Brüsseler Unmut über Berlusconi
11. Januar 2002Brüssels Sorgen über Italien nehmen zu: Hinter den Kulissen mehren sich die Stimmen, die fordern, die EU müsse endlich vorgehen, müsse Flagge zeigen. Denn die EU verstehe sich schließlich als eine Wertegemeinschaft - und nicht nur als eine Union von Nationalstaaten, in der jeder tun könne was er wolle.
Berlusconi, das ist deutlich, wird in der EU mit immer mehr Misstrauen gesehen. Dabei geht es weniger um die wirklichen Momente, in den der Medien-Magnat Nein gesagt hat: Es geht nicht um das Beharren Berlusconis, dass Parma und nicht Helsinki Standort der europäischen Lebensmittelbehörde sein solle, weil die Italiener schließlich mehr von Schinken verstünden als die Finnen. Es geht auch nicht um den Ausstieg Italiens aus dem Gemeinschaftsprojekt Airbus. Und es geht auch nicht um die italienische Ablehnung des europäischen Haftbefehls, bei dem der italienische Premier zum Schluss irgendwie doch noch zustimmte. Das alles ist Alltag im europäischen Getriebe. Und die EU ist von Großbritannien, von Spanien, aber auch von Dänemark oder Schweden täglich gewohnt, dass Länder ihre Interessen vertreten - laut, uneinsichtig, unangenehm und halsstarrig. Das alles ist nicht schön, aber es wundert auch niemanden mehr.
Im Noch-Nicht Fall Italien geht es eher um das Klima: Berlusconi gilt den anderen EU-Staaten politisch als unangenehm. Und das trifft noch mehr zu auf seine Koalition mit dem Regionalseparatisten Umberto Bossi von der Lega Nord und Gianfranco Fini von der Nationalen Allianz, der Nachfolgepartei der Neofaschisten. Bossi hetzt ungeniert gegen Europa, gegen die EU - die er als "neue Sowjetunion der Völker" sieht. Fini gibt zwar den geschniegelten modernen Salon-Konservativen, aber noch vor kurzem bezeichnete er Mussolini als "einen der größten, wenn nicht den größten Staatsmann des 20. Jahrhunderts". Schließlich Berlusconi: er meint, man könne einen Staat wie ein Privatunternehmen führen, und kontrolliert außerdem alle Fernsehsender seines Landes - das ist schon ungewöhnlich in einer Demokratie.
Doch bislang gab es zu den politischen Veränderungen in Italien doch keine deutliche Reaktion aus Brüssel oder aus den EU-Staaten. Völlig anders war die EU dagegen im Falle Österreichs vorgegangen, der tatsächlich ein Fall wurde. Als dort die Konservativen mit dem Rechtspopulisten Jörg Haider eine Regierungskoalition schlossen, reagierte die EU sofort: Österreich wurde in der EU zum unliebsamen Mitglied. Mit Rechtspopulisten wollte man nicht an einem Tisch sitzen. Und die EU funktionierte mit Österreich nur deswegen weiter, weil Wien geradezu stoisch die Demütigungen ertrug und so tat, als sei fast nichts geschehen. Nach einem halben Jahr war der Spuk vorbei, Österreich kein Außenseiter mehr.
Aus dem Fall Österreich hat die EU offensichtlich eines gelernt: Nicht zu vorschnell zu reagieren oder gar zu handeln. Deswegen hält man sich im Falle Italiens wohl immer noch zurück. Aber der Zeitpunkt rückt näher, an dem die EU zeigen muss, dass ihre moralischen Werte nicht nur gegenüber einem kleinen Mitgliedsland gelten, sondern auch gegenüber einem Gründungsmitglied. Die schrillen Töne aus Italien verlangen eine deutliche Antwort. Aufschluss über die italienische Position aber kann bereits die Debatte über Europa geben, die das italienische Parlament für Montag angesetzt hat. Dann muss die Regierung Berlusconi zeigen, was sie von der EU wirklich hält.