verständnis so groß gewesen.

Streich - im Herzen immer noch Jugendtrainer

Geduld ist auch eine der sportlichen Philosophien bei den Spielern. Der SC Freiburg setzt stärker als andere Vereine auf Jugendarbeit und schafft es immer wieder, Talente aus dem eigenen Nachwuchs ins Profiteam zu bringen. Dort bekommen sie dann die Zeit, sich zu entwickeln. Dass junge Spieler sich aus Freiburg zu anderen Vereinen ausleihen lassen, weil sie dort auf mehr Spielpraxis bekommen, ist selten.

Spielszene SC Freiburg mit Torhüter Noah Atubolu gegen Borussia Dortmund
In Freiburg dürfen junge Profis wie Torhüter Noah Atubolu (r.) regelmäßig spielen und Fehler machen, ohne gleich auf die Bank zu müssenBild: Joachim Bywaletz/Jb-sportfoto/picture alliance

Das hat auch viel mit Christian Streich und seiner Geschichte im Verein zu tun. Der 58-Jährige ist in der Region verwurzelt. Als Spieler war er die meiste Zeit für den Lokalrivalen Freiburger FC aktiv, ging aber eine Saison lang auch für den SC Freiburg in der 2. Liga auf Torejagd. Einer seiner Mitspieler war damals der spätere Bundestrainer Joachim Löw.

Nachdem Streichs Zeit als Spieler 1994 beim Freiburger FC endete, kam er zurück zum SC Freiburg und arbeitete dort ab 1995 anderthalb Jahrzehnte lang in der Nachwuchsabteilung. Was Volker Finke für die Bundesliga-Mannschaft war, war Streich für die Jugend. Er betreute als Trainer die U19 des Klubs und damit viele Talente, die davon träumten oder es tatsächlich schafften, in die Profi-Mannschaft zu kommen. 

"Ich durfte mit meinen Mitstreitern die Fußballschule aufbauen und gestalten, hatte hunderte Jugendspieler, die ich betreuen durfte", sagt Streich in seinem Video zur Rücktrittsankündigung. "Auch hunderte Profispieler - und nicht wenige sind durch die Fußballschule zu den Profis gegangen."

Neben seiner Arbeit als Mentor junger Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden und Talententwickler hatte Streich Erfolg: 2006, 2009 und 2011 gewann er mit Freiburgs A-Junioren den DFB-Junioren-Vereinspokal und 2008 sogar die deutsche A-Jugendmeisterschaft.

Durch Höhen und Tiefen

Als es ein halbes Jahr später in der Bundesliga-Mannschaft kriselte, suchte der Verein nicht lange nach einer externen Trainerlösung. Streich übernahm die verunsicherte Mannschaft zur Rückrunde auf dem letzten Tabellenplatz und führte sie noch ins gesicherte Mittelfeld. Ein Jahr später erreichte er mit dem Team sogar den Europapokal. Später standen Streich und sein Team zweimal sogar im Europa-League-Achtelfinale und 2022 im Endspiel um den DFB-Pokal, das man gegen RB Leipzig verlor.

Freiburgs Trainer Christian Streich steht nach dem Wiederaufstieg 2016 umringt von seinen Spielern vor den Fans und kämpft mit den Tränen
Stolz und gerührt: Nach dem Wiederaufstieg 2016 kommen Christian Streich bei der Feier mit den SC-Fans die TränenBild: Christopher Neundorf/firo Sportphoto/picture alliance

Wie einst Finke blieb auch Streich auf seinem Posten, wenn es mal nicht gut lief. 2015 stieg der Klub aus der Bundesliga ab - und mit Streich auch direkt wieder auf. "Die Menschen wissen, dass wir alles für den Erfolg tun, sie anerkennen, dass wir von morgens bis es dunkel wird für dieses Ziel arbeiten", sagte Streich 2016 nach dem Aufstieg in einem Interview mit der Tageszeitung "Südkurier" über die andere Erwartungshaltung in Freiburg. "Daran sieht man, dass der Fußball, dass der SC Freiburg gewachsen ist in dieser Stadt und dass dann nicht alles ergebnisabhängig ist."

Streich: "Immer vorwärts, mit dem Kopf immer oben"

Diese andere Haltung hat dazu geführt, dass Streich der Freiburger Trainer mit den meisten Bundesliga-Spielen und -Punkten ist. Ein Rekord, der ihm selbst nicht so wichtig war, als er ihn im Januar 2023 erreichte. "Das hat keine so große Relevanz. Ich bin ja schon mein halbes Leben Trainer beim SC", sagte Streich damals. "Wenn ich darüber nachdenke, dann ist das schon sehr lange."

Rausgeworfen hätten sie ihren Trainer beim SC Freiburg wohl nie. In den vergangenen Jahren hatte Streich seinen Vertrag stets im Februar oder März verlängert. Zuletzt war das im März 2023 der Fall - einen weiteren Kontrakt wird es aber nicht geben.

Freiburgs Trainer Christian Streich schreit und gestikuliert bei seinem Bundesliga-Debüt im Januar 2012
Von Anfang an mit Feuer bei der Sache: Christian Streich bei seinem Bundesliga-Debüt im Januar 2012Bild: Oryk Haist/Sven Simon/picture alliance

Streichs Spieler hatten bis zuletzt gehofft, dass ihr Trainer bleibt. "Er ist ein herausragender Trainer und ein herausragender Mensch, für den es mehr gibt als Fußball", sagte SC-Kapitän Christian Günter. "Er hat eine Ära geprägt, das steht außer Frage." Umstimmen konnte Streich keiner mehr und wahrscheinlich hat man es aus Respekt vor ihm auch gar nicht versucht.

"Dieser Verein ist mein Leben und ich bin außergewöhnlich dankbar für die Unterstützung und die Zuneigung, die ich immer erfahren habe", bedankt sich der Trainer in seinem Video und sieht positiv in die Zukunft. "Ich weiß, dass sehr gute Entscheidungen getroffen werden, dass es in diesem Verein so weitergeht wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten: Immer vorwärts - und auch wenn es mal schwer war, mit dem Kopf oben."

Der Text wurde nach dem Spiel der Freiburger am Sonntag gegen Bayer Leverkusen und am Montag nach Bekanntgabe des anstehenden Rücktritts aktualisiert.