Brexit: Tanz um den Stillstand
9. November 2017EU Diplomaten sind inzwischen "nicht mehr übermäßig optimistisch", dass es in den nächsten Wochen noch einen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen geben wird. Und der Zeitrahmen wird immer enger: Mitte Dezember müsste der EU-Gipfel darüber entscheiden, ob "hinreichender Fortschritt" erzielt ist, um in Phase II der Gespräche einzutreten; darin soll es um die Übergangsregelung und die künftigen Handelsbeziehungen gehen. Es bleiben faktisch noch zwei Wochen, um die Einzelheiten der Scheidung zu beschließen.
Krise in London
Mit Sorge sehen die europäischen Unterhändler die zunehmende politische Instabilität in London. Der Eindruck, dort gebe es keinen entscheidungsfähigen Partner, verstärkt sich. Theresa Mays Verbündeter Michael Fallon musste als Verteidigungsminister seinen Hut nehmen. Das Schicksal von Mays Stellvertreter Damian Green hängt wegen ungeklärter Sexvorwürfe in der Schwebe. Noch mehr als zuvor wird Entwicklungsministerin Priti Patel nach ihrer Entlassung für einen harten Brexit kämpfen. In rund einer Woche stellt Finanzminister Philip Hammond den Haushalt 2018 vor, der neue innerparteiliche Kämpfe bringen dürfte.
Deshalb ist die EU skeptisch, ob die Premierministerin die nötigen finanziellen Zugeständnisse überhaupt machen kann. Denn nach wie vor geht es ums Geld. Theresa May soll sich verpflichten, die unbezahlten Rechnungen, Pensionsleistungen, Haushaltsbeiträge und Projektmittel während des Ausstiegs zu begleichen. Bisher hatte sie in ihrer Florenz-Rede zwar vage Versprechen gemacht, konkret aber nur rund 20 Milliarden für die gewünschte Übergangsperiode zugesagt. Das reicht nicht, heißt es dazu kühl von deutscher Seite.
Dabei geht es nicht um die genaue Zahl von plus/minus 60 Milliarden Euro, sondern um das prinzipielle Anerkenntnis der Verpflichtungen. "Es hängt von der internen Dynamik im politischen Systeme des Königreiches ab", sagen EU-Diplomaten. Wenn May sich bewege, so dass man Phase I abschließen könne, dann werde es im Dezember den erhofften Durchbruch geben. "Wenn nicht, dann nicht."
Das ist die harte Antwort aus Brüssel auf die Illusionen mancher Brexiteers. Sie verbreiten noch immer, die EU werde einknicken, wenn London nur stur genug bleibe. Brexit-Minister David Davis hat unterdessen eine neue Rundreise durch EU-Hauptstädte gemacht, um die Front der Europäer aufzuweichen - ohne Erfolg.
Begrenzte Fortschritte
Am weitesten sind die Gespräche bei den künftigen Rechten der EU-Bürger gediehen. In dieser Woche hat London ein weiteres Dossier mit einem vereinfachten, preiswerteren Registrierungsverfahren vorgelegt. David Davis behauptet ständig, man sei fast am Ziel. Deutschland aber sieht weiter Differenzen beim Familiennachzug und weiteren wichtigen Details. Auch Guy Verhofstadt, Brexit-Beauftragter des Europaparlaments, ist noch längst nicht zufrieden.
In punkto Nordirland steigt die Nervosität. Beide Seiten sind einig, dass der Friedensprozess geschützt und die Grenzen offen bleiben sollen. An sechs Leitprinzipien zur Beschreibung einer künftigen Lösung wird gearbeitet. Die konkrete Ausgestaltung aber, wie eine künftige Grenze funktionieren könne, hängt von der künftigen Handelsbeziehung mit Großbritannien ab. Je weiter diese Frage in die Ferne rückt, desto unruhiger werden die Iren. Viele beschreiben einen möglichen Zusammenbruch der Brexit-Gespräche, der zu einer harten Grenze und Handel nach Regeln der Welthandelsorganisation WTO führen würde, als Katastrophe für ihr Land.
Ist kein Deal möglich?
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich nach wie vor optimistisch: "Ich habe da eigentlich überhaupt keinen Zweifel, wenn wir geistig alle klar sind", sagte sie Ende Oktober. Allerdings beginnen im Königreich die Umzugsvorbereitungen. Schon 50 Banken hätten die EZB in Frankfurt besucht, um ihre Pläne zu diskutieren, und bereits zwanzig von ihnen hätten eine Lizenz in der EU beantragt, erklärte eine Sprecherin. Insgesamt gilt der Beginn des nächsten Jahres als Entscheidungszeitraum, in dem viele Unternehmen ihre Notfallpläne auslösen werden. In Deutschland wird der Zusammenbruch grenzüberschreitender Lieferketten vor allem beim Fahrzeugbau, der Metallverarbeitung und der Chemie-Industrie erwartet.
Erneute Warnung
Die Unruhe bei britischen Wirtschaftsvertretern ist unterdessen weiter gestiegen, seit US-Handelsminister Wilbur Ross ihnen deutlich machte, sie müssten sich nach dem Brexit von EU-Standards lösen, wenn sie mit den USA Handel treiben wollten. Dazu warnte jetzt EU-Unterhändler Michel Barnier in einer Rede in Rom: "Das Königreich hat beschlossen, die EU zu verlassen. Will es sich auch vom europäischen Modell entfernen? Die Briten müssen uns sagen, ob sie es weiter bejahen. Die Antwort ist wichtig, weil sie die Richtung unserer künftigen Partnerschaft bestimmen wird." Auch Barnier, der am Freitag wieder mit seinem britischen Gegenüber David Davis zusammentreffen wird, betont erneut den wachsenden Zeitdruck. "Die Zeit drängt. Der Rat wollte im Oktober das Tempo der Gespräche beschleunigen, und ich arbeite in diesem Sinne. Jetzt aber ist der Zeitpunkt für Klarstellungen gekommen."