Bulgarien: Sofias Bürgermeister als politischer Hoffnungsträger
27. April 2006Der schwarze Ledermantel, die dicke Zigarre und das bullige Auftreten - das sind die - äußeren - Markenzeichen von Boiko Borissov, die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die hohen Umfragewerte seiner Bürgerlichen Vereinigung haben. Der ehemalige Feuerwehrmann, der die Polizeifachhochschule in Sofia absolviert hat, war nach der politischen Wende in Bulgarien persönlicher Bodyguard zuerst des kommunistischen Ex-Diktators Todor Schivkov und später des Ex-Königs Simeon Sakskoburggotski. Als nach der Wahl 2001 Sakskoburggotski zum Ministerpräsident gewählt wurde, stieg Borissov plötzlich zum Staatssekretär im Innenministerium und damit zum General und zum höchsten Polizisten in Bulgarien auf.
Zweifelhafte Kontakte
"Big Brother", wie er in Anspielung auf seine Initialen genannt wird, kündigte einen erbarmungslosen Kampf gegen die Kriminalität an, die Ergebnisse aber waren nach vier Jahren eher bescheiden. Zwar war Borissov omnipräsent - sowohl in den Medien als auch am jeweiligen "heißen Tatort" nach einem Auftragsmord oder einer Gangster-Schießerei. Doch seine langjährigen Beziehungen zu halblegalen Strukturen in der Security-Branche in Bulgarien ließen immer wieder Zweifel darüber aufkommen, auf welcher Seite er eigentlich stehe. Da aber die Mehrheit der Menschen im Lande fest davon überzeugt ist, dass die Korruption und die regierungsnahe Kriminalität - und nicht die Gangsterkriege - das eigentliche Übel sind, tat dies der Popularität von Boiko Borissov keinen Abbruch.
Beim Volk beliebt
Gerade seine Fähigkeit, von den Politikern Abstand zu nehmen und sich volksnah zu präsentieren, erklärt paradoxerweise den politischen Aufstieg von Borissov. In seiner Person sehen viele Bulgaren den entschlossenen Macher, der hart durchgreift und sich an den politischen Spielchen nicht beteiligt. Als Bürgermeister von Sofia hat er sich in dieser Richtung weiter profilieren können, die Regierung heftig angegriffen hat - beispielsweise in der Streitfrage um die Mülldeponie der Hauptstadt. Auch in diesem Konflikt hat Borissov seinen Hauptvorteil gegenüber den meisten Politikern im Lande unter Beweis gestellt: dass er komplizierte Sachverhalte für die Bevölkerung mundgerecht aufarbeiten und scheinbar einfache Lösungen anbieten kann.
In seiner Bürgervereinigung hat sich der 44-Jährige vor allem mit Weggefährten aus dem Justiz- und Polizeisystem umgeben, aber auch mit anderen "Volkshelden", wie zum Beispiel dem Ex-Fußballspieler und amtierenden Bürgermeister der Stadt Sliven Jordan Letschkov. Die Botschaft an die Wähler ist klar: wir haben den Kontakt zum Volk nicht verloren und wissen wo der Schuh drückt, also werden wir es richten.
Chancen auf hohe Ämter
Im Unterschied zur populistischen Partei "Ataka", gibt sich Borissovs Team entschieden pro-europäisch und Nato-treu. Es ist das freundliche und zukunftsgewandte Gesicht des Populismus in Bulgarien, das keine rassistischen und nationalistischen Gefühle anstachelt. Und dies kommt sehr gut an. Borissov hätte sogar eine sehr gute Chance, im Herbst zum Staatspräsidenten gewählt zu werden, sollte er antreten. Allerdings scheint er weniger an diesem repräsentativen Posten und eher an dem Premier-Sessel interessiert zu sein. Bis zum regulären Parlamentswahltermin 2009 hat er genug Zeit, seine Bürgervereinigung in eine Partei umzuwandeln und Strukturen vor Ort zu schaffen, um die heutige Mitte-Links-Koalition erfolgreich ablösen zu können.
Alexander Andreev
DW-RADIO/Bulgarisch, 27.4.2006, Fokus Ost-Südost