Lächeln, erst einmal lächeln
19. Juni 2017Wer verhandelt?
Auf EU-Seite verhandelt Michel Barnier, früher EU-Kommissar und französischer Außenminister, ein erfahrener Diplomat und überzeugter Europäer. Er empfängt seine Leitlinien von der Europäischen Kommission, die sich wiederum mit dem Europäischen Rat abstimmt, den Regierungen der verbleibenden 27 Mitgliedsländer.
Er wird unterstützt von seiner Stellvertreterin Sabine Weyand, einer deutschen Spitzenbeamtin aus dem Handelsressort der EU-Kommission. Sie ist Expertin für die zahllosen technischen Fragen, die bei den Brexit-Verhandlungen geklärt werden müssen. Zuletzt hat sich Weyand mit der Welthandelsorganisation WTO und den TTIP-Gesprächen über ein Handelsabkommen mit den USA befasst.
Die Berufung dieses französisch-deutschen Tandems hat durchaus auch eine politische Dimension.
Hinter beiden steht ein Team von EU-Spezialisten, die seit Jahrzehnten die Handelsverträge für die Union aushandeln, wie zuletzt das Abkommen mit Kanada. Sie verfügen über eine Expertise, wie sie kein europäischer Nationalstaat mehr aufbieten kann, weil die EU seit langem alle Mitgliedsländer in Handelsfragen vertritt.
Auf britischer Seite wird das Team angeführt von David Davis, Chef des sogenannten Brexit-Ministeriums (DexEU) in London. Er gehörte zu den Hauptverfechtern eines Brexit in der konservativen Regierungspartei und hat beim Referendum intensiv dafür geworben. Er empfängt seine Direktiven von der Premierministerin. Seit ihrer Wahlniederlage aber melden sich in London diverse Minister und Oppositionspolitiker zu Wort und Mays Einfluss scheint begrenzt.
Davis wird unterstützt von seinem Stellvertreter Ollie Robbins, hoher Beamter in verschiedenen britischen Regierungen, allerdings erst seit dem vorigen Jahr mit der EU befasst.
Mit am Tisch sitzt auch Tim Barrow, ständiger Vertreter Großbritanniens bei der EU seit Anfang des Jahres. Er war vorher Botschafter in Moskau und wechselte nach Brüssel um Ivan Rogers zu ersetzen. Der Europakenner und langjährige EU-Botschafter war aus Protest gegen die schleppenden Brexit-Vorbereitungen zurückgetreten. Mit ihm verlor die Regierung in London ihren erfahrensten Vertreter.
Was liegt auf dem Tisch?
Schon im Vorfeld wurde um die Reihenfolge der Tagesordnung gestritten. Die EU beharrt darauf, dass zunächst über die Bedingungen des Ausstiegs gesprochen wird. Die UK-Seite wollte sofort mit den Gesprächen über die künftigen Beziehungen anfangen. Inzwischen scheint London das schrittweise Vorgehen zu akzeptieren.
Die Brexit-Rechnung: Die Kosten für den Brexit entstehen aus gemeinsamen Verpflichtungen der bisher 28 Mitgliedsstaaten der EU. Gerüchten nach könnte die EU bis zu 100 Milliarden von Großbritannien fordern, zuletzt war allerdings nur noch von rund 40 Milliarden die Rede. Es gibt jedoch bislang keine offizielle Zahl, alle Vermutungen sind nur Berechnungen, wobei das politische Klima zwischen den Partnern eine Rolle spielen dürfte. Hier reicht die Bandbreite von Abschreckung bis Realismus.
Zentrales Thema der ersten Verhandlungsrunde sind die wechselseitigen Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in EU-Ländern. Die Kommission will den Status-quo für sie erhalten, das heißt ein fortgesetztes Aufenthaltsrecht, und die Verrechnung etwa von Sozialleistungen und Krankenversicherungen. Hier liegt der Teufel im Detail, etwa im Streit um Stichtage oder die Frage, wer für die rechtliche Absicherung dieser Bürger zuständig ist. Die EU hält den Europäischen Gerichtshof für zuständig, was Premierminister Theresa May bisher vehement abgelehnt hat.
Schließlich geht es um die Wahrung der offenen Grenzen zwischen Nordirland und der Irischen Republik. Verlässt das Königeich die Zollunion, müsste es dort Kontrollen geben. Das lehnt die DUP, neuer Mehrheitsbeschaffer der Regierung in London vehement ab. Die Democratic Unionist Party kämpft andererseits mit Nachdruck für einen Brexit - was zur Quadatur des Kreises führt: Wie ist der Ausstieg des Königreiches aus Zollunion und Binnenmarkt mit Sonderregelungen für Nordirland vereinbar?
Wie wird verhandelt?
Die Verhandlungen sollen im Monatsrhythmus stattfinden. Auf je zwei Wochen Vorbereitung durch Beamte folgt eine einwöchige Verhandlungsphase zwischen den Beauftragten. Daran schließt sich wiederum eine Woche zur Rückkoppelung mit den EU-Regierungen an. Ort der Gespräche sind die Gebäude der Kommission in Brüssel, Verhandlungssprachen Französisch und Englisch. Michel Barnier, der perfekt Englisch sprich, hat Übersetzer bereit gestellt. Hier wird kein Vorteil verschenkt.
Die Gespräche stehen unter großem Zeitdruck: Schon im Herbst nächsten Jahres müssen sie weitgehend abgeschlossen sein, weil danach die EU-27 ein halbes Jahr zur Verabschiedung der Ergebnisse brauchen. Das Ausstiegsdatum Ende März 2019 steht fest - zwei Jahre nachdem die britische Premierministerin den Artikel-50-Brief in Brüssel abgegeben hat. Eine Mehrheit der Beobachter hält es für unmöglich, bis dahin ein Verhandlungsergebnis in Händen zu halten. Viele fordern lange Übergangsfristen, wie etwa an diesem Sonntag der britische Schatzkanzler Philip Hammond.
Was ist vom ersten Tag zu erwarten?
Es geht um Lächeln, vor allem viel Lächeln. Zunächst soll Vertrauen unter den Gesprächspartnern gebildet werden, nachdem die britische Seite zu Jahresbeginn zunächst ziemlich kriegerisch aufgetreten war: "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal", hatte etwa Theresa May erklärt. Jetzt will David Davis einen "positiven und konstruktiven" Ton.
Als Lockerungsübung ist zu Beginn ein gemeinsames Mittagessen angesetzt, danach sprechen Mitarbeiter über technische Abläufe. Türenschlagen und Drohungen stehen erst im weiteren Verlauf der Gespräche wieder auf dem Programm. Und wo die Reise hingeht, welche Art von Brexit die britische Seite eigentlich will, scheint nach den Wahlen unklarer denn je. Aber ein Anfang ist gemacht - irgendwie.