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Britischer Kinderretter Winton tot

2. Juli 2015

Den Beinamen "britischer Schindler" mochte er nicht. Dabei rettete Nicholas Winton 669 zumeist jüdische Kinder vor dem Holocaust. Jahrzehntelang schwieg er über seine Aktion. Nun ist er mit 106 Jahren gestorben.

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Nicholas Winton (Archivfoto 2014: afp)
Bild: Getty Images/AFP/M. Cizek

Sir Nicholas Winton erreichte ein biblisches Alter: Er starb im Alter von 106 Jahren in einem Krankenhaus in Slough im Westen Londons. Der Brite sei im Beisein seiner Tochter Barbara und von zwei Enkeln friedlich eingeschlafen, teilte der Rotary Club in Maidenhead bei London mit, dessen Mitglied er war. Winton hatte unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs acht Züge für jüdische Kinder aus Prag nach London organisiert. In Großbritannien fand er Pflegeeltern, die die Garantiesumme von 50 Pfund aufzubringen bereit waren. Auf diese Weise rettete er Hunderte Kinder aus der Tschechoslowakei vor der tödlichen Verfolgung durch die Nazis. "Wenn es nicht unmöglich ist, dann gibt es einen Weg", wurde zu seinem Lebensmotto.

Unter den Geretteten waren unter anderem der Filmregisseur Karel Reisz (1926-2002) und der britische Labour-Politiker Alfred Dubs. Jahrzehntelang hatte Winton kein Aufhebens um die beispiellose Rettungsaktion gemacht. Sogar seiner Frau Greta hatte er nie etwas von der Rettungsaktion erzählt, bis sie 1988 auf sein altes Notizbuch stieß. Im gleichen Jahr machte eine britische Fernsehsendung die Geschichte der Kindertransporte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Er sei nur "am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen", sagte Winton später einmal.

Vorbild an Menschlichkeit

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka erklärte, Winton habe 669 Kinder vor nazistischer Verfolgung und dem beinahe sicheren Tod gerettet. Er sei für ihn "ein Vorbild wirklicher Menschlichkeit, grenzenloser Bescheidenheit und bürgerlicher Tapferkeit" gewesen. "Die Welt hat einen großen Mann verloren", erklärte der britische Premierminister David Cameron auf Twitter.

Wegen der Rettungsaktion wurde Winton auch der "britische Schindler" genannt. Doch der Vergleich mit dem deutschmährischen Industriellen missfiel dem bescheidenen Mann zeitlebens. Schindler hatte während des Zweiten Weltkrieges etwa 1200 jüdische Zwangsarbeiter, die in seinem Unternehmen beschäftigt waren, vor der Ermordung durch die Nazis in Todeslagern bewahrt.

Viele Auszeichnungen

Für seine Taten erhielt Winton, der am 19. Mai 1909 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in London geboren wurde, zahlreiche Auszeichnungen. Er wurde dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert. Im Jahr 2003 wurde der frühere Börsenmakler, der von deutsch-jüdischen Einwanderern abstammte, von der britischen Königin zum Ritter geschlagen. Tschechische Astronomen benannten einen kleinen Planeten, den sie entdeckt hatten, nach dem Wohltäter.

Im Oktober 2014 nahm Winton in Prag den Orden des Weißen Löwen entgegen (Foto: dpa)
Im Oktober 2014 nahm Winton in Prag den Orden des Weißen Löwen entgegenBild: picture-alliance/dpa/Filip Singer

Im Oktober 2014 war Winton noch nach Prag gereist, um den Orden des Weißen Löwen entgegenzunehmen, die höchste staatliche Auszeichnung Tschechiens. Bei der bewegenden Zeremonie waren auch sieben der damaligen Kinder dabei. Winton erinnerte daran, dass viele Länder keine unbegleiteten Kinder als Flüchtlinge aufnehmen wollten. "Viele Politiker begriffen nicht, was auf dem Kontinent geschah", sagte Winton zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Der neunte Zug, der letzte und größte, durfte Prag am 1. September 1939 nicht mehr verlassen. Niemand hat die 250 Kinder in dem Zug je wieder gesehen. Heute geht man davon aus, dass die meisten von ihnen in NS-Vernichtungslagern zu Tode kamen.

kle/fab (dpa, afpe, rtre, ape)