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Politik

EU hat keine Angst vor Abschiedskuss

31. Mai 2017

27 EU-Mitglieder treffen sich zum Brexit-Sondergipfel in Brüssel. Der Fahrplan für den Austritt der Briten steht fest, der Zeitplan hingegen scheint knapp. Ausnahmsweise sind sich alle einig. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Berlin Anti-Brexit Aktion A Kiss for Europe - Ein Kuss gegen Hass
Bild: Reuters/H. Hanschke

Im Grunde ist es nur ein Gipfelchen, ein Hügel, der beim beginnenden Brexit-Marathon erklommen werden muss. Das erste formale Treffen der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien in Brüssel an diesem Sonnabend dauert nur drei Stunden, inklusive ausgiebigem Mittagessen. Offiziell gibt  nur das Thema Austritt Großbritanniens zu besprechen.

Die Verhandlungsleitlinien für den Brexit liegen auf dem Tisch - abgestimmt von den EU-Botschaftern. Langwierige Diskussionen oder gar Streit werden nicht erwartet. Die Staats- und Regierungschefs wollen vor dem eigentlichen Start der Verhandlungen mit den Briten noch einmal Einigkeit demonstrieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung die Linie vorgegeben. Großbritannien solle sich keinen Illusionen hingeben, es hätte am Ende die gleichen Rechte wie ein Mitgliedsland. "Das wäre vergeudete Zeit", sagte Merkel im Bundestag. Die restliche EU sei in den zehn Monaten seit der Volksabstimmung auf den britischen Inseln stärker zusammengewachsen, glaubt Merkel.

Großbritannien Theresa May und Jean-Claude Juncker
Küsschen gibt es trotzdem: Theresa May (li.) und Jean-Claude Juncker am Mittwoch in LondonBild: picture-alliance/Zumapress/T. Akmen

Erst die Scheidung, dann ein neuer Vertrag

EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte vor dem Treffen, er wolle klar machen, dass es ein "Phasenmodell" bei den Gesprächen mit der britischen Regierung geben wird. "Bevor wir uns mit der Zukunft beschäftigen können, müssen wir die Vergangenheit ordnen", so Tusk. Erst müssten die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten, die in der EU leben, geklärt werden. Dann werde über die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens verhandelt, die sogenannte Brexit-Rechnung, die nach Schätzungen der EU-Kommission 50 Milliarden Euro erreichen kann. Dann soll noch über die Außengrenze Großbritanniens zur Republik Irland gesprochen werden.

Erst wenn all diese Punkte geklärt sind, sollen die von Großbritannien dringend verlangten Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem "Drittstaat" Großbritannien an die Reihe kommen. Die britische Premierministerin Theresa May hatte ihrem Schreiben, mit dem sie den Austritt Großbritanniens am 29. März beantragte, für ein Handelsabkommen mit einem "starken" Europa geworben. Aus Sicht der EU-Unterhändler geht es erst einmal um "Schadensbegrenzung", denn Millionen von Menschen würden die praktischen Folgen des Brexit spüren, so EU-Diplomaten in Brüssel.

Besonders die irische Regierung hat großes Interesse daran, dass ein Austritt Großbritanniens nicht dazu führt, dass zwischen Irland und dem britischen Nordirland wieder Zollschranken entstehen und die Schlagbäume für Personen heruntergelassen werden. Das könnte das "Karfreitags-Friedensabkommen" gefährden, das für eine Aussöhnung zwischen katholischen und protestantischen Bevölkerungsgruppen in Nordirland sorgen soll.

Großbritannien Theresa May & Donald Tusk
EU-Präsident Donald Tusk (re.): Ich vermisse die Briten jetzt schon Bild: Reuters/H. McKay

Zwischenlösung wahrscheinlich

EU-Chefunterhändler Michel Barnier, ein ehemaliger französischer Spitzenpolitiker, geht nicht davon aus, dass man innerhalb der zwei Jahre, die für die Brexit-Verhandlungen vorgesehen sind, wirklich zu einem abschließenden Ergebnis kommen kann. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer "Übergangsvereinbarung", die gelten solle bis endgültig neue Verträge mit Großbritannien über freien Handel und den Zugang zum europäischen Binnenmarkt auf dem Tisch liegen. Nach Artikel 50 der Lissabonner EU-Verträge endet die Mitgliedschaft Großbritanniens am 30. März 2019. Es sei denn, alle EU-Mitgliedsstaaten würden diese Frist einstimmig verlängern.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Chefunterhändler Barnier hatten die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch bei einem Abendessen gesprochen und ihr den Verhandlungsfahrplan der EU noch einmal erläutert. Direkte Reaktionen wurden nach dem Abendessen nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass die britische Regierung lieber ganz am Ende der Verhandlungen über Geld und aus ihrer Sicht viel zu hohe Rechnungen sprechen würde.  Nach Meinung von Experten sitzt die britische Regierung jedoch bei den Verhandlungen am kürzeren Hebel, da die Zeit gegen sie arbeitet. Die EU braucht im Grunde nur abzuwarten.

Großbritannien Michel Barnier
Chef im Ring: Michel Barnier ist bereit, hart zu verhandeln. Auch ohne Küsschen. Bild: picture-alliance/Zumapress/T. Akmen

EU-Behörden sollen schleunigst umziehen

Aus Sicht der EU in Brüssel muss allerdings zügig darüber entschieden werden, wie und wann die beiden EU-Agenturen für die Bankenaufsicht und die Zulassung von Arzneimitteln von London aus auf EU-Gebiet umziehen. Die britische Regierung warb dafür, die beiden wichtigen Behörden in Großbritannien zu belassen. Das lehnt die EU jedoch ab. Mehrere Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, haben sich um die Ansiedlung der Agenturen mit mehreren Hundert Arbeitsplätzen beworben. Die EU-Kommission möchte gerne Großbritannien die Kosten für die Umzüge in Rechnung stellen, was London bisher ablehnt.

Die vorgezogenen Wahlen zum britischen Unterhaus hätten, so glaubt der EU-Unterhändler Michel Barnier, keine direkten Auswirkungen auf den Brexit-Fahrplan. Ende Mai sei die EU mit allen formalen Vorbereitungen fertig und verhandlungsbereit. Am 8.Juni hatte die konservative Premierministerin überraschend Wahlen angesetzt.

Unternehmer für Entgegenkommen beim Brexit

May will sich ein starkes parlamentarisches Mandat sichern und gleichzeitig konservative Brexit-Hardliner loswerden. Einen allzu "harten" Brexit, also einen abrupten Ausstieg aus der EU ohne zuvor ausgehandelten Anschlussvertrag, lehnt May bislang ab.

Brexit only

Nicht nur ein Austrittskandidat, auch ein Beitrittskandidat machen der EU zu schaffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, sie wolle beim Sondergipfel auch über die Erosion der Demokratie in der Türkei nach dem Verfassungsreferendum sprechen. Rats-Präsident Tusk will formale Gespräche auf Juni vertagen, auch wenn die Briten wieder an einem 28er-EU-Gipfel teilnehmen. Denn beim Thema Beitrittsgespräche mit der Türkei und allen anderen Themen außer Brexit hat Großbritannien bis zum letzten Tag seiner Mitgliedschaft noch ein Wörtchen mitzureden.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union